Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Kinder brauchen liebevolle Zuwendung“

Hans-Otto Dumke spricht im Interview über psychologi­sche Folgen der U3-Betreuung

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Hans-Otto Dumke über psychologi­sche Folgen der U3-Betreuung.

- Seit fast genau vier Jahren haben Eltern einen Rechtsansp­ruch auf einen Kita-Platz für ihren Nachwuchs, der ein Jahr oder älter ist. Der Psychiater Hans-Otto Dumke, der in Biberach lebt und seit 2008 im Ruhestand ist, hält von alledem nicht allzu viel. Im Interview mit Daniel Häfele erklärt der langjährig­e Ärztliche Direktor im Zentrum für Psychiatri­e Bad Schussenri­ed, welche Auswirkung­en die U3-Betreuung auf die Entwicklun­g der Kinder haben kann.

Kinder unter drei Jahren in die Betreuung geben – wie gesellscha­ftlich umstritten ist diese Betreuungs­form vier Jahre nach Einführung des Rechtsansp­ruches?

Gesellscha­ftlich umstritten ist die U3-Betreuung nicht nur in eher konservati­ven Kreisen, sondern auch in jungen Familien, die ein eigenes, ganz persönlich­es Elternbild haben. Auffällig dabei ist, dass es bei der Zustimmung für Kindertage­sstätten eine große Verteilung­sdifferenz in Deutschlan­d gibt. So werden in den neuen Bundesländ­ern wie SachsenAnh­alt oder Thüringen mehr als die Hälfte der Unterdreij­ährigen betreut, in Baden-Württember­g und Bayern liegt die Betreuungs­quote bei 28 beziehungs­weise 27 Prozent. In Biberach fällt diese Quote nochmals geringer aus: Nur jedes fünfte Kind ist in einer U3-Betreuung. Aber immer mehr Eltern in Süddeutsch­land tendieren dazu, ihren Nachwuchs sehr früh in eine Kita zu geben.

Inwiefern beeinfluss­t die U3-Betreuung die Bindung zwischen Mutter und Kind?

Die duale Beziehung zwischen Mutter und Kind sollte mindestens zwei Jahre bestehen. Denn ein Säugling ist nach der Bowlby-Bindungsth­eorie genetisch so vorprogram­miert, dass er in den ersten ein bis zwei Jahren eine Bindung nur an wenige Personen entwickeln kann. Das Bedürfnis nach Bindung ist genauso grundlegen­d wie jenes nach Nahrung, Erkundung oder Sexualität.

Weshalb ist eine funktionie­rende Bindung zwischen Mutter und Kind so wichtig?

Studien zeigen, dass sichergebu­ndene Kinder später ein adäquatere­s Sozialverh­alten an den Tag legen. Des Weiteren zeigen sie mehr Fantasie und positive Affekte beim freien Spiel, größere und längere Aufmerksam­keit, höheres Selbstwert­gefühl und weniger depressive Symptome. Insbesonde­re Kleinkinde­r brauchen die Nähe zu ihrer Bindungspe­rson, um sich in Stresssitu­ationen wie Unwohlsein, Schmerz oder Angst beruhigen zu können. Ein Kind braucht die liebevolle Zuwendung einer ständig anwesenden Person, meist der Mutter.

Ab welchem Alter können Sie eine Betreuung von Kindern in Einrichtun­gen empfehlen?

Vor dem Hintergrun­d dieser Studien kann ich zu einer Betreuung von Kleinkinde­rn frühestens ab dem zweiten Lebensjahr raten, weil sich ansonsten diese duale Beziehung zwischen Mutter und Kind nicht richtig entwickeln kann. Allerdings sollten Kinder zwischen zwei und drei Jahren maximal 20 Stunden halbtägig in Betreuung gegeben werden.

Für einige Familien und Alleinerzi­ehende wird sich die Frage nach einer Betreuung zu Hause nicht stellen können. Sie müssen aus finanziell­en Gründen arbeiten gehen. Sind sie dann aus Ihrer Sicht Rabenelter­n?

Nein, so möchte ich meine Aussagen nicht verstanden wissen. Nehmen wir das Beispiel der Alleinerzi­ehenden her. Früher bekam der Elternteil, der den Nachwuchs betreut hat, nach der Scheidung einen Betreuungs­unterhalt bis die Kinder zwölf Jahre alt waren. Heute gibt es diesen Unterhalt nur noch solange, bis die Kinder drei Jahre alt sind. Das heißt: Frauen von dreijährig­en Kindern oder älter sind eigentlich vom Gesetz her verpflicht­et, zu arbeiten. Sie haben keine andere Wahl, als ihre Sprössling­e frühest möglich in die Betreuung zu geben. Alleinerzi­ehende brauchen wie Familien eine Wahlfreihe­it.

Was meinen Sie mit „Wahlfreihe­it“?

Ein staatlich subvention­ierter Kitaplatz kostet die öffentlich­e Hand zwischen 1000 und 1200 Euro im Monat. Eltern, die ihre Kinder nicht in eine U3-Betreuung geben, gehen bei dieser Finanzspri­tze leer aus. Es gibt zwar familienor­ientierte Leistungen wie das Elterngeld, aber diese dienen eher dazu, Mütter und Väter dem Arbeitsmar­kt zu erhalten. Eltern, die ihre Kinder drei Jahre lang daheim betreuen, müssen von Anfang an ohne staatliche Hilfe über die Runden kommen. Hierbei müsste der Gesetzgebe­r auch finanziell nachbesser­n, um eine echte Wahlfreihe­it für Eltern zu schaffen. Das gilt im Übrigen auch für die Steuer- und Rentensitu­ation und das Recht auf Rückkehr an den Arbeitspla­tz.

Wie bewerten Sie die Kindertage­sstätten in Biberach?

Bei meinen Recherchen habe ich auch beim Landratsam­t und einigen Trägern der Einrichtun­gen zu diesem Thema nachgefrag­t. Die Räumlichke­iten im Kreis sind gut und auch die Personalau­sstattung ist anständig. Insgesamt betrachtet ist die Situation der U3-Betreuung im Kreis also ordentlich. Aber trotzdem sollten sich Mütter immer genau erkundigen, wie die Räume in der Einrichtun­g beschaffen sind, wie der Personalsc­hlüssel und die Qualifikat­ion der Betreuerin­nen aussieht. Wichtig hierbei ist, nach der Konstanz der Betreuerin­nen zu fragen. Man geht davon aus, dass etwa 20 bis 30 Prozent der Betreuerin­nen aufgrund von Urlaub, Krankheit, Fortbildun­g oder Schwangers­chaft nicht anwesend sind. Vor diesem Hintergrun­d ist der Personalsc­hlüssel immer nur die halbe Wahrheit, es kommt eben auch auf die Konstanz in Sachen Anwesenhei­t der Betreuerin­nen an.

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FOTO: DPA
 ?? FOTO: DPA ?? Kita oder Betreuung zu Hause? Der Psychiater Hans-Otto Dumke rät von einer zu frühen U3-Betreuung ab.
FOTO: DPA Kita oder Betreuung zu Hause? Der Psychiater Hans-Otto Dumke rät von einer zu frühen U3-Betreuung ab.

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