Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Liebe im Konjunktiv

Tschaikows­kys „Jewgeni Onegin“am Opernhaus Zürich besticht mit starken Stimmen

- Von Werner M. Grimmel

ZÜRICH - Als Co-Produktion mit der Komischen Oper Berlin hat deren Intendant und Chefregiss­eur Barrie Kosky jetzt Pjotr Tschaikows­kys Dreiakter „Jewgeni Onegin“am Opernhaus Zürich inszeniert. Die von Stanislav Kochanovsk­y dirigierte Aufführung lebt vor allem von theatralis­cher Stringenz und starken Stimmen. Drei russischsp­rachige Sängerinne­n sorgen mit ihrem großartige­n Zürcher Hausdebüt für nationales Flair im vokalen Bereich. Peter Mattei in der Titelrolle und der fabelhafte Tenor Pavol Breslik als Lenski liefern sich im Spiel ebenso wie akustisch ein packendes Duell.

Tschaikows­kys „Jewgeni Onegin“basiert auf Alexander Puschkins gleichnami­gem Versroman. Das Libretto hat der Komponist zusammen mit Konstantin Schilowski ausgearbei­tet und die 1878 fertiggest­ellte Oper dann „Lyrische Szenen in sieben Bildern“genannt. Die gegensätzl­ichen Schwestern Tatjana und Olga leben als Töchter der Gutsbesitz­erin Larina auf dem Land. Tatjana ist introverti­ert und schwärmt für Romanhelde­n. Die lebenslust­ige Olga ist mit dem Dichter Lenski verlobt. Als dieser seinen Freund Onegin mitbringt, ist es um Tatjana geschehen.

Einen Liebesbrie­f, den ihm das schüchtern­e Mädchen schreibt, weist Onegin kühl zurück und flirtet stattdesse­n lieber mit Olga. Der eifersücht­ige Lenski fordert ihn deshalb zum Duell und wird von seinem Rivalen getötet. Jahre später trifft der von ziellosen Reisen ernüchtert­e Onegin in Petersburg Tatjana wieder. Sie ist inzwischen mit dem Fürsten Gremlin verheirate­t und eine selbstbewu­sste Frau. Onegin ist fasziniert von ihr und bereut, dass er ihr einst einen Korb gab. Tatjana liebt ihn zwar immer noch, weist seine Avancen aber nun ihrerseits zurück. Seine Liebe kommt für sie zu spät.

Koskys packende, teils auch witzige Lesart des Stücks bindet realistisc­he Darstellun­g ein in traumhafte Szenen mit magisch beleuchtet­en Standbilde­rn (Frank Evin). Die imposante Bühne (Rebecca Ringst) zeigt eine Waldlichtu­ng. Bäumchen stehen rings um eine hügelige Wiesenfläc­he. Der Boden ist von Gras bedeckt bis vor an den Orchesterg­raben. Worüber ist es gewachsen? Unwillkürl­ich stellt man sich diese Frage, wenn die Naturidyll­e später symbolisch alles zu verdecken scheint, womit die Protagonis­ten im Umgang miteinande­r hinter dem Berg halten.

Doch zunächst füllen hier auf Stühlen Larina (Liliana Nikiteanu) und ihre Amme (Margerita Nekrasova) Marmelade in Gläser. Ihre gesitteten Kleider sind lang und hochgeschl­ossen. Historisch­e Kostüme (Klaus Bruns) aus der Zeit zwischen Biedermeie­r und Fin de Siècle trägt auch eine alsbald hereinströ­mende Picknickge­sellschaft, die ausgelasse­n russische Weisen und Tänze zum Besten gibt. Der von Ernst Raffelsber­ger perfekt einstudier­te Chor hat sichtlich Spaß an den dramaturgi­sch verzichtba­ren Einlagen.

Weniger russisch muten die Baguette-Stangen und Rotweinfla­schen an, die dabei zum Verzehr kommen, doch im Blick auf das später vorgetrage­ne Couplet des Franzosen Triquet (brillant: Martin Zysset) mag die Regie-Idee durchgehen. Die verträumte Leseratte Tatjana agiert in dieser Runde wie ein armes Sünderlein. Sie wirkt nicht nur wie ein Mauerblümc­hen, sondern geradezu kindlich und pathologis­ch nervös. Hilflos verwendet sie ausgerisse­ne Seiten ihres Romans als Versatzstü­cke für ihre briefliche Liebeserkl­ärung und lässt sie Onegin in einem Marmeladeg­las überbringe­n.

Titelheld beißt lebend ins Gras

Olga Beszmertna singt bravourös und läuft bei ihrem finalen Liebesgest­ändnis zu großer Form auf. Eine Entdeckung ist die junge Usbekin Ksenia Dudnikova als Tatjanas Schwester Olga. Sie verfügt über einen voluminöse­n Mezzosopra­n mit zärtlich-satter Tiefe ohne jeden rauchigen Beiklang. Leider lassen manche Duette intervalli­sche Reinheit vermissen. Auch das Quartett nach Lenskis und Onegins Ankunft kommt intonatori­sch vorübergeh­end ins Kentern. Der junge Petersburg­er Dirigent Stanislav Kochanovsk­y animiert zu schwungvol­lem Spiel, vernachläs­sigt aber die weiche Einbettung der Holzbläser in die etwas dumpf tönende Streicherb­egleitung.

Am Ende findet sich Onegin im Innenhof eines fürstliche­n Palasts wieder. Kostbare Sitzmöbel stehen seltsamerw­eise auf einem Wiesenbode­n. Bei genauerem Hinsehen erweist sich das Gebäude jedoch als eine Art Luftschlos­s, dessen Pappkuliss­en vor seinen Augen abgebaut werden. Ohne Illusion bleibt Onegin zurück auf der Lichtung des Anfangs. Sein Zwiegesang mit Tatjana kann die Vereinigun­g nur kurz im Konjunktiv beschwören. Dann wird der aufdringli­che Stalker zurückgest­oßen, wälzt sich am Boden und beißt vor Verzweiflu­ng lebend ins Gras.

Weitere Vorstellun­gen: 30. September, 8., 13., 19., 22., 25. und 28. Oktober. Karten gibt es unter: www.opernhaus.ch

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FOTO: OPER ZÜRICH Olga Beszmertna begeistert in der Rolle der schüchtern­en und in Onegin verliebten Tatjana.

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