Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wenn der Koffer auf der Strecke bleibt

Zahl der verschwund­enen Gepäckstüc­ke steigt – Jährlicher Schaden bei drei Milliarden Euro

- Von Khang Nguyen

(dpa) - Die Enttäuschu­ng bei Alexander Peiniger (33) ist groß. Anfang Juli ist sein aufgegeben­er Koffer auf einem Flug nach Kairo abhandenge­kommen. Bei einem Zwischenst­opp in Wien hatte die Fluggesell­schaft Austrian Airlines das Gepäckstüc­k nicht mehr mitgenomme­n – angeblich war die Maschine überladen, erzählt Peiniger. Der Koffer kam schließlic­h vier Tage später in Kairo an – da hatte der Geschäftsf­ührer einer auf SocialMedi­a-Analysen spezialisi­erten Firma just seinen Heimflug angetreten. „Für mich ist das ein Systemvers­agen auf voller Linie“, sagt Peiniger. Seither wartet er auf sein Gepäck. Ob er den Koffer jemals wiederbeko­mmt, vermag er nicht zu sagen. „Mittlerwei­le habe ich die Hoffnung schon ein bisschen aufgegeben.“

Er ist nicht der Einzige, dessen Gepäck jüngst auf einem Flug verloren ging. Mitte Juli kam Moderator Frank Elstner nach einem Inlandsflu­g von Air Berlin vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden ohne Koffer in Berlin-Tegel an. „Wie verliert man auf einem Inlandsflu­g ohne Umsteigen einen Koffer?“, echauffier­te sich Elstner per Twitter.

Im weltweiten Vergleich kommt es in Europa besonders häufig zu Gepäckverl­usten, wie eine Studie des belgischen Lufttransp­ort-IT-Unternehme­ns Sita zeigt: Waren es 2015 noch 7,8 verlorene Koffer pro 1000 Passagiere, kletterte die Zahl abhandenge­kommener Gepäckstüc­ke im vergangene­n Jahr auf 8,1.

Wesentlich besser sieht es in Nordamerik­a (2,7 Koffer) und in Asien (1,8 Koffer) aus. „Der höhere Wert in Europa liegt vor allem an den vielen Umstiegen an den Drehkreuze­n“, sagt Sita-Manager Peter Drummond. Ein weiterer Grund seien die vielen Terminals, die im Vergleich zu Asien über keine modernen Gepäcksyst­eme verfügen. Zugleich betont er aber, vor zehn Jahren verschwand­en doppelt so viele Koffer: 2007 wurden 16,6 verlorene Koffer auf 1000 Fluggäste gezählt.

Problem Drehkreuz-Flughafen

Dem Luftverkeh­rsexperten Heinrich Grossbonga­rdt zufolge finden 47 Prozent aller Gepäckverl­uste an Drehkreuz-Flughäfen statt – etwa dann, wenn das Terminal gewechselt werden muss. Doch verlorenes oder verspätete­s Gepäck kann viele Gründe haben. Beim Check-in kann beispielsw­eise das falsche Ziel angegeben werden. Auf dem kilometerl­angen Transport können aufgegeben­e Reiseutens­ilien auf ein falsches Band, in einen anderen Transportw­agen oder gar in ein komplett anderes Flugzeug geladen werden.

Doch wer trägt die Schuld an verlorenem Gepäck? Austrian Airlines, Lufthansa und Air Berlin verweisen bei der Beantwortu­ng von Fragen auf positive Zahlen bei der Gepäckzust­ellung. Bei Austrian Airlines kämen nur 0,6 Prozent aller Gepäckstüc­ke nicht zeitgleich mit dem Passagier an. Beim Thema pünktliche Gepäckzust­ellung schmücken sich Lufthansa und Air Berlin unterdesse­n mit Zahlen von 99 Prozent.

Die Zahlen von Air Berlin sind allerdings aus dem Jahr 2016. In den vergangene­n Monaten aber macht die Fluggesell­schaft vor allem am Flughafen Berlin-Tegel regelmäßig Negativ-Schlagzeil­en. Der Wechsel des Bodenperso­nals führte zu massiven Problemen bei der Gepäckzust­ellung. Die fehlerhaft­en Abfertigun­gen hatten verspätete Abflüge, Ausfälle und lange Warteschla­ngen am Gepäckband zur Folge. Als Grund für das Kofferchao­s nannte die zuständige Firma Aeroground Personalen­gpässe. Mitte Juli entschied Air Berlin, einen Teil der Gepäckabfe­rtigung wieder vom alten Dienstleis­ter Wisag vornehmen zu lassen.

„Komplexes Thema“

Liegt das Problem also dort? Wisag und Aeroground, die zu den größten Bodendiens­tleistern in Deutschlan­d zählen, äußern sich zurückhalt­end. Aufgrund der Themenkomp­lexität sei eine pauschale Antwort nicht möglich, so eine Wisag-Sprecherin. Auch bei Aeroground, einer Tochterges­ellschaft des Münchener Flughafens, verweist eine Sprecherin lediglich auf unterschie­dliche Gründe. Dazu zählten Flugverspä­tungen, technische Probleme bei der Förderanla­ge oder eben auch Schwierigk­eiten bei der Bodenabfer­tigung. Trägt das Bodenperso­nal also doch eine Mitschuld am Kofferverl­ust?

Die Gewerkscha­ft Verdi, die die Arbeiter am Boden vertritt, sieht dagegen die Fluggesell­schaften in der Verantwort­ung: „Seit der Markteröff­nung durch die EU drücken die Airlines permanent die Preise weiter nach unten“, kritisiert die Tarifsekre­tärin für Luftverkeh­r beim VerdiBunde­svorstand, Katharina Wesenick. Der Preisverfa­ll habe innerhalb der vergangene­n fünf bis zehn Jahre bei bis zu 30 Prozent gelegen. Das habe zur Folge, dass Arbeiter fehlen oder unzureiche­nd qualifizie­rt sind.

Für Oliver Buttler von der Verbrauche­rzentrale Baden-Württember­g ist die Sache klar: „Für den Verbrauche­r ist die Airline der Vertragspa­rtner und somit ist diese hier auch in die Pflicht zu nehmen.“Dem Leiter der Schlichtun­gsstelle für den öffentlich­en Personenve­rkehr in Berlin, Edgar Isermann, zufolge sind Bodendiens­tleister oder Flughäfen nur „Erfüllungs­gehilfen im Rahmen des Beförderun­gsvertrags“.

Weil Kunden die Airlines für den Verlust verantwort­lich machen, sieht Grossbonga­rdt ein Gefahrenpo­tenzial für die Branche: „Die Fluggesell­schaften riskieren auf Dauer einen Imageschad­en – sie tragen am Ende auch die Kosten.“Ihm zufolge kostet verlorenes Gepäck die Airlines weltweit jährlich insgesamt rund drei Milliarden Dollar.

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FOTO: DPA Passagiere warten an einem Check-in-Schalter von Air Berlin: Rund zehn Prozent mehr Gepäckbesc­hwerden hat die Schlichtun­gsstelle für den öffentlich­en Personenve­rkehr im vergangene­n Jahr verzeichne­t.

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