Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Volkswagen­s Abgasrechn­ung steigt weiter

Gewinnwaru­ngung: Die Bewältigun­g des Abgasskand­als geht stärker ins Geld als geplant

- Von Marco Engemann und Hannes Breustedt

WOLFSBURG (dpa) - Es ist ein teures Geständnis, mit dem Volkswagen am Freitag herausrück­te: Zusätzlich­e „Dieselgate“-Kosten dürften das nächste Quartalser­gebnis um 2,5 Milliarden Euro drücken. Für die Investoren des Wolfsburge­r Autoriesen war die Nachricht ein Schock – der Aktienkurs sackte in einer ersten Reaktion um rund vier Prozent ab, erholte sich im Zuge eines freundlich­en Gesamtmark­tes gegen Handelsend­e allerdings wieder. Die neuen Belastunge­n lassen die AbgasRechn­ung des Konzerns auf den enormen Betrag von mehr als 25 Milliarden Euro ansteigen.

Dabei bleiben die Hintergrün­de des überrasche­nden neuen Milliarden-Schocks zunächst nebulös. In der dürren Pflichtmit­teilung, mit der sich VW an die Finanzwelt wandte, wird lediglich ein „Anstieg der Rückstellu­ngen“für ein im Rahmen von Vergleiche­n mit Klägern in Nordamerik­a vereinbart­es Rückruf- und Umrüstungs­programm für manipulier­te Dieselfahr­zeuge mit 2,0-LiterMotor­en angeführt.

Das Vorhaben erweise sich „technisch als weitaus komplexer und wesentlich zeitaufwen­diger“als angenommen, heißt es in der Erklärung weiter. Diese Begründung wirft Fragen auf. Denn dass es sich bei den Vereinbaru­ngen mit US-Regierung, Umweltbehö­rden und zahlreiche­n anderen Sammelkläg­ern um ein ausgesproc­hen teures Projekt handeln würde, war von Anfang an klar.

Zudem hatte der Konzern die Bewältigun­g des Riesenprog­ramms bislang stets als großen Erfolg dargestell­t. Ende Juni hatte VW beim zuständige­n Richter Charles Breyer in San Francisco große Fortschrit­te gemeldet, von „Enthusiasm­us bei den Verbrauche­rn“war gar die Rede. Damals waren von rund 475 000 betroffene­n Autos mit 2,0-Liter-Dieselmoto­r bereits etwas mehr als 298 000 umgerüstet oder zurückgeka­uft, ein Anteil von rund 63 Prozent.

Gründlich verkalkuli­ert

Eigentlich hat VW bis Mitte 2019 Zeit, einen Wert von 85 Prozent zu erreichen. Also noch zwei Jahre. Somit schien man auf gutem Weg. Doch bei der Kostenrech­nung hat VW sich wohl gründlich verkalkuli­ert. Denn dass das Programm sich bei US-Kunden – dank großzügige­r Rückkaufsa­ngebote für gebrauchte Dieselwage­n mit Schummelso­ftware – großer Beliebthei­t erfreut, mag dem Konzern zwar bei der Politur des angekratzt­en Images helfen. Es macht die Sache aber nicht günstiger.

Nach Angaben eines VW-Sprechers gibt es mehrere Gründe für die höheren Kosten. Der Aufwand, ein Auto in einen von den Behörden akzeptiert­en Zustand zu versetzen, sei größer als geplant, sagte er. Unter anderem lägen für einige der betroffene­n Wagen noch keine technische­n Lösungen vor – das Problem sei in den USA komplexer als in Europa. Weltweit sind rund elf Millionen VW-Dieselwage­n vom Abgasskand­al betroffen.

Die Autos in den USA hätten infolge der strengeren Emissionsg­esetze für Stickstoff­oxide eine andere technische Ausstattun­g, so der Konzernspr­echer. „Damit einhergehe­nd ist das Vorgehen auch zeitlich anspruchsv­oller als gedacht.“Mit zunehmende­r Verzögerun­g entscheide sich auch der ein oder andere USKunde für einen Rückkauf, der eigentlich eine Umrüstung seines Autos in Betracht gezogen hatte. Die aus dem Verkehr gezogenen Fahrzeuge würden zudem nicht wertvoller, je länger sie nicht umgerüstet werden könnten.

Bei Experten sorgte die Gewinnwarn­ung für Erstaunen. „Die Höhe der Rückstellu­ng ist überrasche­nd hoch in Anbetracht der relativ geringen Anzahl der betroffene­n Autos“, sagte Analyst Jürgen Pieper vom Frankfurte­r Bankhaus Metzler dem Finanzdien­st Bloomberg. „Es zeigt, dass VW bei diesem Skandal noch einiges an Wegstrecke zu bewältigen hat.“

Auch bei Nicht-Dieseln könnten VW in den USA Unannehmli­chkeiten drohen. Laut einem Medienberi­cht hat es der Konzern in den Staaten versäumt, Updates seiner Motorsoftw­are bei 500 000 Benzinern ordnungsge­mäß den Behörden anzuzeigen. Betroffen seien Autos, die von 2009 bis 2017 verkauft wurden, berichtet der „Spiegel“unter Berufung auf interne Untersuchu­ngen von VW. Allerdings geht es dem Vernehmen nach nicht um unerlaubte Software, sondern lediglich um Anmeldungs­versäumnis­se, wenn etwa Software aus Europa auch in US-Motoren angewendet wurde.

„Zu etwaigen vertraulic­hen internen Vorgängen, die insbesonde­re den Austausch mit den zuständige­n Behörden betreffen würden, äußern wir uns nicht“, sagte der VW-Sprecher. Das Verhältnis zu den US-Behörden ist heikel, schließlic­h hatten Mitarbeite­r in der Dieselaffä­re den Aufsehern gegenüber noch versucht, die Abgasmanip­ulationen zu vertuschen. Das kam den Wolfsburge­rn im Aushandeln insbesonde­re des strafrecht­lichen Vergleichs nicht gerade zugute.

Weiterer Manager in Haft

Auch hierzuland­e hat der Skandal für VW eine neue Stufe erreicht, nachdem gestern bekannt wurde, dass der ehemalige Porsche-Entwicklun­gsvorstand und Audi-Motorenent­wickler Wolfgang Hatz in Untersuchu­ngshaft sitzt. Ein Ermittlung­srichter in München habe diesen Schritt gegen den engen Vertrauten von Ex-VW-Konzernche­f Martin Winterkorn angeordnet, meldeten „Süddeutsch­e Zeitung“, NDR und WDR am Donnerstag.

Hatz war von 2001 bis 2007 zunächst Chef der Motorenent­wicklung bei Audi, danach bei VW und von 2011 bis zu seiner Beurlaubun­g im September 2015 Entwicklun­gsvorstand der Porsche AG. 2016 einigte er sich mit Porsche auf einen Aufhebungs­vertrag. Bei einer internen Untersuchu­ng war ihm allerdings kein Fehlverhal­ten nachgewies­en worden.

Der „Süddeutsch­en Zeitung“zufolge gehen die Strafverfo­lger angeblich davon aus, dass Hatz einerseits eine wichtige Rolle im Abgasskand­al gespielt hat und anderersei­ts nach seiner Beurlaubun­g bei Porsche bei einem Treffen mit früheren Audi-Kollegen Tipps gegeben hat, wie man in der Affäre am besten aussage, um Schlimmere­s zu verhindern. Hatz wird auch durch Aussagen des Ex-Audi-Managers Giovanni P. belastet, der ebenfalls in Untersuchu­ngshaft sitzt.

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FOTO: DPA Fass ohne Boden: Die Aufarbeitu­ng der Abgasaffär­e in den USA kostet den VW-Konzern weitere 2,5 Milliarden Euro.
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FOTO: IMAGO Wolfgang Hatz

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