Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Frieden bedeutet, wenn frühere Feinde miteinander feiern“
Jugendlager Federsee: Deutsch-weißrussische Jugendbegegnung der Kriegsgräberfürsorge
BAD BUCHAU (sz) - Eine Gruppe junger Leute aus der Region, davon der große Teil aus dem Federseegebiet, ist in den Ferien im Auftrag des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit dem Bus nach Belarus (Weißrussland) gefahren. Sie arbeitete auf einem Soldatenfriedhof des Ersten Weltkriegs und begab sich auf Spurensuche zur gemeinsamen Geschichte. Die Gruppe umfasste 30 Personen aus Deutschland und Belarus und auch ein junger Franzose war mit dabei.
Ziel der ersten Etappe war die kleine Gemeinde Tomaschowka im weißrussisch-polnisch-ukrainischen Dreiländereck. Dort gibt es einen internationalen Soldatenfriedhof des Ersten Weltkriegs, auf dem Gefallene aus dem deutschen Kaiserreich, dem russischen Zarenreich und aus der Habsburger Doppelmonarchie liegen. Den zentralen Mittelpunkt bildet ein zirka acht Meter hohes, aus Ziegelsteinen gemauertes Denkmal. In nur vier Tagen beseitigten die jungen Helfer dort den Bewuchs, entfernten die losen Steine, gossen ein neues Fundament, schlossen Löcher und mauerten neue Treppenstufen. Auf der restlichen Anlage sowie dem benachbarten Ehrenmal aus sowjetischen Zeiten nahmen sie gärtnerische Pflegearbeiten vor. „Mit dem anspruchsvollen Arbeitsauftrag in Tomaschowka konnten sich die Teilnehmer bei Maler- und Maurerarbeiten oder der gärtnerischen Pflege mit ihren individuellen Erfahrungen und Kenntnissen hervorragend einbringen. Das Ergebnis der wenigen Tage ist beachtlich und spricht für sich selbst“, zieht Florian Geiger, der die Arbeitsaufgaben der Gruppe koordinierte, eine sehr positive Bilanz.
Das Engagement der jungen Leute blieb vor Ort nicht unbeachtet: Die von der Gruppe gestaltete Gedenkveranstaltung am sowjetischen Ehrenmal und auf dem Soldatenfriedhof besuchten Vertreter der Kreis- und Gemeindeverwaltung zusammen mit der Presse und dem Fernsehen. Dabei trugen die Teilnehmer auch persönliche Aussagen zum Thema Frieden vor, die zuvor gemeinsam erarbeitet wurden. „Frieden bedeutet für mich, wenn frühere Feinde – trotz der schrecklichen gemeinsamen Vergangenheit – miteinander feiern“, sagte Marvin Motzet. Eine Aussage, die nicht nur für die Gedenkfeier passte, sondern als Motto für die gemeinsam verbrachte Zeit in Belarus stehen kann.
„Band der Nationen“
Der stellvertretende Vorsitzende der Kreisverwaltung ergänzte am sogenannten „Band der Nationen“des Jugendlagers Federsee die belarussische Flagge. Dieses „Band der Nationen“ist ein Zeichen für die völkerübergreifende Freundschaft und Verbundenheit in Europa. Es enthält die Flaggen aller Länder, in denen das Jugendlager Federsee in seiner mehr als 50-jährigen Geschichte bisher für den Volksbund im Einsatz war. „Anlass für jeden Besuch unserer Gruppe in allen diesen Ländern waren immer Soldatenfriedhöfe, auf denen wir gearbeitet haben“, berichtet Klaus Knoll, der Leiter der Jugendbegegnung und ergänzt: „Soldatenfriedhöfe sind an sich Zeugnisse einer furchtbaren Vergangenheit, Orte des Schmerzes, der Trauer und des Gedenkens. Trotz dieses ernsten Hintergrundes wurden diese Orte für uns aber immer Ausgangspunkt für viele wunderbare Begegnungen, Freundschaften und Erlebnisse. Es freut mich sehr, dass sich Belarus in diese lange Kette eingereiht hat.“
Bleibenden Eindruck hinterließ auch eine Führung im Kosmonautikmuseum in Tomaschowka und der Besuch der nahe gelegenen Grenzstadt Brest mit der zur Gedenkstätte ausgebauten Festung.
Die nächste Etappe führte in die weißrussische Hauptstadt Minsk mit ihrem interessanten Kultur- und Freizeitprogramm. Die jungen Leute genossen den Blick von der 74 Meter hohen Aussichtsplattform der Nationalbibliothek, machten eine Führung durch das Traktorenwerk, erkundeten die Innenstadt und besichtigten das Museum des „Großen Vaterländischen Krieges“.
Ein Besuch in Minsk wäre undenkbar ohne die direkte Auseinandersetzung mit der deutsch-belarussischen Vergangenheit. Wie kaum ein anderes Land hatte Belarus unter dem Angriffsund Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zu leiden. Als die Rote Armee im Sommer 1944 das Land befreite, fiel die Bilanz der deutschen Besatzungszeit verheerend aus. Fast ein Drittel der Bevölkerung war tot, über eine halbe Million Menschen jüdischen Glaubens waren hier umgebracht worden. Sinnbildlich für diese Tragödien und das schwere Erbe stehen die Gedenkstätten Chatyn und Malyj Trostenez, welche die Gruppe mit eindrücklichen Führungen kennenlernte.
Drei Hauptstädte Europas
Auf der Heimreise nach Deutschland machte die Gruppe Halt in der polnischen Hauptstadt Warschau. Dort besuchten sie das Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos, den Kulturpalast und die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaute Altstadt. Ein letzter Stopp vor der Rückkehr nach Oberschwaben wurde in Berlin eingelegt, die dritte europäische Hauptstadt auf der Reise. Von der Kuppel des Reichstagsgebäudes hatten die Teilnehmer einen wunderbaren Blick über das abendliche Berlin. Am Morgen der Heimfahrt stand noch der Besuch des „Waldes der Erinnerung“bei Potsdam auf dem Programm, wo der im Auslandseinsatz gefallenen und verstorbenen Soldaten der Bundeswehr gedacht wird. Nach fast 4500 Kilometern, nach zwei gemeinsamen Wochen voller neuer Erfahrungen, Erkenntnisse und Freundschaften kamen alle wieder gut zuhause an.