Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Aufbruchstimmung auf Sansibar
Die Gewürzinsel im Indischen Ozean putzt sich heraus und versucht den Spagat zwischen Schleier und Bikini
SANSIBAR-STADT (dpa) - Zerfallen wie Kuba, orientalisch wie Marrakesch, Traumstrände wie auf Mauritius: Die Insel Sansibar ist erwacht. Überall in der Altstadt wird gehämmert und gebaut, Stone Town glänzt wieder. Doch nicht alle sehen den Wandel positiv.
Das Hämmern der Zimmerleute ist gerade erst verstummt. Amina setzt sich mit ihrem Kohleöfchen unter ein Baugerüst und brutzelt Chapati-Teigfladen. „Noch nie wurde hier so viel gebaut wie heute“, sagt die hübsche Straßenköchin und deutet auf frisch sanierte Holztüren. Überall sind Fassaden von Altbauten mit Plastikplanen verhangen. Sansibar, die Tropeninsel vor Ostafrika ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht.
Interessantes Medley
Kurz vor der Dämmerung haben die meisten Urlauber jedoch keinen Blick für die kunstvollen Restaurierungen, sondern nur ein Ziel: das Meer. Am belebten Stadtstrand oder auf Dachterrassen neuer BoutiqueHotels wollen sie mit einem kalten „Kilimanjaro“-Bier auf den filmreifen Sonnenuntergang über dem Indischen Ozean anstoßen, wie einst die englischen Protektoratsherren seit 1888 im „Africa House“. Wie ein Schleier legt sich nahe des Äquators die Dunkelheit über die Stadt. und verschluckt die Silhouetten der DauSegler. Allabendlich erschallt eine verwirrende Kakophonie über der Altstadt. Aus den Bars am Meer tönt westlicher Rap, aus indischen Tempeln Glockengeklingel, von den Minaretten rufen die Muezzine. So mancher Besucher fragt sich, ob das Medley aus Tradition und Party Bestand haben wird auf der Insel, die so ganz anders ist als ihre luxuriösen Schwestern im Indischen Ozean.
Von Urlaubern wie Krisenreportern wird Sansibar als Relax-Oase auf einem sonst eher unruhigen Kontinent geschätzt. Halb so groß wie Mallorca und 40 Kilometer vor der Küste Tansanias gelegen, ist der halbautonome Inselstaat sehr gefragt, aber noch nicht überlaufen. 300 000 Touristen zog das Eiland im vergangenen Jahr an. Der plötzliche Bauboom sei wie in Kuba „ein Zeichen der Öffnung“, meint Hausbesitzer Said Salim. „Der Wettlauf der Investoren hat begonnen.“Wie Kuba muss Sansibar mit den Folgen jahrzehntelanger Verstaatlichung klarkommen. 200 Jahre gehörte das mehrheitlich muslimische Inselreich zum Sultanat von Oman, bis es 1964 in einem blutigen Coup mit dem sozialistischen Tanganjika zu Tansania zwangsvereinigt wurde. Doch die Rechnung ging hier ebenso wenig auf wie in Fidel Castros Reich: Statt Gerechtigkeit gab es Zerfall.
Sansibar mit seiner Altstadt, der Stone Town, wurde vor mehr als 1000 Jahren gegründet und ist heute Unesco-Weltkulturerbe. Reich wurde die Stadt durch den Handel mit Sklaven, Elfenbein und Gewürzen. Heute locken weiße Traumstrände, Palmenhaine und warme Temperaturen das ganze Jahr über – aber eben nicht nur. Den maroden Charme Sansibars genießen Urlauber zum Beispiel auf der Dachterrasse des legendären Hotels „Emerson on Hurumzi“, wo schon Bill Clinton und Johnny Depp arabische Snacks mit südafrikanischem Chardonnay-Weißwein kombinierten.
Stone Town heißt so, weil die meisten der 2000 denkmalgeschützten und ineinander verschachtelten ehemaligen arabischen Sultanspaläste, indischen Handelshäuser und winzigen Krämerläden aus Korallenstein gebaut sind. Die meisten Gebäude sind zwischen 100 und 150 Jahren alt. Die Stadt ist wie ein Freilichtmuseum, allerdings ein höchst lebendiges.
Unesco droht
Sansibar putzt sich heraus. Aziz bessert schwitzend eine vom Tropenklima mitgenommene Einlasspforte in der Altstadt aus. Die italienische Hilfsorganisation Acra schult 400 junge sansibarische Einwohner in fachgerechtem Restaurieren. Aufwendig geschnitzte Teaktüren, verziert mit Rosetten, Tauen, Fischen oder Messingdornen, sind ein Wahrzeichen Sansibars. „Wir wollen die Türen retten, bevor sie für immer verloren sind und gleichzeitig alte Fertigkeiten wieder beleben“, sagt ein Acra-Sprecher. Ganz freiwillig macht sich die Insel nicht ans Werk. „Der Aufschwung im Tourismus und Druck der Vereinten Nationen brachten wohl die Wende“, sagt der Altparlamentarier Parmuk Singh. Seitdem die Unesco 2016 drohte, dem schönen Sansibar wegen Nachlässigkeit den Status als Weltkulturerbe zu entziehen, werden öffentliche Grünzonen wie der JamhuriGarten zum ersten Mal seit Jahren gesäubert. Vor den Plattenbauten am Stadtrand leuchten jetzt solarbetriebene Straßenlaternen. Anfang der 1970er-Jahre wurden die Gebäude von der DDR für die sozialistische Bruderinsel gespendet. Noch heute sind sie Heimat für rund 20 000 Bewohner.
Der bekannte Architekt Abdul Sheriff meint jedoch, für die Rettung des Weltkulturerbes sei es bereits zu spät: „85 Prozent der Altstadt sind unwiederbringlich verloren.“So bleibt ausgerechnet das majestätische „Haus der Wunder“vorerst geschlossen – wegen akuter Einsturzgefahr. Dabei galt der frühere Sultanspalast mit seinen ausladenden Terrassen, 1883 erbaut, als Symbol des Fortschritts: Es war das erste Gebäude mit Elektrizität südlich der Sahara. Anderswo führt Investoreneifer zu Bausünden. Das neue Luxushotel „Park Hyatt“am Rand der Altstadt zerstöre die Skyline des alten Sansibars, monierten die UnescoPrüfer. Sie forderten einen teilweisen Rückbau des Hauses.
Manchem Urlauber in Sansibar fällt die Entscheidung schwer, ob er Stadturlaub plus Strand oder Strandurlaub plus Stadt machen soll. Am besten beides. Obwohl man auch am Stadtstrand schwimmen kann, liegen die Traumstrände an der Nord- und Ostküste. Auf kürzlich sanierten Landstraßen geht es an Mangobäumen und Lehmhütten vorbei zu den Urlaubshochburgen. Im Jozani Forest, dem letzten erhaltenen Urwald, sieht der Besucher mit Glück seltene Rote Stummelaffen, auf Gewürzplantagen im Landesinnern erfährt er, wo und wie der Pfeffer wächst.
Touristisch am weitesten entwickelt ist der Norden der Insel bei Nungwi. An der Ostküste liegen an 30 Kilometern Sandstrand Fischerdörfer und Stationen für Kitesurfing. Pauschalhotels bieten Tauchen und Schnorcheln am Korallenriff, zum Brunch trifft sich die Szene zu Scampi-Wraps an der Strandbar. Dort fühlt sich das neue Sansibar wie das alte Ibiza an.
Manche beobachten den Wandel mit großer Sorge. Der Lokaljournalist Faridi Hamid sieht das nicht ganz so negativ. Er glaubt, dass Sozialismus und Tourismus, Schleier und Bikinis auch in Zukunft auf Sansibar friedlich koexistieren werden.