Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Vorgeschichtlicher Keramik auf der Spur
Eine Stunde beim Ausgrabungsteam in Ensmad
ENSMAD - Eine Stunde ist bei Ausgrabungen nahezu nichts; Archäologen rechnen in weit größeren Zeiträumen. Was ist dennoch innerhalb einer Stunde über die Arbeit, die Methoden und Arbeitsweisen zu erfahren? Am relativ neuen Grabungsort der frühen Kelten in Ensmad – sie lebten zwischen 700 und etwa 400 vor Christus hier –ist Einiges zu sehen, zu entdecken, zu lernen. Auch für Besucher.
Geduld, Ausdauer und Durchhaltevermögen, Robustheit, Wetterfestigkeit und Spaß an der besonderen Arbeit sind neben dem Wissen und dem Interesse unverzichtbare Wesensmerkmale eines Ausgräbers – ob fertiger oder zu promovierender Archäologe, Student der Archäologie oder eines anderen Fachgebietes, Grabungshelfer oder einfach interessierter Laie. In Ensmad sind in diesem Sommer all diese Personengruppen zu finden. Und international ist das Team außerdem.
Im ersten Rundbogenzelt links des Weges an der Kirche vorbei wird neben dem Arbeiten geschwatzt und viel gelacht. Hier sind Mitglieder der Gesellschaft für Archäologie in Württemberg und Hohenzollern auf den Knien. Alles ehrenamtliche Grabungshelfer. „Ein Jugendtraum“, sagt Ralf Müller, einer der sieben. Aus vielen verschiedenen Veranstaltungen kennen sie sich. Sie lernen hier alle archäologischen Arbeitsschritte und haben heute, an ihrem ersten Tag, bereits eine stattliche Anzahl an Funden vorzuweisen: zahlreiche Keramikscherben, mit und ohne Verzierung oder Bearbeitungsspuren, Knochen und Zähne, Schlacke – gesammelt in blauen Schütten. „Auf jeden Fall ist es vorgeschichtliche Keramik“, sagt Henrik Junius, Leiter der diesjährigen Grabung in Ensmad. Er wird bei Funden gerufen, sammelt die Stücke in verschiedenen Tüten, getrennt nach den unterschiedlichen Lagervoraussetzungen.
Fünf von ihnen arbeiten sich auf den Knien Stück für Stück rückwärts Richtung Rand der Grube. Mit kleinen Kellen putzen sie zwischen den im Boden steckenden Steinen. „Halt! Keramik!“, ist plötzlich zu hören. Christine Denk kommt mit der Stange, Karin Weiß-Wrana geht zum entsprechenden Gerät und vermisst den Fundort für die anschließende Dokumentation. Die Scherbe wird herausgehoben, genau in den Fingern gedreht und an Henrik Junius übergeben, der jedem Stück eine Nummer zuweist. Und haben die sieben auch einen Blick für ihren idyllischen Arbeitsort? „Da kann man sich sogar erholen beim Arbeiten“, sagen sie übereinstimmend.
Bei der Gruppe im zweiten Zelt ist es wesentlich ruhiger. In unempfindlichen Hosen und T-Shirts, festen Schuhen und mit Handschuhen arbeiten sie sich in einem Tag durch ihre Grube von etwa sieben mal zehn Metern, überspannt vom Rundbogenzelt. Auf Schaumstoffpolstern kniend, rücken sie auf ihrem Streifen mit Blick auf das Geschaffte voran. Größere und kleinere Kellen, Gartenkratzer sind ihr Werkzeug. Sie bearbeiten damit den Boden und lösen kleinere Steine, sieben den Abraum akribisch mit den Fingern durch. Ist Verwertbares drin? Eine dunkle Keramikscherbe mit kleiner Verzierung am Rand landet in der roten Schütte. Den Abraum füllt jeder in seinen Eimer; größere Mengen schaufelt Luis Bauknecht in den herbeigefahrenen Kipper. „Da bin ich sicher, dass nix mehr drin ist“, sagt er. Er sei ihr „Trüffelschwein“, meint lachend Dr. Roberto Tarpini und ergänzt: „Er sieht jedem Krümel an, ob der was hergibt.“Zusammen mit Dr. Leif Hansen ist Tarpini Leiter der Grabungen im Gebiet hier, zusammen mit Heuneburg, Alte Burg, Große Heuneburg unter Projektleiter Landesarchäologe Professor Dirk Krausse.
Am bereits geputzten Teilstück sind Flächen von Verfärbungen zu erkennen, die auch im ausliegenden Plan genau verzeichnet sind. Sie enthalten dunkleres Material und deuten auf Verfüllungen hin. Im an verschiedenen Stellen bereits angelegten Profilschnitt, so Dr. Leif Hansen, erkenne der
Fachmann ihre vermutliche
Bedeutung: hier wohl Pfostenlöcher oder Gruben, der senkrechten Wände wegen. Proben würden entnommen, um im Labor Rückschlüsse auf die Ernährung der damaligen Bewohner zu erhalten. „Wir arbeiten schon gründlich“, ergänzt er schmunzelnd. Aber: „Alles was wir ausgraben ist nachher weg.“Als eine „kontrollierte Zerstörung“, dokumentiert nach modernsten Methoden, beschreibt er seine Arbeit.
Und dann? „Wenn wir fertig sind, decken wir alles wieder zu“, sagt Hansen und Tarpini ergänzt: „Schön Schicht auf Schicht. Wie es war.“Im Idealfall sei anschließend kaum etwas zu sehen. „Und bei ganz tiefen Gruben, werfen wir vor dem Zuschütten ein ganz aktuelles Geldstück rein“, sagt Hansen, damit die nachfolgenden Ausgräber – „in 50 Jahren“– sehen, dass und wann vor ihnen gegraben worden war.
Am 10. September – zum Tag des offenen Denkmals – werden auf der Großen Heuneburg bei Upflamör Führungen angeboten. Zwischen 10 und 14 Uhr stehen die Experten zur Verfügung. Mehr Fotos von den Ausgrabungen unter ●» www. schwäbische. de, unter der Ortsmarke Langenenslingen