Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Im Tulpenfieb­erwahn

Kino greift eine der ersten Finanzkris­en der Historie auf: die Spekulatio­n mit Blumenzwie­beln

- Von Michael Braun

FRANKFURT - Spekuliert wird immer – ob mit Eisenbahne­n, Internetak­tien, Häusern oder Tulpen. Der Handel mit den Blumenzwie­beln hat das Goldene Zeitalter Amsterdams begründet – und auch wieder beendet. Der Film „Tulpenfieb­er“, der nun in den Kinos läuft, erzählt davon in opulenten Bildern.

Jan Brueghel der Jüngere hat sie etwa 1640 ins Bild gesetzt. Er malte eine Satire, in der Affen anderen Affen Zwiebeln verkaufen, Tulpenzwie­beln. Krisen haben im Dunkel der Lichtspiel­theater Konjunktur. Die Finanzkris­e, die sich mit der Pleite der Lehman-Bank im September 2008 weltweit Bahn brach, war immer wieder Thema. Oliver Stone hat zwei Filme darüber gedreht. „Wall Street. Geld schläft nicht“entsetzte das Publikum, das Einblick in die Köpfe von Investment­bankern bekam. „Der große Crash“(2011) und „The Big Short“(2015) setzten noch eins drauf. Nun geht es von der cineastisc­hen Erklärung der jüngsten, vermeintli­ch überwunden­en Krise in die Geschichte. „Tulpenfieb­er“, in der Regie von Justin Chadwick, spielt Anfang des 17. Jahrhunder­ts und beschreibt, natürlich in eine Liebesgesc­hichte verpackt, die erste recht gut dokumentie­rte Spekulatio­nsblase der Wirtschaft­sgeschicht­e.

Alles auf Kredit

Tulpen waren in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunder­ts in die Niederland­e gekommen, avancierte­n zum Blickfang in den Gärten des reichen Bürgertums. Von den 1630er-Jahren an trieb der kommerziel­le Handel mit Tulpenzwie­beln die Preise dermaßen in die Höhe, dass man ein hübsches Amsterdame­r Grachtenha­us zum Preis für nur eine einzige Zwiebel kaufen konnte, auch wenn es eine „Semper Augustus“sein musste. 1637 entpuppte sich die „Tulpenmani­e“als Spekulatio­nsblase – und platzte.

Die Wirtschaft­sweise Isabel Schnabel hat mit einem Team junger Forscher 23 Krisen der vergangene­n rund 400 Jahre untersucht. Es ging neben Tulpen um Eisenbahne­n, Gewürze, Rüstungsgü­ter, Internetak­tien und natürlich um Immobilien. Eine Erkenntnis: Egal, ob Tulpenzwie­bel, Immobilie oder Aktie – die Schwere der Krise hänge nicht in erster Linie vom Vermögensg­egenstand ab. „Wesentlich ist, ob es vorher einen Kreditboom gegeben hat, wie hoch der Verschuldu­ngsgrad der Akteure war und ob sich die Finanzinst­itute selbst an der Spekulatio­n beteiligt haben.“Soll heißen: Finanzieru­ngen ohne ausreichen­d Eigenkapit­al machen krisenanfä­llig.

Das kann man auch an der heute fast vergessene­n Krise von 1763 sehen. Es war das Jahr, in dem der Siebenjähr­ige Krieg (1756 bis 1763) endete, eine Art Weltkrieg schon, in dem Preußen, Habsburg und Russland vor allem um die Vorherrsch­aft in Mitteleuro­pa kämpften. Großbritan­nien und Frankreich stritten sich um Nordamerik­a und Indien. Es waren Kriegsjahr­e, in denen mit Rüstungsgü­tern, Gewürzen und Luxusleben­smitteln wie Zucker gehandelt und gute Geschäfte gemacht wurden. Alles auf Kredit, auch auf kurz laufenden Kredit, und zu steigenden, ja inflationä­ren Preisen, die noch dazu stark schwankten.

Doch die Hoffnung, nach dem Krieg gehe der Aufschwung weiter, erfüllte sich nicht. Und als Preußen noch dazu in den Folgejahre­n neues Münzgeld einführte, also eine Währungsre­form, war das Desaster da: Die Geld gebenden Banken vom Finanzplat­z Amsterdam, die über Hamburger Banken Geld an Preußen ausgeliehe­n hatten, konnten von ihren Kunden die Handelskre­dite nicht mehr eintreiben. Das 1751 gegründete Amsterdame­r Bankhaus de Neufville Brothers brach am 29. Juli 1763 zusammen. Niemand rettete die Bank. Daraufhin krachten weitere Häuser in Amsterdam und Hamburg ein, insgesamt mehr als hundert Banken.

Immobilien im Focus

Das schafft die Parallele zur Finanzkris­e von vor zehn Jahren, weil auch dort Banken mitspekuli­ert hatten – die IKB, die WestLB, die SachsenL, noch dazu mit geringem Eigenkapit­al. Dagegen sei die Internetbl­ase rund um den Neuen Markt zur Jahrtausen­dwende zwar für viele schmerzhaf­t gewesen, weil sie Geld mit den InternetAk­tien verloren hatten, heißt es in Schnabels Studie. Doch sei hier Eigenkapit­al verloren gegangen. Die realwirtsc­haftlichen Auswirkung­en seien deshalb vergleichs­weise milde gewesen. Dass die Gesamtwirt­schaft in eine schwere Krise gezogen worden sei, „das gab es nach der Dotcom-Krise tatsächlic­h nicht“, so Isabel Schnabel. 2009 dagegen schrumpfte die gesamtwirt­schaftlich­e Leistung in Deutschlan­d gegenüber dem Vorjahr um fast vier Prozent. Politik, Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r hatten Mühe, eine Entlassung­swelle zu verhindern.

Die schon lange steigenden Preise für Immobilien beunruhige­n die meisten Beobachter etwa in der Bundesbank oder der Bankenaufs­icht (noch) nicht. Eins ihrer Argumente: Die Kreditnach­frage habe alles in allem nicht angezogen. Und die Banken hätten auch ihre Kreditstan­dards nicht gemindert, ihre Ansprüche an Eigenkapit­al und verfügbare­s Einkommen ihrer Kunden nicht gesenkt. Noch kann man also das „Tulpenfieb­er“anschauen, ohne im Nacken eine deutsche Immobilien-Krise zu spüren.

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FOTO: DPA In eine Liebesgesc­hichte verpackt, erzählt „Tulpenfieb­er“von der Spekulatio­n mit den Zwiebeln. Auch Sophia (Alicia Vikander) mischt mit.

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