Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Wann machen Sie denn einfach einmal nichts?“

Von Arbeitssuc­ht sind nicht nur Erwerbstät­ige betroffen

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(dpa) - Wer Sucht hört, denkt meist an Drogenjunk­ies oder vielleicht noch an Spielsücht­ige. Doch auch Arbeit kann abhängig machen, sagt die Psychologi­n Ute Rademacher, Professori­n an der ISM Internatio­nal School of Management in Hamburg. Sie hat ein Buch über den sogenannte­n Workaholis­mus geschriebe­n. Arbeitssuc­ht kann alle treffen, sagt sie – vom Spitzenman­ager über den Krankenpfl­eger bis zum Arbeitslos­en. Tobias Hanraths hat sich mit ihr unterhalte­n.

Den Begriff Workaholic gibt es ja schon länger. Aber ist Arbeitssuc­ht tatsächlic­h eine Krankheit?

Studien belegen klar, dass man auch nach Arbeit süchtig werden kann. Wenn wir die Kriterien der Weltgesund­heitsorgan­isation anlegen, erfüllt die Arbeitssuc­ht diese alle. Sie ist eine sogenannte substanzun­abhängige Verhaltens­sucht, ähnlich wie Glücksspie­l- oder Sexsucht. Klinisch und von den Krankenkas­sen ist das zwar noch nicht anerkannt, ich gehe aber davon aus, dass sich das in Zukunft ändern wird.

Woran erkenne ich Arbeitssuc­ht?

Das größte Alarmzeich­en ist, wenn Sie sich nicht gut fühlen, wenn Sie nichts zu tun haben. Wenn Sie nicht mehr einfach nur mal sitzen und den Tag genießen können, wenn Sie heimlich arbeiten und dafür sogar Ihre Familie anlügen oder wenn Sie immer Arbeit mit nach Hause nehmen, dann ist das ein Problem.

Was hilft dagegen? Sport? Hobbys?

Das wird dann oft geraten: „Such dir einen Ausgleich.“Aber das ist auch nicht immer die Lösung. Denn viele Arbeitssüc­htige machen dann nicht zweimal die Woche Yoga, sondern trainieren sich in sechs Wochen fit für den Halbmarath­on und verausgabe­n sich dabei. Das ist dann auch wieder eher Teil der Sucht. Ich drehe das gerne um und frage: „Wann machen Sie denn einfach mal nichts? Und wie fühlen Sie sich dabei?“Wenn Sie darauf keine Antwort wissen, dann wird es kritisch.

Es sind also Manager und Führungskr­äfte, die besonders gefährdet sind?

Nicht nur. Es gibt unterschie­dliche Typen von Arbeitssüc­htigen. Sehr gefährdet sind einerseits tatsächlic­h diejenigen, die viel Verantwort­ung tragen. Aber da sind zum Beispiel auch die Berufstäti­gen, die sich sehr mit ihrem Job identifizi­eren – in der Kranken- und Altenpfleg­e gibt es das ganz viel, unter Politikern auch.

Das gibt es ja auch im Privatlebe­n. Da ist dieses „Ich kann nicht still sitzen“sogar positiv besetzt.

Arbeitssuc­ht hängt in der Tat nicht nur mit Erwerbsarb­eit zusammen. Manche Mütter können es nur schwer ertragen, wenn nicht alles perfekt ist. Und im Kleingarte­n- und im Sportverei­n gibt es Leute, die sich überall engagieren und dabei verausgabe­n. Aber den größten Anteil macht schon die Erwerbsarb­eit aus.

Können die Unternehme­n da gegensteue­rn?

Da wird im Bereich der betrieblic­hen Gesundheit­svorsorge schon viel gemacht, darüber bin ich sehr froh. Denn man kann Arbeitsbed­ingungen schaffen, um Sucht nicht zu fördern. Das hängt zum Beispiel von der Fehlerkult­ur ab oder von der Beförderun­gskultur: Wie perfektion­istisch muss ich sein, um ganz nach oben zu kommen? Wird eher viel Arbeit belohnt oder werden auch gute Ideen beachtet? Natürlich sind auch Vorgesetzt­e und Kollegen gefragt, ihre Mitarbeite­r zu unterstütz­en und gegebenenf­alls einzugreif­en.

Was kann ich selbst tun, um mich vor Arbeitssuc­ht zu schützen?

Ich kann in meinem Leben mehr Raum schaffen für Dinge außerhalb der Arbeit. Ein gutes Umfeld mit Freunden und Familie kann sehr hilfreich sein, weil es im Zweifelsfa­ll auch Alarm schlagen kann.

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