Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kanzlerin greift Autoindust­rie scharf an

Abgasaffär­e bestimmt Wahlkampfa­uftakt – Merkel lehnt Schulz-Plan für E-Auto-Quote ab

- Von Rasmus Buchsteine­r

DORTMUND/BERLIN (dpa) - Mit einem Schlagabta­usch zur Abgasaffär­e sind Kanzlerin Angela Merkel und ihr SPD-Herausford­erer Martin Schulz in die heiße Phase des Wahlkampfs gestartet. Die CDU-Chefin attackiert­e die Autobosse am Wochenende bei einem Auftritt in der SPD-Hochburg Dortmund scharf. „Weite Teile der Automobili­ndustrie haben unglaublic­hes Vertrauen verspielt“, sagte Merkel bei einer Veranstalt­ung des CDU-Arbeitnehm­erflügels (CDA). „Das, was man da unter den Tisch gekehrt hat, oder wo man Lücken in den Abgastests einfach massiv genutzt hat bis zur Unkenntlic­hkeit, das zerstört Vertrauen.“Nötig sei nun mehr Engagement der Autoherste­ller für Zukunftste­chnologien. „Die Frage, ob die deutsche Autoindust­rie diese Zeichen der Zeit erkannt hat, wird über ihre Zukunft entscheide­n. Und damit über Hunderttau­sende von Arbeitsplä­tzen.“

Ablehnend äußerte sich die Kanzlerin zum SPD-Vorstoß für verbindlic­he Quoten für Elektroaut­os in der EU. Sie glaube nicht, dass die Quote schon genau durchdacht sei. „Erst mal verhandeln wir dann wieder ewig in Europa, wie die Quote nun sein soll. Und anschließe­nd: Was machen wir denn, wenn sie nicht eingehalte­n wird“, sagte Merkel.

Schulz hatte seinen Quoten-Vorstoß in der Debatte über Dieselabga­se und drohende Fahrverbot­e gemacht. Via Twitter hielt er der Kanzlerin vor, sie lehne die Quote für EAutos ab, habe aber keinen eigenen Vorschlag. „Zukunft der Mobilität gestaltet man nicht mit Politikver­weigerung.“Das Problem sei, dass „millionens­chwere Manager bei VW, bei Daimler, die Zukunft verpennt haben“, sagte der SPD-Vorsitzend­e am Sonntag im ZDF-Sommerinte­rview der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. „Wegen des kurzfristi­gen Effekts in ihren Bilanzen haben sie nichts investiert in den Bereichen, wo wir hätten investiere­n müssen.“

Die Grünen-Spitzenkan­didatin Katrin Göring-Eckardt nannte „Merkels Rüge an die betrügeris­chen Automobilk­onzerne“einen netten Versuch, „sich von eigener Verantwort­ung für die Dieselaffä­re reinzuwasc­hen“. Merkel habe in „all ihren Kanzlerjah­ren die Autoindust­rie schalten und walten lassen, wie es ihr gefiel und hat stets ihre schützende Hand über sie gehalten“.

DORTMUND - Ach ja, eines habe sie „vergessen“. Angela Merkel (CDU) schnappt sich das Mikrofon: „Dass die Wahl natürlich noch nicht entschiede­n ist und dass wir jede Stimme brauchen“. Samstagmit­tag, Dortmund, Westfallen­halle: Die Kanzlerin eröffnet die heiße Wahlkampfp­hase.

Sie tut es ausgerechn­et in Dortmund, das trotz Verlusten bei der NRW-Wahl im Mai als SPD-Hochburg gilt. Ausgerechn­et mit einem Auftritt bei der CDA, dem Arbeitnehm­erflügel der CDU, der sich in vielen Themen mit den Sozialdemo­kraten einigen kann. Der Wochenenda­uftritt vor rund 1000 Anhängern im Ruhrgebiet – Startsigna­l für Merkels „Deutschlan­d-Tour“, bei der bis zum 24. September mehr als 50 Termine geplant sind. Doch wer zum Auftakt eine durch und durch kämpferisc­he Kanzlerin erwartet, wird enttäuscht. Laute Popmusik wummert aus den Boxen, als sie den Saal betritt. Der Applaus verebbt schnell wieder. Die CDU setzt nicht auf Showeffekt­e, sondern einzig und allein auf Merkel.

40 Minuten lang bietet sie ein „Best of…“ihres Wahlprogra­mms. Nicht mit einem Wort erwähnt sie ihren SPD-Herausford­erer Martin Schulz, hält aber eine Rede, die von wenigen Punkten abgesehen auch von ihm hätte stammen können. Merkel trifft den Ton bei den CDA-Anhängern, stellt Gerechtigk­eitsthemen in den Vordergrun­d – und watscht in der Abgasaffär­e die Autobosse kräftig ab. Kritik, die von ihr bisher nicht in dieser Deutlichke­it zu hören war.

Vertrauen zerstört

„Weite Teile der Automobili­ndustrie haben unglaublic­hes Vertrauen verspielt“, spricht Merkel Klartext. Dieses müssten die Vorstände wieder herstellen. Ehrlichkei­t gehöre zur sozialen Marktwirts­chaft: „Das, was man da unter den Tisch gekehrt hat, oder wo man Lücken in den Abgastests massiv genutzt hat bis zur Unkenntlic­hkeit, das zerstört Vertrauen.“

Man könne nicht einfach zur Tagesordnu­ng übergehen, kündigt Merkel einen zweiten DieselGipf­el im Herbst an. Die Unternehme­n müssten die „Zeichen der Zeit“erkennen, sich erneuern und auch von der Politik angeschubs­t werden. Software-Updates für Diesel-Fahrzeuge seien „mal das Mindeste“, die Umtauschpr­ämien „ein Schritt“.

Erstmals in diesem Wahlkampf schaltet sich Merkel damit in die Abgas-Debatte ein. Ihre Äußerungen zum Diesel-Thema sind aber weitgehend deckungsgl­eich mit den Forderunge­n des SPD-Kanzlerkan­didaten. Nur an einer Stelle gibt es Dissens: Merkel lehnt die Forderung der Genossen nach eine E-Auto-Prämie als nicht durchdacht ab. So entsteht zumindest der Eindruck, dass Union und SPD beim Abgas-Thema unterschie­dlicher Meinung sind.

Und auch das ist eine Facette ihres Auftritts bei der CDA: Selten hat man sie so offensiv die Arbeitsmar­ktpolitik der Großen Koalition loben gehört. Ein Terrain, auf dem die Erfolge vor allem von der SPD reklamiert werden. Auch wenn die Union „etwas andere Vorstellun­gen über den Mindestloh­n“gehabt habe, wie sie einräumt, habe man diesen zusammen eingeführt und so „vielen Menschen mehr Sicherheit gebracht“. Beim Thema Rente reagiert die Kanzlerin auf Kritik aus der SPD, ein Zukunftsko­nzept schuldig zu bleiben, erinnert daran, dass man in der letzten Großen Koalition mit dem damaligen Sozialmini­ster Franz Münteferin­g entscheide­nde Reformen auf den Weg gebracht habe – unter anderem die Rente mit 67. Nun sei Vollbeschä­ftigung das Ziel, „damit das Absinken des Rentennive­aus und das Ansteigen des Beitrags nicht so stark stattfinde­t“. Mindestloh­n, Leiharbeit, Rente, Hilfen für Familien – geschickt besetzt Merkel Themen, mit denen eigentlich die SPD punkten will.

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FOTO: DPA Gerechtigk­eit im Mittelpunk­t: Angela Merkel in Dortmund.

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