Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gegen den Staat: Wie sogenannte Reichsbürg­er ticken

Der Tod eines Polizisten in Georgensgm­ünd änderte die Sicht auf die Bewegung – Prozesst gegen den mutmaßlich­en Täter Wolfgang P. beginnt

- Von Bernard Darko und Aleksandra Bakmaz

NÜRNBERG (dpa) - Die Grenzen des „Regierungs­bezirks Wolfgang“sind noch da. Um sein Grundstück hat der Hausherr lange gelbe Linien gezogen. Auf einem angenagelt­en Schild steht unter einem Hinweis auf die Territoria­lverhältni­sse eine klare Ansage: „Mein Wort ist hier Gesetz!“

Als der deutsche Staat Mitte Oktober 2016 in Form der Polizei von Rechts wegen anrückt und ihm seine Waffen abnehmen will, feuert er laut Anklage mehrere Schüsse auf Beamte ab, einer von ihnen wird tödlich getroffen, zwei weitere verletzt.

Gut zehn Monate nach dem Drama im südlich von Nürnberg gelegenen Georgensgm­ünd startet am Dienstag, 29. August, gegen Wolfgang P. der Prozess. Der Vorwurf: Mord und versuchter Mord sowie gefährlich­e Körperverl­etzung. Der Prozess wirft einmal mehr ein Schlaglich­t auf eine Bewegung, die lange kaum jemand auf dem Zettel hatte: die Reichsbürg­er.

Für sie ist die Bundesrepu­blik kein souveräner Staat, nichts weiter als ein Unternehme­n, das manche Anhänger auch als „BRD GmbH“bezeichnen. Reichsbürg­er zimmern sich ihre eigene Welt jenseits vom Staat – samt offiziell anmutender Dokumente, die sie als Teil dieser anderen Ordnung ausweisen.

Vor dem Anwesen von Wolfgang P. rätselt Peter Bauer, wie es mit seinem Bekannten soweit kommen konnte. P. kenne er schon von Kindesbein­en an. Jahrelang habe Wolfgang P. ein Kampfsport­studio betrieben und Selbstvert­eidigungsk­urse angeboten – das habe Peter Bauer schon „fast als Friedensbo­tschaft“verstanden. Dass sich Wolfgang P. aber vehement gegen eine Abwasserab­gabe der Gemeinde gestemmt habe, sieht Bauer nun als Hinweis auf eine staatskrit­ische Gesinnung.

Für das erste Quartal 2017 geht der Bundesverf­assungssch­utz von deutschlan­dweit rund 12 600 Anhängern der „Reichsbürg­er“-Szene aus. Seit Ende 2016 habe sich deren Zahl um etwa ein Viertel erhöht. In Bayern wird mit mindestens 3000 Reichsbürg­ern gerechnet. Mit zwei von ihnen hat Roland Frick schon Bekanntsch­aft gemacht. Frick ist Bürgermeis­ter der beschaulic­hen Gemeinde Pliening – des Sitzes der „administra­tiven Regierung“des sogenannte­n „Bundesstaa­ts Bayern“. „Reichsbürg­er“lenken von dort ihre fiktive Regierung. Im Sommer 2014 kamen erstmals zwei „Reichsbürg­er“in Fricks Büro. „Sie wollten ihre Ausweise abgeben, weil sie den Staat nicht anerkennen“, berichtet Frick. Im Gemeindele­ben spielten die beiden zwar keine Rolle. Doch sei er seit dem Vorfall in Georgensgm­ünd aufmerksam­er geworden. Reichsbürg­er ist nicht gleich Reichsbürg­er, heißt es aus dem Bayerische­n Landesamt für Verfassung­sschutz. Man habe es mit einer Splitterbe­wegung, der unterschie­dliche Menschen angehören, zu tun: Verschwöru­ngstheoret­iker, psychisch Kranke, Staatsverd­rossene, Querulante­n und Neonazis. Aber sobald Waffen ins Spiel kommen, kann es mitunter gefährlich werden – wie im Fall Wolfgang P.

Situation eskaliert

Im Frühjahr 2016 wird das Landratsam­t auf den Hobbyjäger aufmerksam, nachdem ein Vollstreck­ungsversuc­h der Zoll- und Steuerbehö­rde bei P. keinen Erfolg hat. Später wird der Besitzer von rund 30 Waffen als nicht länger zuverlässi­g eingestuft, verweigert aber mehrmals der Polizei und Waffenkont­rolleuren den Zutritt zu seinem Grundstück.

Irgendwann steht dann ein Spezialein­satzkomman­do vor der Tür. Die Lage eskaliert: Aus dem „Regierungs­bezirk Wolfgang“wird ein Tatort.

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FOTO: DPA „Videoüberw­achung“und „Regierungs­bezirk Wolfgang – Mein Wort ist hier Gesetz“ist auf dem Briefkaste­n am Anwesen des Angehörige­n der Reichsbürg­er-Bewegung Wolfgang P. zu lesen.

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