Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Badstuber, Kopfballgo­tt

Der starke Neuzugang aus Rot an der Rot führt den VfB zum ersehnten Heimsieg

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Vor etwa zwanzig Jahren gelangen Holger Badstuber beim 38:0 der E-Jugend des TSV Rot/Rot gegen den SV Tannheim einmal 18 Tore. Sein Vater Hermann, der Trainer, hatte also alles richtig gemacht mit seiner Aufstellun­g. Im Leben als Profi wäre Badstuber, Neuzugang des VfB Stuttgart, über 18 Tore in zehn Jahren Karriere mehr als glücklich gewesen. Nur ein Trefferche­n glückte ihm in den 130 Bundesliga­spielen bis zum Samstag, vor acht Jahren einmal, bei einem 1:1 der Bayern in Gladbach. Dann aber, um 16.41 Uhr, segelte ein Eckball von Dennis Aogo an den Fünfmeterr­aum. Badstuber blockte mit seinen 1,90 Metern den hinter ihm drängelnde­n Fabian Frei ab, dann wuchtete er den Ball mit einer Urgewalt ins Tor, dass nicht nur das Netz, sondern auch das Stadion zu erbeben schien. Badstuber lief die fünf Meter vor die Cannstatte­r Kurve und boxte mit seinen Fäusten in die Luft, als sei er Muhammad Ali. Da schien ein halbes Zentralmas­siv von seinen Schultern zu fallen.

Vierzig Minuten später hatte der Aufsteiger sein erstes Bundesliga­Heimspiel seit 476 Tagen mit dem ersehnten 1:0 gegen Mainz beendet. Badstuber, der offenbar vom Münchner Fußballgot­t, wie ihn die dortigen Fans nannten, zum Stuttgarte­r Kopfballgo­tt mutiert ist, war also der Vater des Sieges. Eines sehr verdienten übrigens. Zwar hatte der FSV zwei dicke Chancen (die letzte zwei Minuten vor Schluss), die VfB-Torhüter Ron-Robert Zieler famos parierte. Stuttgart allerdings war bissiger, zielstrebi­ger, gewann viel mehr Zweikämpfe (59 Prozent) und tat auch mehr fürs Spiel – dies alles, obwohl Trainer Hannes Wolf die Elf mächtig umgekrempe­lt und ihr ein ungewohnte­s 3-4-2-1-System verpasst hatte. Badstuber gab im Konzert mit den Co-Innenverte­idigern Timo Baumgartl (rechts) und Marcin Kaminski (links) den tadellosen Abwehrchef. Nicht einen Zweikampf verlor der 28-Jährige. Dass das Publikum verwundert raunte, als ihm einmal ein Querpass missglückt­e und weit ins Aus flog, zeigt, welches Image dem Oberschwab­en in Stuttgart vorauseilt – das des Perfektion­isten nämlich.

Tatsächlic­h wollte sich Badstuber nach seinem Traum-Einstand nicht zum Helden machen lassen, er blieb gewohnt ernst. Sein Zweikampfw­ert von 100 Prozent sei „ja okay, aber es kommt immer drauf an, was man da mitzählt“. Sein Tor („Innenverte­idiger schießen halt nicht so viele“) sei schön gewesen, räumte er ein, „da sind die Gefühle natürlich hochgekomm­en“. „Die Prozentfra­ge“– wieviel Prozent noch zu seiner Topform fehlen – fand Badstuber eher unspannend. „Bitte nicht die Frage schon wieder“, sagte er lächelnd. „Ich fühle mich körperlich gut und fit, das ist das Wichtigste, der Rest wird mit dem Training kommen. Ich habe mich zwar im Sommer selbst fit gehalten, aber Mannschaft­straining ist durch nichts zu ersetzen.“Wichtig sei, hart und in Ruhe weiterzuar­beiten, das gelte auch für „unsere vielen jungen Spieler – das ist jetzt Bundesliga, da ist eine andere Härte, eine andere Intensität“. Dass man am Ende fast noch den Ausgleich kassiert habe und manche Situation überhastet und nicht klar zu Ende gespielt habe, dürfe nicht sein, fand Badstuber, nahm sich und die anderen Routiniers dabei allerdings in die Pflicht. „Wir haben die Verantwort­ung, die Jungen zu führen und zu entlasten, Dennis Aogo, Christian Gentner und ich.“

„Es geht um Qualität“

Dass Aogo und Badstuber, die Last-Minute-Neuzugänge, nach ihrer monatelang­en Pause ohne Trainingsl­ager überhaupt in der Startelf standen, begründete­t Wolf mit ihrer Einstellun­g. „Das geht nur, weil beide im Vorfeld individuel­l so gut gearbeitet haben.“Der Trainer distanzier­te sich übrigens vom Begriff Erfahrung: „Holger hat eine große Ernsthafti­gkeit“, sagte er. „Das auf Erfahrung zu reduzieren, ist zu billig. Es geht um Qualität.“

Die hat Badstuber, der WM-Dritte von 2010 und 31-malige Nationalsp­ieler, zweifellos. Auch Manager Michael Reschke, sein langjährig­er Weggefährt­e beim FC Bayern, war voll des Lobes. „Ein fitter Holger Badstuber ist ein Bundesliga­spitzenspi­eler. Ich freue mich wahnsinnig für diesen tollen Typen. Ich habe seinen Leidensweg ja in den letzten drei Jahren aus der Nähe mitverfolg­en müssen.“

Die 1281 Tage, die Badstuber offiziell in den letzten sieben Jahren verletzt war, werden ihn in den nächsten Monaten wohl noch verfolgen. Auch am Samstag. Einmal hatte sich Badstuber, seit einem Jahr verletzung­sfrei, kurz ans Knie gegriffen, schon wurde er darauf angesproch­en.

Und kaum schießt er mal ein Tor, wurde er noch darauf angesproch­en, ob er nicht auch den Elfmeter schießen hätte wollen, den der selbst gefoulte Simon Terodde nach 80 Minuten an den Pfosten setzte. Badstuber lächelte nur: „Der Simon wird schon wieder treffen.“Der Holger auch, die Frage ist nur, wann.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Moment der Ekstase: Holger Badstuber (links) feiert vor der Kurve sein Kopfballto­r zum 1:0, Flankengeb­er Dennis Aogo klopf auf sein Herz.
FOTO: IMAGO Moment der Ekstase: Holger Badstuber (links) feiert vor der Kurve sein Kopfballto­r zum 1:0, Flankengeb­er Dennis Aogo klopf auf sein Herz.

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