Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Signale an die Politik
SWR-Fernseh-Team zu Gast in der Demenz-Pflege der Seniorengenossenschaft Riedlingen
- Es ist kein gewöhnlicher Tag in der Demenz-Tagespflege der Seniorengenossenschaft in der Rössle-Gasse, denn das Fernsehen hat sich angesagt. Die Gäste wissen Bescheid. Viele von ihnen stehen Redakteuren nicht zum ersten Mal Rede und Antwort, denn das Riedlinger Betreuungsprojekt ist ein viel beachtetes Konzept, worüber schon mehrmals berichtet worden ist. Eine Kollegin hat denn auch Redakteur Kai Diezemann vom SWR Mainz auf die Riedlinger aufmerksam gemacht, der sich anschickt, zwei Sendungen zur Bundestagswahl zu machen. „Baustelle Südwest“heißt der Titel und soll verdeutlichen, „was sich nach der Wahl ändern muss“. Ein Thema dabei wird die Pflege sein, zumal die Gesellschaft immer älter wird, sagt Diezemann. Missstände in Pflegeheimen haben immer wieder im Fokus gestanden, doch sei ihm gar nicht so bewusst gewesen, wie viele Menschen zu Hause gepflegt werden und wie wichtig dieser Aspekt sei. Einen Dreh in einer betroffenen Familie in Mannheim hat das Team schon hinter sich. Riedlingen steht für die Hilfe von außen – bürgerschaftlich geprägt.
Kameramann Eduard Sperling richtet die Kamera auf TagespflegeGäste und das Personal, Toningenieur Hartmut Volp das Mikrofon. Alle geben bereitwillig Auskunft, schildern persönliche Umstände, unterstreichen, wie wichtig ihnen die Gesellschaft anderer ist, weil sie daheim alleine wären, loben die Betreuung, freuen sich am Angebot. Das Personal kommt auch zu Wort, so Pflegedienstleiterin Sabine Eggart, die den Tagesablauf schildert und betont, dass es ohne das bürgerschaftliche Engagement, die Ehrenamtlichen, nicht leistbar wäre. Eine von ihnen ist Sonja Kloker. Die gelernte Hauswirtschafterin und Mutter dreier inzwischen erwachsener Kinder berichtet Kai Diezemann, dass sie seit fast zwölf Jahren in der Tagespflege tätig ist. Sie arbeite gerne mit älteren Menschen und freue sich, ihr musikalisches Talent einsetzen und damit Freude bereiten zu können.
Bei einem Besuch in einer der betreuten Wohnungen im selben Haus will der Leiter der Demenzpflege, Michael Wissussek, unter Beweis stellen, wie das von ihm für die Seniorengenossenschaft entwickelte Konzept des integrativen Wohnens funktioniert. Die Bewohnerin empfängt das Fernseh-Team mit Freude in ihrer Stube, die genauso eingerichtet ist, wie in ihrer früheren Wohnung. Sie wähnt sich noch dort, sagt Wissussek. Nur manchmal frage sie an, ob Handwerker da gewesen seien, weil der Boden anders als früher aussehe. Morgens wird ihr geholfen, das Mittagessen wird ihr serviert und auch abends kümmern sich Frauen aus der Tagespflege um sie. „Es wird gevespert und eine Runde geschwätzt“, so Wissussek.
Wenn sie will, kommt sie in die Tagespflege, ins „Stüble“, früher seltener, heute mehr. Und wenn sie alleine sein will, geht sie heim. „Meine Idee war, wie schaffen wir es, dass sie nicht ins Heim muss“, heißt die Botschaft Wissusseks. Wie dies gelingen kann, hofft er im Fernsehbeitrag rüberzubringen.
Keine Zeit bleibt dem FernsehTeam, die „Gedankenflügler“zu besuchen, die Wohngemeinschaft zweier Männer, deren Wohnung tagsüber für eine Betreuungsgruppe genutzt wird, die ein Tagesprogramm serviert bekommt. „Die Gedankenflügler gehen sehr viel raus“, sagt Wissussek. Sie müssten gefordert werden, wobei man bei anderen
Michael Wissussek
darauf achten müsse, sie nicht zu überfordern.
Sowohl Wissussek wie dem Vorsitzenden der Seniorengenossenschaft Josef Martin ist die Botschaft an die Politik wichtig, dass man im Bereich Demenz verstärkt mit bürgerschaftlichen Strukturen arbeiten muss, „weil wir anders die Anforderungen gar nicht bewältigen können“, so Martin. Dabei seien vor allem die nicht mehr Berufstätigen im frühen Rentenalter zu motivieren. Im Vorgespräch mit Redakteur Diezemann machte Martin dabei deutlich, dass die Rahmenbedingungen für das bürgerschaftliche Engagement so sein müssen, dass sie leistbar sind. Er kritisiert, dass die Anforderungen an Freiwillige immer mehr von Vorschriften bestimmt würden. Bei den Forderungen nach Qualifizierung müsse die Politik Augenmaß behalten, betont er. Wobei er nicht in Abrede stellt, dass Schulungen und Qualifizierungen, wie sie jetzt schon stattfinden, notwendig sind. Dennoch dürften sie nicht als zwingende Voraussetzung für jede Tätigkeit verlangt werden.
Die Sendezeit wird knapp bemessen sein, in der kurz vor der Bundestagswahl über Projekte der Seniorengenossenschaft berichtet wird. Die Verantwortlichen hoffen dennoch, dass ihre Anliegen von der Politik wahrgenommen werden.
„Meine Idee war, wie schaffen wir es, dass sie nicht ins Heim muss“