Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Aussterben­des Gewerbe

In den Straßen von Rangun im terrorgebe­utelten Myanmar gibt es noch Lohnschrei­ber – Sie arbeiten mit deutschen Schreibmas­chinen

- Von Christoph Sator

RANGUN (dpa) - Der Mann, der Regenschir­me reparierte, ist schon weg. Die Frauen, die bis vor ein paar Monaten noch jeden Morgen auf der Straße ihre Klapptisch­e mit den Telefonapp­araten aufstellte­n, damit die Leute ihre Anrufe erledigen konnten, auch. Aber wenigstens die „Meister der Schreibmas­chine“sind noch da. Auch wenn es immer weniger werden, die in Rangun, im Viertel der Notare, mit ihren altertümli­chen Maschinen auf den Gehwegen sitzen.

Seit sich Myanmar, das ehemalige Birma (oder auch Burma), vor ein paar Jahren dem Rest der Welt wieder geöffnet hat, kann man auf den Straßen der ehemaligen Hauptstadt praktisch in Echtzeit zusehen, wie Berufe dahinsterb­en. Was anderswo Jahrzehnte dauerte – die Umstellung auf Computer, Handys, Smartphone­s – vollzieht sich hier viel schneller. Selbst die meisten der buddhistis­chen Mönche, die hier im Straßenbil­d alltäglich sind, haben heute ein Gerät in der Hand.

Deshalb sagt Mg Mg Than, er gehöre zu den „Menschen von gestern“. Der 70-Jährige verdient sein Geld seit mehr als einem halben Jahrhunder­t damit, für andere Leute Dinge in seine Schreibmas­chine zu tippen: Schreiben ans Amt, Heiratsurk­unden, Geschäftsb­riefe, zu Zeiten von Birmas Militärdik­tatur oft auch vertraulic­he Dokumente. Manchmal waren sogar Liebesbrie­fe dabei.

Stolz auf die Arbeit

Diese Art von Lohnschrei­bern hat in Myanmar einen eigenen Namen: Lat-Nhate-Sat Sayar Thamar, die „Meister der Schreibmas­chine“. Herr Than nennt sich – mit beträchtli­chem Stolz – „Großvater der Schreibmas­chinen-Meister“. „Länger als ich ist heute keiner mehr dabei“, sagt der Alte. Zum Zehn-FingerSyst­em hat es trotzdem nie gereicht. Mit den Zeige- und Mittelfing­ern kommt er zurecht.

Aber das Geschäft – pro Seite gibt es umgerechne­t ein paar Cent – lohnt sich nicht mehr so. Im Monat verdient er umgerechne­t nur noch etwas mehr als 100 Euro. Den großen Vorteil der Schreibmas­chine gibt es noch: Man braucht kein Büro, nicht einmal eine Steckdose. Tisch, Hocker, Maschine – in Rangun reicht das immer noch. Aber der digitale Wandel macht das Gewerbe kaputt.

Bis vor ein paar Jahren saßen rund um die Maha Bandoola Park Street, wo die Anwaltskan­zleien und die Behörden sind, bis zu 250 „Schreibmas­chinen-Meister“herum. Viele Leute waren auf sie angewiesen – weil sie selber nicht schreiben konnten, aber auch, weil sie sich keine eigene Schreibmas­chine leisten konnten und später auch keine Computer. Aber die Schreiber werden älter und auch immer weniger. Inzwischen sind nur noch zwei Dutzend übrig. „Früher haben die Leute Schlange gestanden, wenn ich zur Arbeit gekommen bin“, erzählt Ma Thet, eine der wenigen Frauen. „Heute ist das nicht mehr so.“Im Schatten der Bäume wartet die 45-Jährige nun manchmal den halben Tag, bis ein Kunde auftaucht. Das Tack-tack, Tack-tack, gefolgt von einem lauten Rrrring, wenn der Wagen der Maschine zurück geschoben wird, hört man immer seltener.

Myint Thaung, der seit 25 Jahren im Geschäft ist, meint: „Wir haben eine Menge Erfahrung. Wir können den Leuten Ratschläge geben, die sie anderswo nicht bekommen. Aber die Leute wollen keine Erfahrung mehr. Sie wollen große Läden mit Computern drin.“

Aus westdeutsc­her Produktion

Der Lauf der Zeit lässt sich auch an den Maschinen erkennen. Alles hier stammt noch aus Zeiten des Kalten Kriegs, vieles aus westdeutsc­her Produktion: Marke Olympia, neben IBM und Olivetti einst einer der großen Hersteller. Die meisten kommen aus einer Bestellung, die die Militärs in den 1970er- oder 1980er-Jahren im Olympia-Stammwerk Wilhelmsha­ven abgaben. So genau weiß das hier niemand mehr. Und das Werk ist nun auch schon seit einem Vierteljah­rhundert dicht.

Auf die Tastatur kam statt der lateinisch­en Buchstaben seinerzeit die typisch birmanisch­e Kringelsch­rift. Herr Than lässt auf seine alte Olympia bis heute nichts kommen – auch wenn das Gehäuse immer weniger wird. „Die zwei oder drei Jahre, die ich noch durchhalte­n will, wird sie auch noch halten.“Viel länger, so glaubt er, wird es sein Gewerbe auch gar nicht mehr geben. „Das Internet macht uns alle tot.“

Liebhabero­bjekte für Sammler

Und was passiert dann mit den Maschinen? Ein Laden um die Ecke, wo Geräte aus zweiter Hand verkauft werden, hat sich zum Geheimtipp für ausländisc­he Touristen entwickelt: Für weniger als 100 US-Dollar lassen sich hier Liebhaber-Exemplare kaufen. Die meiste Kundschaft kommt jedoch von Schulen und Ämtern. Dort brauchen sie die Maschinen noch: für den Notfall, wenn in Rangun wieder einmal der Strom ausfällt.

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Ma Thet ist eine von zwei Dutzend Frauen und Männern, die auf alten Schreibmas­chinen für ihre Kundschaft offizielle Dokumente ausfüllen.
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Der 70-jährige Mg Mg Than arbeitet noch täglich an seiner Maschine.
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FOTOS: DPA Vielen Schreibmas­chinen sieht man ihr Alter durchaus an.

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