Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Im Waisenhaus für Elefanten
In Kenia kümmern sich Tierpfleger um Elefantenkinder, deren Mütter tot sind – oft ermordet von Wilderern
NAIROBI (epd) - Ein kleiner Rüssel reckt sich Edwin Lusichi entgegen. Elefant Jotto hat die große Milchflasche in Lusichis Hand entdeckt und will den Inhalt so schnell wie möglich haben. Lusichi, Chef-Pfleger im Elefanten-Waisenhaus von Nairobi, muss unwillkürlich lächeln. Dabei hat er ähnliche Situationen schon unzählige Male erlebt, seit er vor rund 18 Jahren als „Elefanten-Sitter“beim David Sheldrick Wildlife Trust in der kenianischen Hauptstadt angefangen hat. Dennoch wird der Job für den 40-Jährigen nie zur Routine. „Mit Elefanten gibt es immer wieder ganz besondere Momente.“
28 Elefantenbabys
Das jüngste der 28 Elefantenbabys, die derzeit im Waisenhaus am Rande des Nationalparks von Nairobi aufwachsen, ist wenige Wochen alt. Wildhüter fanden das Jungtier Ende Februar alleine im Tsavo Nationalpark, rund 300 Kilometer von Nairobi entfernt. Per Flugzeug wurde der kleine Bulle dann nach Nairobi verfrachtet. Die grauen Elefantenkinder, die schon bei der Geburt 100 Kilogramm wiegen, werden aus allen Winkeln des Landes ins Waisenhaus gebracht.
Jotto ist mittlerweile ein Jahr alt. Hirten fanden ihn in einer Wasserstelle, als er etwa drei Wochen alt war. Das Elefantenbaby steckte im Schlamm fest. Seine Mutter war nirgendwo zu sehen, womöglich hatten Wilderer sie getötet. „Als Jotto zu uns kam, war kaum noch Leben in ihm“, erinnert sich Lusichi. Trotzdem schaffte er es.
Neben der sterbenden Mutter
Malkia, die jetzt ebenfalls ein Jahr alt ist, wurde im Alter von sechs Monaten neben ihrer sterbenden Mutter gefunden, die an einer Krankheitgestorben war. Einige der Elefantenkinder bleiben zurück, nachdem Wilderer ihre Mütter getötet haben. Sie werden neben den Kadavern ohne Stoßzähne gefunden. Oder die Elefantenkühe werden Opfer von Konflikten zwischen Wildtieren und Menschen.
Letzteres kommt gerade in Dürrezeiten besonders häufig vor. Wenn die Elefanten in den Nationalparks nicht genug Nahrung finden, fressen sie die Ernte der Bauern, die im schlimmsten Fall gerade selbst ums Überleben kämpfen und ihren kargen Ertrag gegen die Elefanten verteidigen. Auch derzeit leidet Kenia unter extremer Trockenheit, Präsident Uhuru Kenyatta hat deshalb im Februar den nationalen Notstand ausgerufen. „Vermutlich werden wir bald neue Waisen kriegen“, sagt Lusichi.
Wenn die Elefantenbabys im Waisenhaus ankommen, sind sie nicht nur ausgehungert und dehydriert, sondern auch scheu. Sie wehren sich gegen den Kontakt mit Menschen. Die insgesamt 32 Elefanten-Pfleger päppeln die Tiere dann auf und versuchen vorsichtig, das Vertrauen der kleinen Dickhäuter zu gewinnen.
Längst nicht jedes Tier kommt durch. „60 bis 70 Prozent überleben“, sagt Lusichi. „Die anderen sind schon zu entkräftet und abgemagert, wenn sie zu uns kommen.“Obwohl sie wissen, dass sie oft schlicht keine
Chance haben, setzt der Tod jedes Elefanten den Pflegern zu. „Man hat Nachtwache gehalten, hat die Infusionen kontrolliert, hat alles versucht und fragt sich am Ende doch, ob man noch mehr hätte tun können.“
Als Chef-Pfleger weist Lusichi den Sittern ihre täglichen Aufgaben zu. Sie arbeiten in Schichten, damit kein Tier sich allzu eng an einen Menschen bindet. „Schließlich brauchen die Pfleger auch freie Zeit, dann müssen sich die Elefantenbabys immer noch sicher und geborgen fühlen.“
Die jüngsten Tiere bleiben auch nachts nicht allein. Weil sie die Nähe eines Lebewesens brauchen, um sich beschützt zu fühlen. Und weil sie gefüttert werden müssen. „Bis sie etwa anderthalb Jahre alt sind, kriegen sie die Flasche, sobald sie Durst haben“, erklärt Lusichi. Bemerkbar machen sie sich, indem sie an die Pritsche stoßen, auf denen die Pfleger in ihren Ställen schlafen.
Dass Lusichi einmal zum Pfleger von vierbeinigen Waisen werden würde, hat er selbst nie gedacht und hat sich außerdem spontan ergeben. Ursprünglich wollte er eigentlich mal Priester werden, brach sein Theologiestudium aber dann kurz vor dem Examen ab und wechselte zur Informationstechnologie. Als er nach seinem Diplom nirgendwo einen Job als Informatiker fand, besann er sich auf seine Faszination für Tiere, bewarb sich beim Sheldrick-Trust – und wurde tatsächlich genommen. „Für diesen Beruf braucht man vor allem die Liebe zu den Tieren“, sagt der Chef-Pfleger. Ihn fasziniert nicht zuletzt die Intelligenz seiner Schützlinge.
„60 bis 70 Prozent überleben, die anderen sind schon zu entkräftet, wenn sie zu uns kommen.“Lusichi, Chef-Pfleger im Elefanten-Waisenhaus
Die Entdeckung, dass kleine Elefanten Säuglingsnahrung für menschliche Kinder besser vertragen als Kuhmilch, war der Durchbruch für die Aufzucht der Waisen, dem Ziel der Sheldrick-Stiftung. Sie wurde 1977 nach dem Tod des kenianischen Wildhüters David Sheldrick von dessen Witwe Daphne gegründet.
Nach drei Jahren ausgewildert
Mindestens drei Jahre lang bleiben die Tiere im Waisenhaus, dann werden sie langsam ausgewildert. Das dauert mindestens fünf Jahre, abhängig vom Charakter jedes einzelnen Tieres. Manche kommen noch nach Jahren zu „Besuch“vorbei. Das sind immer ganz große Momente für Edward Lusichi und seine Kollegen. Sie erkennen ihre früheren Zöglinge auch nach langer Zeit noch wieder. Und manchmal führen die einstigen Waisenhaus-Elefanten dann sogar ihren Nachwuchs vor. Und das ist dann besonders rührend.