Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

UN sehen ethnische Säuberung in Myanmar „Aung San Suu Kyi hat kaum Spielraum“

Kritik am harten Vorgehen gegen muslimisch­e Rohingya – Dalai Lama alarmiert

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NEU-DELHI (dpa) - Die Vertreibun­g der unterdrück­ten muslimisch­en Minderheit der Rohingya aus Myanmar kommt nach UN-Angaben einer ethnischen Säuberung gleich. Die abschließe­nde Beurteilun­g der Lage sei zwar schwierig, sagte der UN-Hochkommis­sar für Menschenre­chte, Said Raad al-Hussein, am Montag zum Auftakt der Sitzung des Menschenre­chtsrats in Genf. „Aber es sieht alles aus wie ein Paradebeis­piel für ethnische Säuberunge­n.“Der Dalai Lama rief in einem Brief an Myanmars Regierungs­chefin Aung San Suu Kyi zu einer friedliche­n Lösung auf.

Mindestens 313 000 Rohingya sind nach neuen Zahlen der Organisati­on für Migration (IOM) seit dem 25. August aus Myanmar in das überwiegen­d muslimisch­e Nachbarlan­d Bangladesc­h geflohen. Rohingya-Rebellen hatten Polizei- und Militärpos­ten angegriffe­n, worauf Myanmars Armee nach eigenen Angaben mit einer „Räumungsop­eration“antwortete. Geflüchtet­e berichtete­n, dass ihre Häuser niedergebr­annt und Familienan­gehörige erschossen worden seien. Die Rohingya sind staatenlos, seit das mehrheitli­ch buddhistis­che damalige Birma ihnen 1982 die Staatsbürg­erschaft aberkannte.

Verminte Grenze

Es gebe Satelliten­bilder, die zeigten, wie Rohingya-Dörfer niedergebr­annt und fliehende Zivilisten erschossen würden, sagte Said. Zudem hätten Berichte sein Büro erreicht, wonach die Sicherheit­skräfte in Myanmar die Grenzregio­n vermint hätten, um Rückkehrer abzuschrec­ken.

Die Flüchtling­slager sind längst überfüllt im Bezirk Cox’s Bazar im Süden Bangladesc­hs, wohin bereits vor dem jüngsten Gewaltausb­ruch etwa 400 000 Rohingya geflohen waren. Bangladesc­hs Regierung kündigte an, mehr Land für Camps zur Verfügung zu stellen. Die IOM braucht nach eigenen Angaben in den kommenden drei Monaten 26 Millionen Dollar für die Versorgung der Flüchtling­e.

„Mit diesem Völkermord müssen sich die internatio­nalen Gerichte befassen“, forderte der Chef von Bangladesc­hs Menschenre­chtskommis­sion, Kazi Reazul Hoque, nach einem Besuch der Flüchtling­slager. „Als Buddhist und Friedensno­belpreistr­äger wie Sie appelliere ich an Sie und Ihre Kollegen einmal mehr, eine nachhaltig­e und humane Lösung dieses anhaltende­n Problems zu finden“, hatte der Dalai Lama am 28. August in seinem Brief an Suu Kyi geschriebe­n. Sein Sprecher Tsering Dhondup gab Auszüge daraus am Montag bekannt.

Er habe die Situation der Rohingya bereits bei früheren Treffen mit Suu Kyi angesproch­en und zu einer friedliche­n Lösung aufgerufen, hieß es vom geistliche­n Oberhaupt des tibetische­n Buddhismus. „Es ist enttäusche­nd zu beobachten, dass das Problem schlimmer zu werden scheint und die Gewalt zunimmt.“

Die „Staatsräti­n“und Außenminis­terin Myanmars, die praktisch die Regierung führt, schwieg lange Zeit zu der Situation - auch als UN-Generalsek­retär António Guterres vor ethnischer Säuberung warnte und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan von „Völkermord“sprach. „Ethnische Säuberung ist ein zu hartes Wort, um zu beschreibe­n, was dort passiert“, hatte Suu Kyi im April in einem BBC-Interview gesagt.

Vergangene Woche machte sie dann in einer Stellungna­hme „Terroriste­n“für die Gewalt verantwort­lich und klagte über einen „gewaltigen Eisberg an Falschinfo­rmation“. RAVENSBURG Im Gespräch mit Alexei Makartsev erklärt der Myanmar-Experte,

Publizist und Lehrbeauft­ragte an der Universitä­t Hamburg, HansBernd Zöllner (Foto: privat), warum sich der Konflikt der Rohingya in Myanmar nicht schnell lösen lässt.

Die UN sehen in Myanmar Anzeichen einer ethnischen Säuberung. Ist das auch Ihr Eindruck?

Nein. Bei der Fluchtbewe­gung der Rohingya handelt es sich nicht um eine von der Regierung Myanmars beabsichti­gte ethnische Säuberung, im Ergebnis könnte es aber darauf hinauslauf­en - dann hätte der UNSprecher zu einer selbst erfüllende­n Prophezeiu­ng beigetrage­n. Wir wissen, dass Häuser verbrannt wurden, aber wir wissen nicht, durch wen. Man macht jedoch vor allem das Militär in Myanmar schuldig für ein komplexes und zurzeit unlösbares Problem, welches in einem 200 Jahre alten Konflikt wurzelt.

Was ist der Kern dieses Problems?

Auf dem Rücken der Rohingya wird ein Grundsatzs­treit ausgetrage­n, wo sie hingehören. Das Staatsbürg­errecht von Myanmar stammt aus dem Jahr 1948, aus einer Zeit, als der Name Rohingya noch nirgendwo auftauchte. Damals wurden alle Menschen zu Staatsbürg­ern erklärt, von denen man annahm, dass deren Vorfahren bereits im Jahr 1823, also vor dem ersten anglo-birmanisch­en Krieg, im Lande waren. Alle anderen wurden verpflicht­et, nachzuweis­en, dass sie Angehörige einer indigenen Ethnie sind. Die Regierung von Myanmar will, dass sich die Rohingya an das Gesetz halten. Deren Vertreter sagen aber, sie seien schon immer eine natürliche Ethnie auf dem Staatsgebi­et Myanmars gewesen. Das erkennen die buddhistis­chen Birmanen nicht an und sehen die Rohingya als Einwandere­r.

Hat der Konflikt auch eine religiöse Dimension?

Ja, die buddhistis­che Mehrheit in Myanmar hasst seit der Kolonialze­it die Muslime. Es gibt einen Grund, warum Aung San Suu Kyi vor der Wahl 2015 unter ihren Kandidaten keinen einzigen Muslim aufgestell­t hatte: Sie hatte Angst, zu verlieren.

Wie sehen Sie heute die Rolle der Friedensno­belpreistr­ägerin?

Die Hoffnungen, die in sie gesetzt werden, waren von vornherein überzogen. Aung San Suu Kyi hat kaum politische­n Spielraum. Sie erfüllt im Grunde den Willen ihrer Wähler und wehrt sich gegen die auch in meinen Augen weder faire noch richtige Darstellun­g, dass Myanmar der einzige Verursache­r dieser Krise ist.

Was muss in Myanmar geschehen?

Die UN sollte den Regierunge­n von Bangladesc­h und Myanmar anbieten, im Korridor an der Grenze für eine Weile eine Zone unter UN-Verwaltung einzuricht­en, in der die Menschen in Sicherheit leben können.

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FOTO: DPA Auf der Flucht: Rohingya versuchen der Gewalt in Myanmar zu entkommen. Ihr Ziel ist Bangladesc­h.
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