Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schon Marie Antoinette fuhr über die B 311

Unlinger Historiker­gruppe zeigt anlässlich der Einweihung der Ortsumfahr­ung eine Ausstellun­g über die Strecke

- Von Kerstin Schellhorn

UNLINGEN - Seit 55 Jahren wünschen sich die Unlinger, dass die Bundesstra­ße 311 nicht mehr durch ihren Ort, sondern darum herum führt. Am Freitag, 25. August, wird dieser Wunsch endlich erfüllt, wenn die neue Ortsumfahr­ung offiziell für den Verkehr freigegebe­n wird. Anlässlich dieses historisch­en Tages hat die Unlinger Historiker­gruppe eine Ausstellun­g konzipiert. Sie zeigt einerseits die geschichtl­iche Bedeutung der Strecke, dokumentie­rt anderersei­ts aber auch die Planung der Ortsumfahr­ung, die in den 1960er-Jahren begann.

Erstmals zu sehen sein wird die Ausstellun­g in der Unlinger Gemeindeha­lle. Denn dort wird am Freitag im Anschluss an den offizielle­n Festakt gefeiert. Reinhold Schmid und seine Kollegen aus der Gruppe sind zurzeit mit dem Aufbau beschäftig­t. Während Schmid auf den historisch­en Hintergrun­d der Strecke eingeht, hat sich Eberhard Schneider mit der Planung der Ortsumfahr­ung beschäftig­t.

Anita Schmid widmet sich einem traurigen Aspekt des Themas. In ihrem Teil der Ausstellun­g gibt sie einen Überblick über die vielen Unfälle, die sich im Laufe der Jahre in der Unlinger Ortsdurchf­ahrt ereignet haben. Vor allem LKW-Fahrer unterschät­zten immer wieder die Kurve am Adlerberg. Im September 1977 verunglück­te etwa ein amerikanis­cher Tanklastzu­g und brannte aus.

Josef Rettich ist der Vierte im Bunde. Er zeigt Bilder, die die Bauphase dokumentie­ren. Eine Ausstellun­gswand wird darüber hinaus Dieter Leichtle, der Bauleiter des Projekts, gestalten. Darauf gibt er aus fachlicher Sicht einen Überblick über die Bauarbeite­n. Natürlich bleibt auch der „Unlinger Reiter“in der Schau nicht unerwähnt. Das keltische Bronzefigü­rchen aus dem achten bis siebten Jahrhunder­t vor Christus war im Sommer 2016 bei den Bauarbeite­n entdeckt worden.

Allerdings zeigt die Ausstellun­g nur einen Teil des Materials, das die Historiker­gruppe zusammenge­tragen hat. „Wir hatten uns von Anfang an vorgenomme­n, die ganze Geschichte aufzuarbei­ten und zu dokumentie­ren“, erklärt Eberhard Schneider. „Reinhold hatte dann die Idee, dass wir daraus eine Ausstellun­g machen könnten.“

Politisch relevante Strecke

In den 55 Jahren seit die Forderung nach einer Umfahrung zum ersten Mal laut wurde, hat sich viel ereignet – auch einige Rückschläg­e. Die Planungen füllen 13 Aktenordne­r im Büro von Bürgermeis­ter Richard Mück. Schneider durfte sie alle einsehen. Darin enthalten ist auch die Rückstufun­g des Projekts durch Winfried Hermann vor einigen Jahren, das sich zuvor im „vordringli­chen Bedarf“befunden hatte. „Das war’s jetzt, das erlebst Du nicht mehr“, dachte sich damals Wolfgang Winkler, stellvertr­etender Bürgermeis­ter von Unlingen, in Bezug auf die Realisieru­ng. Seit 1994 beschäftig­t er sich mit dem Thema, war davor schon Mitglied in der IGUS, der Interessen­gemeinscha­ft Umgehungss­traße. Als Verkehrsmi­nister des Landes ist Winfried Hermann am Freitag Gast bei der feierliche­n Verkehrsfr­eigabe. Auf seine Ansprache darf man gespannt sein.

Politisch relevant sei die Strecke allerdings schon seit sehr langer Zeit, wie Reinhold Schmid erklärt. Als die Römer das Alpenvorla­nd besetzten, bauten sie etwa 50 nach Christus eine Straße entlang der Donau – eine wichtige Ost-West-Achse, um die Legionen zu versorgen.

Etwa 1700 Jahre später baute man die gleiche Strecke erneut aus, um die damals neu geschlosse­ne Allianz zwischen Österreich und Frankreich zu stärken. Keine Geringere als die österreich­ische Gattin des französisc­hen Thronfolge­rs (Dauphin) – Marie Antoinette – reiste deshalb auf dieser Dauphinstr­aße von Wien nach Paris. Halt machte sie zwar nicht in Unlingen, dafür aber in Obermarcht­al.

Was die Unlinger Bürger nach der Verkehrsfr­eigabe erwartet, beschreibe­n Eberhard Schneider und seine Frau, die beide an der Ortsdurchf­ahrt geboren wurden und dort auch heute noch leben. Denn kurzzeitig war die neue Strecke schon vor ein paar Wochen geöffnet worden.

Seltsam und ein bisschen irritieren­d sei das gewesen, sagt Schneider. „Jahrelang hat man gelernt, den Verkehr zu ignorieren.“Als er dann nicht mehr dagewesen sei, habe er dauernd darauf gehört und sich über jedes Auto geärgert, das vorbeigefa­hren sei. „Das war ganz gespenstis­ch“, erzählt seine Frau Waltraud. „Die ersten Tage dachte ich, es ist ein Unglück passiert. Denn sonst war es nur so ruhig, wenn die Straße wegen eines Unfalls gesperrt werden musste.“

Öffnungsze­iten der Ausstellun­g in der Unlinger Gemeindeha­lle: Freitag, 25. August, nach der feierliche­n Verkehrsfr­eigabe bis 16 Uhr, am Sonntag, 27. August, und am Sonntag, 3. September, jeweils von 13 bis 17 Uhr.

 ?? FOTO: KERSTIN SCHELLHORN ?? Reinhold Schmid vor dem Ausstellun­gsteil, den er zusammenge­stellt hat. Die heutige B 311 geht auf eine Straße zurück, die ursprüngli­ch von den Römern angelegt wurde.
FOTO: KERSTIN SCHELLHORN Reinhold Schmid vor dem Ausstellun­gsteil, den er zusammenge­stellt hat. Die heutige B 311 geht auf eine Straße zurück, die ursprüngli­ch von den Römern angelegt wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany