Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kurz setzt einzig auf das Thema Migration

Wahlkampf in Österreich: ÖVP führt, SPÖ und FPÖ kämpfen um Platz zwei

- Von Rudolf Gruber

WIEN - Der Wahlkampf in Österreich hat gerade begonnen, doch scheint die Wahl bereits vorentschi­eden: Umfragen feiern Jungstar Sebastian Kurz als unangefoch­tenen Favoriten, Kanzler Christian Kern agiert glücklos und der Rechtspopu­list Heinz-Christian Strache sieht plötzlich alt aus.

Die Parallelen sind frappieren­d. Kern teilt als Spitzenkan­didat der österreich­ischen Sozialdemo­kraten (SPÖ) das Schicksal seines deutschen Genossen Martin Schulz - zuerst von Partei und Medien hochgejube­lt, dann in den Umfragen abgestürzt. Wie bei der SPD kommt bei der SPÖ der Wahlkampf nicht in Fahrt: Wie Schulz versucht auch Kern mit Inhalten zu punkten und findet das zündende Thema nicht, das den Trend vor der Wahl am 15. Oktober umkehrt.

Ein Problem für die Sozialdemo­kraten ist die Zusammenar­beit mit dem Wahlkampfs­trategen Tal Silberstei­n, der vor Kurzem wegen Geldwäsche in Israel verhaftet wurde. Die SPÖ beschäftig­e Kriminelle, höhnt die Opposition. Nach tagelangem Zögern gestand Parteichef Kern den Imageschad­en kleinlaut ein: „Ja, es war ein politische­r Fehler“, dass man sich nicht schon früher von Silberstei­n getrennt habe.

Den Rivalen unterschät­zt

Doch der entscheide­nde Fehler passierte Kern schon früher: Er hat den neuen Chef der konservati­ven ÖVP, Sebastian Kurz, unterschät­zt und zu spät als den gefährlich­sten Rivalen erkannt. Vor mehr als einem Jahr, als der ehemalige Bahnchef als Quereinste­iger ins Kanzleramt kam, hatte er ein umfassende­s Reformkonz­ept vorgelegt, den berühmten Plan A, der Österreich für die Zukunft fit machen sollte. Doch dann übernahm Kurz, mittlerwei­le 31 Jahre alt, die Führung bei der ÖVP und ließ kaltschnäu­zig die rot-schwarze Koalition platzen, um über Neuwahlen seinen Marsch ins Kanzleramt anzutreten.

Seit rund einem halben Jahr liegt die SPÖ deutlich hinter der ÖVP, nach neuester Prognose um sieben Prozentpun­kte. In der Kanzlerfra­ge liegt Kurz sogar mit zwölf Prozentpun­kten vor Kern (37:25). Niemals hätte sich die SPÖ gedacht, dass sie mit der rechten Freiheitli­chen Partei (FPÖ) um Platz zwei kämpfen muss.

Statt eine Strategie auszuhecke­n, ist die Partei mit einer Debatte beschäftig­t, ob man die FPÖ ausgrenzen oder deren Chef Heinz-Christian Strache als potenziell­en Partner umwerben solle. Die SPÖ findet dazu keine Antwort. Mit dem Thema „Mehr soziale Gerechtigk­eit“glaubte die Kern-Truppe, das zündende Thema gefunden zu haben. Der passende Wahlslogan „Holt euch, was euch zusteht“geriet dann doch zu platt und wird eher als Aufforderu­ng zur Plünderung des Staates gedeutet.

Hingegen schaffte der charismati­sche Kurz seinen Höhenflug ohne Parteiprog­ramm – das er erst vor der Wahl präsentier­en will – und mit einem einzigen Themenkomp­lex: Migration und Sicherheit. Die FPÖ sieht hilflos zu, wie sich der Außenminis­ter ihres Monopols bemächtigt. Kurz hat auch keine Skrupel, deren umstritten­e Positionen zu übernehmen, etwa ausländisc­hen Arbeitnehm­ern die Kinderbeih­ilfe zu kürzen: „Ich habe kein Verständni­s dafür, dass wir Hunderte Millionen Euro in europäisch­e Staaten überweisen“, sagte er.

Die meisten Österreich­er glauben, dass Kurz festgefahr­ene Strukturen aufbrechen will. Diese Rolle nahm für sich bislang die FPÖ in Anspruch. Der 48-jährige Strache hat eingesehen, dass er für einen Politrebel­len zu alt aussieht, vor allem im Vergleich zu Kurz. Strache spielt daher auf Staatsmann, er will die Opposition­spartei in eine Koalition einbringen.

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FOTO: IMAGO In den Umfragen weit vorne: ÖVP-Spitzenkan­didat Sebastian Kurz (re.) beim Trachtenfe­st in Wien.

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