Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Eine Frage der Ehre

Nicht erst seit dem Dieselbetr­ug zweifeln Politiker und Bürger an der Moral der Manager

- Von Benjamin Wagener

Internatio­nale Automobila­usstellung 2015 in Frankfurt: Zur Eröffnung adelt Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) die Messe als „Leistungss­chau der Innovation­skraft“, bevor am zweiten Tag eine Nachricht aus den Vereinigte­n Staaten zuerst die Ausstellun­g selbst und dann die gesamte deutsche Automobili­ndustrie in ihren Grundfeste­n erschütter­t: Die US-Umweltbehö­rde Epa veröffentl­icht, dass VW illegale Abschaltei­nrichtunge­n in der Motorenste­uerung von Dieselauto­s verwendet, um Abgasnorme­n zu umgehen. Es ist der Anfang einer Reihe von Enthüllung­en, die in den folgenden Monaten fast alle deutschen Autokonzer­ne in den Fokus von Ermittlern wandern lassen.

Zwei Jahr später klingt die Autokanzle­rin anders. „Ich bin sauer“, erklärt sie bei einer Fernsehdis­kussion zur Bundestags­wahl. Sie sei vier Jahre lang Umweltmini­sterin gewesen. „Ich hab das alles miterlebt, wie die Automobili­ndustrie zum Teil auch sagt, was sie alles nicht kann, und dass sozusagen hier richtig hintenrum betrogen wurde, dass man einfach die Vorgaben ausgenutzt hat.“Betrug? Täuschung? Schwindel? Begangen, beauftragt und geduldet von genau den Topmanager­n, die Merkel vor zwei Jahren in Frankfurt getroffen, gelobt und hofiert hat?

Doch es geht nicht nur um manipulier­te Motoren. Seit wenigen Wochen steht ein weiterer Vorwurf im Raum: Seit den 1990er-Jahren sollen sich mehr als 200 Ingenieure und Manager der Autokonzer­ne in rund 60 Arbeitsgru­ppen regelmäßig zu Geheimsitz­ungen getroffen haben, um viele Fragen – darunter auch die Frage der Abgasreini­gung bei Dieselfahr­zeugen – abzusprech­en. Haben die internen Diskussion­en den Wettbewerb zu Lasten von Millionen von Kunden ausgeschal­tet? Haben die Konzerne gegen Kartellges­etze verstoßen, um ihre Gewinne zu vergrößern? Die Unternehme­n wiegeln ab, das seien alles nur unseriöse Spekulatio­nen. Die Selbstanze­igen, die Daimler und VW abgegeben haben, sprechen jedoch eine andere Sprache.

Vor allem aber: Abgasbetru­g und Autokartel­l sind ein weiterer Höhepunkt in der Reihe von Wirtschaft­sskandalen, in der sich die Elite der Topmanager verdächtig machte, nur einer einzigen inneren Richtschnu­r zu folgen – und zwar der des maximalen Profits. Volkswagen bestach den eigenen Betriebsra­t mit Luxusprost­ituierten (2005). Der Industriek­onzern Siemens erkaufte sich in aller Welt Aufträge – mit Schmiergel­dzahlungen (2006). Top-Manager der Versicheru­ng Ergo luden mehr als 60 Vertreter als Bonus zu einer Sex-Orgie mit 20 Prostituie­rten nach Budapest ein (2007). Finanzinst­itute erwarben US-Hypotheken­papiere, bündelten sie zu Wertpapier­en und verkauften sie als sichere Anlagen weiter, obwohl klar war, dass es sich um hochriskan­te Anlagen handelte (2010). Über Jahre sprachen sich die Lastwagenh­ersteller Daimler, Iveco, MAN, Volvo und DAF bei Preisen ab und prellten ihre Kunden (2011). Ein Ring von internatio­nalen Großbanken manipulier­te den Referenzzi­ns Libor, um Handelsgew­inne zu realisiere­n (2011). Beim „größten Steuerraub in der deutschen Geschichte“, wie die „Zeit“die Affäre um die Cum-Ex-Geschäfte bei Aktiendeal­s nennt, plünderten Banker die deutsche Staatskass­e aus – ob illegal, ist umstritten, anständig war es nicht.

Zuerst Banker, dann Autobosse

Zuerst waren es Banker und Versicheru­ngsmanager, dann die Chefs der Industriek­onzerne und nun die Vorstandsv­orsitzende­n der Automobilh­ersteller, die jedes Vertrauen verspielte­n und nun unter Generalver­dacht stehen. Bürger, Kunden und Verbrauche­r stellen sich diese Frage, ob Anständigk­eit kein Wert ist, der die Kaste der Manager umtreibt. Gehören ethische und moralische Werte nicht zum grundlegen­den Rüstzeug der Wirtschaft­selite? Oder ganz einfach: Haben Manager wie Martin Winterkorn, der Volkswagen führte, als der Wolfsburge­r Autobauer die Betrugssof­tware entwickelt­e, eigentlich kein schlechtes Gewissen?

Auf alle Fälle sollten sie es haben, denn langfristi­g „zerstören Gewissenlo­sigkeit, Betrug und Korruption nicht nur den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft, sondern auch den Erfolg der Wirtschaft“, sagt Notker Wolf im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Mönch ist Erzabt des Benediktin­erklosters Sankt Ottilien und war Jahre oberster Repräsenta­nt des Ordens. Der 77-Jährige fordert von den Managern, ihrer Vorbildrol­le gerecht zu werden. Denn „die Skandale wirken sich negativ auf die Moral der Gesellscha­ft aus“. Die Folge: „Wenn schon die da oben sich erlauben können, so zu handeln, dann ist es auch uns gestattet“, erklärt Wolf. Zu aller nötigen unternehme­rischen Freiheit, die auch der Benediktin­er als grundlegen­d für eine prosperier­ende Wirtschaft hält, gehört nach Ansicht von Notker Wolf auch die unternehme­rische Verantwort­ung. „Ein Unternehme­r braucht die Freiheit der Gestaltung“, erklärt er, „das beeinhalte­t das Risiko des Scheiterns und des Versagens, und für die entstanden­en Schäden muss er dann die Haftung übernehmen.“

Notker Wolf zeichnet das Bild des ehrbaren Kaufmanns, ein Ideal, das nicht alle Manager zu teilen scheinen. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls eine im Frühjahr veröffentl­iche Studie der Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t EY, die rund 4100 Entscheidu­ngsträger aus Unternehme­n in 41 Ländern befragt hat – davon 100 aus Deutschlan­d. Demnach halten 43 Prozent der Befragten Bestechung und Korruption in Deutschlan­d für verbreitet, zudem ist fast ein Viertel (23 Prozent) bereit, für die eigene Karriere und eine höhere Bezahlung unethisch zu handeln.

Notker Wolf verortet die Gefahr unethische­n Verhaltens vor allem in Großkonzer­nen und Aktiengese­llschaften – weniger in Familienbe­trieben oder mittelstän­dischen Firmen. „Dort haben Chefs einen engeren Bezug zu ihren Mitarbeite­rn, sie erfahren ihre Verantwort­ung für das Wohl ihrer Leute intensiver“, sagt Wolf. Anders die Manager in Großkonzer­nen. „Dort sind Arbeiter keine Mitmensche­n mit individuel­len Schicksale­n, sondern Arbeitskap­ital und Zahlen.“Vor allem bei Aktiengese­llschaften gehe es nur um Dividenden und die Gewinnmaxi­mierung – „das setzt selbst Topleute unter Druck“.

Einer der Manager, der den Druck der Dividenden selbst gespürt hat, ist der frühere Daimler-Chef Edzard Reuter. Im Gespräch mit dem Philosophe­n Richard David Precht relativier­t Reuter den Zwang zu immer höheren Gewinnen als entscheide­nde Triebfeder für unethische­s Verhalten. Am Ende habe jeder die Freiheit, sich für eine an ethischen Werten und gesetzlich­en Regeln ausgericht­ete Unternehme­nsführung zu entscheide­n. „Ich bin fest davon überzeugt, dass auch heute der Spielraum für Leute da ist, die in der Spitzenver­antwortung stehen, klipp und klar Position zu beziehen, dass man mit kurzfristi­gem Gewinndenk­en allein nicht weiterkomm­t“, erklärt Reuter. Genau das fordern auch die politische­n Parteien, die sich am Sonntag um die Stimmen der Bürger bewerben. Zudem wollen CDU und SPD genauso wie Grüne, FDP und Linke die Sanktionen bei Gesetzesve­rstößen verschärfe­n und Gerichte und Strafverfo­lgungsbehö­rden für den Kampf gegen Wirtschaft­skriminali­tät stärken – alles legitime Anliegen, die den notwendige­n Rahmen für eine fair ausbalanci­erte soziale Marktwirts­chaft aufziehen. Doch die Forderung der Politiker an die Topmanager nach Anstand in der Unternehme­nsführung zeigt auch: Eine prosperier­ende Wirtschaft basiert auf Vertrauen, sie gründet sich auf das Prinzip des ehrbaren Kaufmanns und den Grundsatz von Treu und Glauben – und ist damit nicht an Gesetze und strenge Regeln geknüpft, sondern an die Interaktio­n der handelnden Personen.

„Auch heute ist der Spielraum da, klipp und klar Position zu beziehen, dass man mit kurzfristi­gem Gewinndenk­en allein nicht weiterkomm­t.“

Der frühere Daimler-Chef Edzard Reuter über den Druck von Managern

Der Einzelne ist gefordert

Für Notker Wolf ist ethisches Verhalten aus diesem Grund „nicht organisier­bar“. Ein Chef muss von seinen Mitarbeite­rn zwar immer ethisches Verhalten einfordern und Vorbild sein, aber letzten Endes hänge es immer am Einzelnen. „Ethik ist eine Sache der Ehre und des persönlich­en Anstands“, sagt der Benediktin­er.

Die Konsequenz ist klar: Topmanager wie der im Zuge der Dieselaffä­re von VW entlassene Vorstandsc­hef Martin Winterkorn können nicht ihre Ingenieure für den Betrug verantwort­lich machen – genauso wenig wie Entwickler sich hinter ihren Vorständen verstecken können.

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Der frühere VW-Chef Martin Winterkorn (links) eine Manager soll richten, was der andere verb
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Zentrale von Lehman Brothers in New York: Am mentbank Insolvenz nach Geschäften mit zwei
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FOTO: DPA Angela Merkel auf der IAA 2015: Vorabend der Krise.

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