Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Gegen den Staat: Wie sogenannte Reichsbürger ticken
Der Tod eines Polizisten in Georgensgmünd änderte die Sicht auf die Bewegung – Prozesst gegen den mutmaßlichen Täter Wolfgang P. beginnt
NÜRNBERG (dpa) - Die Grenzen des „Regierungsbezirks Wolfgang“sind noch da. Um sein Grundstück hat der Hausherr lange gelbe Linien gezogen. Auf einem angenagelten Schild steht unter einem Hinweis auf die Territorialverhältnisse eine klare Ansage: „Mein Wort ist hier Gesetz!“
Als der deutsche Staat Mitte Oktober 2016 in Form der Polizei von Rechts wegen anrückt und ihm seine Waffen abnehmen will, feuert er laut Anklage mehrere Schüsse auf Beamte ab, einer von ihnen wird tödlich getroffen, zwei weitere verletzt.
Gut zehn Monate nach dem Drama im südlich von Nürnberg gelegenen Georgensgmünd startet am Dienstag, 29. August, gegen Wolfgang P. der Prozess. Der Vorwurf: Mord und versuchter Mord sowie gefährliche Körperverletzung. Der Prozess wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf eine Bewegung, die lange kaum jemand auf dem Zettel hatte: die Reichsbürger.
Für sie ist die Bundesrepublik kein souveräner Staat, nichts weiter als ein Unternehmen, das manche Anhänger auch als „BRD GmbH“bezeichnen. Reichsbürger zimmern sich ihre eigene Welt jenseits vom Staat – samt offiziell anmutender Dokumente, die sie als Teil dieser anderen Ordnung ausweisen.
Vor dem Anwesen von Wolfgang P. rätselt Peter Bauer, wie es mit seinem Bekannten soweit kommen konnte. P. kenne er schon von Kindesbeinen an. Jahrelang habe Wolfgang P. ein Kampfsportstudio betrieben und Selbstverteidigungskurse angeboten – das habe Peter Bauer schon „fast als Friedensbotschaft“verstanden. Dass sich Wolfgang P. aber vehement gegen eine Abwasserabgabe der Gemeinde gestemmt habe, sieht Bauer nun als Hinweis auf eine staatskritische Gesinnung.
Für das erste Quartal 2017 geht der Bundesverfassungsschutz von deutschlandweit rund 12 600 Anhängern der „Reichsbürger“-Szene aus. Seit Ende 2016 habe sich deren Zahl um etwa ein Viertel erhöht. In Bayern wird mit mindestens 3000 Reichsbürgern gerechnet. Mit zwei von ihnen hat Roland Frick schon Bekanntschaft gemacht. Frick ist Bürgermeister der beschaulichen Gemeinde Pliening – des Sitzes der „administrativen Regierung“des sogenannten „Bundesstaats Bayern“. „Reichsbürger“lenken von dort ihre fiktive Regierung. Im Sommer 2014 kamen erstmals zwei „Reichsbürger“in Fricks Büro. „Sie wollten ihre Ausweise abgeben, weil sie den Staat nicht anerkennen“, berichtet Frick. Im Gemeindeleben spielten die beiden zwar keine Rolle. Doch sei er seit dem Vorfall in Georgensgmünd aufmerksamer geworden. Reichsbürger ist nicht gleich Reichsbürger, heißt es aus dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. Man habe es mit einer Splitterbewegung, der unterschiedliche Menschen angehören, zu tun: Verschwörungstheoretiker, psychisch Kranke, Staatsverdrossene, Querulanten und Neonazis. Aber sobald Waffen ins Spiel kommen, kann es mitunter gefährlich werden – wie im Fall Wolfgang P.
Situation eskaliert
Im Frühjahr 2016 wird das Landratsamt auf den Hobbyjäger aufmerksam, nachdem ein Vollstreckungsversuch der Zoll- und Steuerbehörde bei P. keinen Erfolg hat. Später wird der Besitzer von rund 30 Waffen als nicht länger zuverlässig eingestuft, verweigert aber mehrmals der Polizei und Waffenkontrolleuren den Zutritt zu seinem Grundstück.
Irgendwann steht dann ein Spezialeinsatzkommando vor der Tür. Die Lage eskaliert: Aus dem „Regierungsbezirk Wolfgang“wird ein Tatort.