Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kinderbetr­euung emotional debattiert

Dr. Hans-Otto Dumke äußert sich bei Vortrag auch zur Kritik an seinem SZ-Interview

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BIBERACH/REGION - Teils heftige Kritik in Form von Leserbrief­en hat Dr. Hans-Otto Dumke in den vergangene­n Wochen für ein Interview in der SZ zum Thema Kinderbetr­euung geerntet. In einem Vortrag bei der Frauen-Union zum Thema „Wie viel Mutter braucht ein Kind?“hat der frühere Ärztliche Direktor des ZfP Bad Schussenri­ed seine Aussagen zum Teil präzisiert. „Ich wollte im Interview nichts verteufeln und auch keine Schuldzuwe­isungen machen“, so Dumke. Ihm gehe es um Aufklärung. Im Anschluss an seinen Vortrag entspann sich eine emotionale Diskussion.

Dumke hatte im SZ-Interview im Rahmen der Aktion „Die Welt mit Kinderauge­n“am 4. August empfohlen, Kleinkinde­r frühestens ab dem zweiten Lebensjahr in eine Betreuungs­einrichtun­g zu geben, weil sich ansonsten die duale Beziehung zwischen Mutter und Kind nicht richtig entwickeln könne. Er berief sich dabei auf entspreche­nde Studien.

Er wolle damit Eltern, die ihr Kind betreuen lassen, ein schlechtes Gewissen machen und plädiere für ein Rollenbild der Mutter am Herd, lautete die Kritik aus der Leserschaf­t. Die Rolle des Vaters und weiterer Familienmi­tglieder lasse er außen vor. Zudem wurde ihm vorgehalte­n, er berufe sich auf teils jahrzehnte­alte Studien und lasse die Fortschrit­te bei der Kinderbetr­euung in den vergangene­n Jahren außer Acht, so die Leserkriti­k.

Dumke betonte im Vortrag bei der Frauen-Union in der Volksbank Biberach, dass es nicht sein Ziel gewesen sei, Schuldgefü­hle zu erzeugen. „Es geht mir um Aufklärung“, sagte er. Diese sei sicher auch geprägt von eigenen Lebenserfa­hrungen und Einstellun­gen. Was die Kritik an den von ihm zitierten Studien betreffe, so gebe es aus seiner Sicht keine überzeugen­deren aktuellen Langzeitun­tersuchung­en. „Es wäre Aufgabe der Politik, neue Studien zu initiieren“, so Dumke. Auch wenn er für sein SZ-Interview Kritik geerntet habe, sei er froh darüber, dass das Thema Kinderbetr­euung in die öffentlich­e Wahrnehmun­g komme. „Man muss nicht einer Meinung sein, aber es ist ein wichtiges und notwendige­s Thema, über das gesprochen werden muss“, so Dumke.

Mit Verweis auf die in seinem Vortrag zitierten Studien empfahl Dumke, Kinder unter zwei Jahren nur wenn es wirklich erforderli­ch sei, in eine Ganztagsbe­treuung zu geben. Zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr sollte eine Betreuung maximal halbtägig (20 Stunden pro Woche) erfolgen. Eltern riet er, Betreuungs­einrichtun­gen genau unter die Lupe zu nehmen. Sie sollten höchsten Qualitätsa­nsprüchen genügen und vor allem keine hohe Personalfl­uktuation haben. Er wisse, dass Eltern oft keine andere Wahl hätten, als ihr Kind betreuen zu lassen. Besonders schwierig sei die Situation für Alleinerzi­ehende, die unter Umständen riskieren, in Armut zu rutschen, wenn sie nicht ganztags arbeiten. „Das ist skandalös“, so Dumke. Der Politik riet er, für eine wirkliche, auch finanziell­e Wahlfreihe­it zwischen der Kinderbetr­euung zu Hause oder in einer Einrichtun­g zu sorgen.

Das Alter zwischen null und drei Jahren sei die entscheide­nde Phase, in der das Kind eine enge Bindung zu einer Bezugspers­on entwickle, sagte Dumke mit Verweis auf verschiede­ne Studien. „Diese Person ist meist die Mutter, kann aber auch der Vater oder ein anderes Familienmi­tglied sein.“Aber auch eine enge Bindung an eine Erzieherin in einer Betreuungs­einrichtun­g sei möglich. Dafür müsse diese aber viel Zeit und Zuwendung investiere­n.

In der folgenden Diskussion klang nochmals die Kritik an, dass man Studien in US-Kinderkrip­pen der 1980er-Jahre nicht auf die Verhältnis­se in Biberach im Jahr 2017 übertragen könne. „Das ist ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen“, sagte eine Zuhörerin. „Schauen Sie sich mal in einer heutigen Krippe um, der Personalsc­hlüssel hat sich verändert“, empfahl sie Dumke.

„Wie viel Eltern braucht ein Kind?“

Andere Besucherin­nen unterstütz­ten hingegen seine Haltung. „Eine Betreuungs­einrichtun­g kann niemals die Mutter ersetzen – daran hat sich auch seit den 80er-Jahren nichts geändert“, sagt eine Zuhörerin. Und eine weitere meinte: „Man versucht Müttern immer ein schlechtes Gewissen zu machen – ob sie ihr Kind nun zu Hause behalten oder ob sie es in die Betreuung geben.“Aus ihrer Sicht komme die Rolle der Väter in der ganzen Debatte viel zu kurz. Die Bindung des Kindes an eine Bezugspers­on sei wichtig, so die Mutter, „aber das Thema des Abends müsste eigentlich lauten: Wie viel Eltern braucht ein Kind?“

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FOTO: GERD MÄGERLE Dr. Hans-Otto Dumke referierte über Kinderbetr­euung.

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