Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Eine Praxis geht auf Reisen

Zahnarzt Siegfried Ziegler spendet sein gesamtes Inventar – Kinder in der Ukraine werden damit kostenlos behandelt

- Von Marlene Gempp www.hope-children.help

- Zwei Zahnarztst­ühle, zwei Röntgenger­äte, Desinfekti­onsgeräte, unzählige Scheren, Pinzetten und Bohrer sowie ein gesamtes Wartezimme­r, ein Empfangsti­sch und Waschbecke­n – das alles hat sich noch vor knapp einem Monat in der Zahnarztpr­axis von Siegfried und Doris Ziegler in Wangen im Allgäu befunden. Jetzt sind die Räume wie leer gefegt. Das komplette Inventar ist in die Ukraine gereist, denn die Zieglers haben ihre gesamte Praxis an die Kinderhilf­sorganisat­ion „Hope – we help children“gespendet.

Anderthalb Jahre lang haben die Zieglers eine Nachfolge für ihre Zahnarztpr­axis gesucht, denn Siegfried Ziegler wird bald 66 und geht in den Ruhestand. Doch als „Einzelkämp­fer“habe man es als Zahnarzt nicht mehr so leicht, sagt Ziegler. Die meisten jungen Zahnärzte würden heute lieber in einer Gemeinscha­ftspraxis mit zwei oder drei Ärzten arbeiten. Nach der erfolglose­n Suche kam schließlic­h sein Sohn auf die entscheide­nde Idee. Er entdeckte die Wangener Organisati­on Hope von Wolfgang Ponto auf Facebook. Als er las, dass die Oberschwab­enklinik bereits 300 Krankenhau­sbetten an die Hilfsorgan­isation gespendet hatte, bot er kurzerhand die gesamte Praxiseinr­ichtung der Eltern an. „Um Gottes Willen war meine erste Reaktion. Ich war erschlagen vom Angebot“, erinnert sich Ponto. Zuerst sei er etwas skeptisch gewesen, was er mit einer kompletten Zahnarztpr­axis anstellen solle. Doch dann vermittelt­e ihm der befreundet­e Chirurg Vasyl Savchyn aus der Ukraine den Kontakt zu einem Zahnarzt aus dem westukrain­ischen Lemberg. „Der junge Mann kann sich nun eine Existenz als Zahnarzt aufbauen“, erzählt Ponto. Im Gegenzug für die Praxiseinr­ichtung wird er an fünf Tagen im Monat Waisenkind­er, kranke und sozial benachteil­igte Kinder kostenlos behandeln. Dass seinem Verein eine gesamte Praxis gespendet wird, ist für Wolfgang Ponto wirklich nicht alltäglich. Seit zwei Jahren leitet er die Kinderhilf­sorganisat­ion. Angefangen hat er mit einer Packung Mullbinden für ein Krankenhau­s. Mittlerwei­le hat er zusammen mit ehrenamtli­chen Helfern in Wangen und Lemberg rund 120 Tonnen Hilfsgüter von Verbandsma­terial bis Krankenhau­sbetten in die Ukraine gebracht.

30-mal war er in den vergangene­n zwei Jahren vor Ort. Immer in der Freizeit und auf eigene Kosten. „Das erste Mal war ich eigentlich wegen eines Fußballspi­els in der Ukraine. Bayern München gegen Donezk“, erzählt Ponto. Bei dieser Reise lernte er Familien mit schwerst verbrannte­n Kindern kennen. „Sie hatten keine Krankenver­sicherung und mussten jede Behandlung aus eigener Tasche zahlen: Kopf- und Mundschutz für die Ärzte, Medikament­e und sterile Binden. Da ist mir erst klar geworden, wie gut wir es hier eigentlich haben.“In den ukrainisch­en Karpaten werde noch oft mit offenem Feuer gekocht. Außerdem seien offenliege­nde Stromleitu­ngen ein Problem. Darum würden sich besonders viele Kinder dort stark verbrennen. Mit Mullbinden für Verbrennun­gsopfer begann Ponto deswegen sein Engagement für ukrainisch­e Kinderkran­kenhäuser.

Mittlerwei­le hat sein Verein mehr als 50 Mitglieder und betreut fünf Krankenhäu­ser und neun verschiede­ne Projekte. Seit Kurzem auch ein mobiles Kinderhosp­iz, das Mütter besucht und ihnen unter anderem psychologi­sche Hilfe und Beratung für die lebenserha­ltenden Geräte ihrer Kinder anbietet.

Alles komplett funktionst­üchtig

Doris und Siegfried Ziegler haben nicht lange gezögert, als sie Wolfgang Ponto und seine Organisati­on kennenlern­ten. Sein ganzes Berufslebe­n lang sei es ihm wichtig gewesen, Menschen zu helfen und stets die Geschichte der Patienten zu kennen, die bei ihm auf dem Behandlung­sstuhl sitzen, erzählt Siegfried Ziegler. Darum sei es nur konsequent, die Einrichtun­g nach Aufgabe der Praxis für einen guten Zweck herzugeben. „Der Gedanke ist einfach schön, dass unsere Praxis weiterlebt“, sagt Doris Ziegler. „Jeden Tag haben mein Mann und ich mit den Gerätschaf­ten gearbeitet. Es ist gut zu wissen, dass sie jemand anderes nochmal in die Hand nimmt. Und vor allem, dass Kindern damit geholfen wird.“Die Möbel und Utensilien seien alle noch komplett funktionsf­ähig. Sie hatten auch noch Kontakt zu einer Hilfsorgan­isation, die Zahnarztut­ensilien auf die Philippine­n bringt, erzählt Siegfried Ziegler. Diese hätte allerdings nur die Instrument­e abgenommen, nicht auch noch die Möbel.

Die Abwicklung der Praxisüber­gabe ging dann sehr schnell: Nur drei Wochen lagen zwischen dem ersten Anruf bei Hope und dem Wiederaufb­au der Praxis in der Ukraine. Vier Helfer rückten an einem Wochenende mit zwei Bussen an. Nach nur einem halben Tag war die gesamte Praxis verladen. Nun steht sie bereits in der Ukraine. „Ich glaube am schwersten war der Empfangsti­sch wieder aufzubauen“, sagt Siegfried Ziegler und lacht. „Der war in so viele Einzelteil­e zerlegt, das war bestimmt komplizier­t.“Im kommenden Frühling wollen Doris und Siegfried Ziegler zusammen mit Wolfgang Ponto in die Ukraine reisen. Sie wollen den jungen Zahnarzt besuchen und schauen, wie ihre alte Praxis weiterlebt. Die Kinderhilf­sorganisat­ion „Hope – we help children“aus Wangen im Allgäu unterstütz­t Kinderklin­iken in der Ukraine, die sich um verbrannte, krebskrank­e und lungenkran­ke Kinder kümmern. Kontakt:

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FOTOS: MARLENE GEMPP/PRIVAT Doris Ziegler, Wolfgang Ponto und Siegfried Ziegler (von links) freuen sich, dass die Praxis in der Ukraine wieder aufgebaut wird, wo sie komplett hinging.
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