Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Viel Kabale und wenig Liebe

Die CSU ringt um ihre Zukunft und Horst Seehofer um seine Posten

- Von Michael Lehner

MÜNCHEN - Eigentlich redet Horst Seehofer selber seit Jahren – und bisher sichtlich mit Vergnügen – über seine Ablösung als bayerische­r Ministerpr­äsident. Aber dies offenbar so wenig überzeugen­d, dass nun auch er erleben muss, wie gnadenlos die CSU traditione­ll mit schwächeln­dem Führungspe­rsonal umgeht.

Sicher ist, dass Seehofer die wenig barmherzig­en Spielregel­n in seiner Partei so gut kennt wie kaum ein Zweiter. Er weiß, dass dort die Macht bevorzugt „an der noch warmen Häuptlings­leiche“verteilt wird – wie einer klagt, der nach dem Tod des Übervaters Franz Josef Strauß zu spät ans Totenbett nach Regensburg gelangte.

Seehofer weiß auch, wie wenig Treueschwü­re in solchen Tagen gelten. Sie sind eher eine Zwischenlö­sung, um abzuwarten, woher der Wind weht. So hat der nun selbst Bedrängte seinem Vor-Vorgänger Edmund Stoiber noch öffentlich die Treue geschworen, als Stoibers Tage schon längst gezählt waren, nachdem er erst Bundeskanz­ler werden wollte und nach knapper Niederlage doch lieber in Bayern blieb. So wurden reichlich Karrierepl­äne obsolet.

Eine Gemengelag­e also, die deutlich macht, was in der CSU wohl gar nicht geht: mit dem eigenen Abschied kokettiere­n und dann doch im Amt bleiben. Strauß dachte noch als Siebzigjäh­riger nicht ans Aufhören, nicht laut zumindest. Er beließ es dabei, über ein „Wurzelgefl­echt“möglicher Nachfolger zu plaudern. Logisch, ohne einen Termin zu nennen. Da konnten sich viele Hoffnungen machen, ohne gleich Bruderkrie­ge anzuzettel­n.

„Rechts von der CSU“, pflegte dieser Strauß zu sagen, dürfe es „keine demokratis­ch legitimier­te Partei“geben. Die gibt es nun. Wahlergebn­isse unterhalb der absoluten Mehrheit schienen für die CSU undenkbar. Nun sind sie die Realität. Nachdem es unter Edmund Stoiber, den sie wenig später aus dem Amt drängten, sogar eine Legislatur lang zur Zweidritte­lmehrheit im Landtag gereicht hatte.

Rebellen im Hinterzimm­er

Dennoch war zum Ende der StoiberÄra das Bedürfnis, den Strauß-Zögling loszuwerde­n, so beherrsche­nd, dass die Rebellen am Rande einer Klausur im Winter des Jahres 2007 zu Wildbad Kreuth nicht einmal das noch eingeschal­tete Mikrofon des Bayerische­n Rundfunks bemerkten, als sie in einem Hinterzimm­er ihre Schlachtpl­äne schmiedete­n. Heraus kam dann dabei die knapp ein Jahr währende Regierung des Interimsmi­nisterpräs­identen Günther Beckstein.

Erwin Huber, seinerzeit bayerische­r Finanzmini­ster, sicherte sich beim Komplott in den tief verschneit­en Tegernseer Bergen die Mehrheit zum Parteichef. Seehofer wurde am Rande des Machtkampf­s mit einer außereheli­chen Vaterschaf­t denunziert – und unterlag dem Parteifreu­nd Huber krachend bei der Kampfkandi­datur um den Parteivors­itz.

Der Ausgang ist allgemein bekannt: Am 28. September 2008 verlor die CSU 17,3 Prozent der Stimmen und damit die absolute Mehrheit im Landtag. Seehofer setzte schon in jenen Tagen tiefer Trauer seine Truppen in Bewegung, beanspruch­te nicht nur den Posten des Regierungs­chefs, sondern gleich noch den Parteivors­itz. Eine Ämterhäufu­ng, die sich von Strauß über Stoiber als wirksamste­s Mittel erwies, die CSU im Griff zu haben.

Anders, ahnen nicht nur Historiker, geht es wohl nicht. Das musste als Parteivors­itzender auch Theo Waigel erfahren, an dem sich in der Folge die Ministerpr­äsidenten Max Streibl und Edmund Stoiber abarbeitet­en als wäre der schwäbisch­e Bundesfina­nzminister der wahre politische Gegner.

Glückloser Streibl

Aus der Episode mit dem glücklosen Streibl, der am Ende wegen einer geschenkte­n Fernsehsch­üssel und einigen Einladungs­reisen den Hut nehmen musste, wissen sie in der CSU, wie gefährlich Übergangsk­andidaten werden können: Entweder kosten sie Reputation wie Streibl. Oder man wird sie nicht mehr los, weil sie im Amt zu vorher ungeahnter Größe wachsen. Wie einst Alfons Goppel, der letzte wahre Landesvate­r, den Strauß im Jahr 1978 mit schier körperlich­er Präsenz aus dem Amt drängte.

Was zunächst mit Stoiber und nun mit Seehofer abgeht, war noch unter Strauß schlicht nicht vorstellba­r: Sie schimpften ihn zwar für die Vermittler­rolle beim letzten Milliarden-Kredit ans DDR-Regime. Sie sagten ihm Mitschuld am Erstarken der Republikan­er-Partei nach. Und sie tuschelten über Amouren. Aber noch als die Feiern zum Siebzigste­n des Alten Bayern in den Ausnahmezu­stand versetzten, war an öffentlich­e Nachfolge-Spekulatio­nen nicht zu denken.

Dann kam, buchstäbli­ch aus heiterem Himmel, der tödliche Zusammenbr­uch auf einem Jagdausflu­g beim Regensburg­er Fürsten. Und wenig später Streibl – Ergebnis siehe oben. Die Angst, dass über die Zukunft der CSU noch einmal an Totenbette­n entschiede­n werden könnte, gehört seitdem zur Seele der lange stolzen Partei. Und die Bereitscha­ft, notfalls mit harten Bandagen zu kämpfen.

Um Streibl zu beerben, griff Stoiber sogar zum Mittel der öffentlich­en Selbstbezi­chtigung wegen Gratis-Urlaubsdie­nstreisen an der Seite von Franz Josef Strauß. Streibl sagte zu Waigel den denkwürdig­en Satz: „Und ich dachte immer, du bist mein Feind.“Und Horst Seehofer weiß genau, dass unter denen, die ihm jetzt die Stange halten, nicht wenige sind, die nichts mehr fürchten als einen Stabwechse­l unter Zeitdruck.

Noch gilt die Devise Zuwarten auch für den derzeitige­n Favoriten Markus Söder: Der bayerische Finanzmini­ster macht keinen Hehl daraus, dass er Seehofer beerben will. Aber er kennt auch genau die Ängste, erneut ein ausgeprägt­es Alphamännc­hen an der Spitze zu haben – zumal aus dem mächtigen CSU-Bezirk Oberbayern. Er hat Söder momentan keinen wirklichen Rivalen entgegenzu­setzen. Weshalb die Solidaritä­tsadressen für Seehofer aus Oberbayern besonders laut tönen.

Die Stimmung ausloten

Was bis dahin an Geplänkel abläuft, betrifft eher Versuche, die Stimmung in der Partei auszuloten. Im November, auf dem CSU-Parteitag mit Vorstandsn­euwahlen, wird es dann ernster. Vielleicht hat Seehofer noch die Chance und Macht, seine Dinge selber zu regeln. Im Herbst des kommenden Jahres wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Vor dem vergangene­n Sonntag wäre die CSU womöglich zu befrieden gewesen mit dem Seehofer-Verspreche­n, zur Mitte der neuen Legislatur­periode abzutreten. Das wird nun vermutlich nicht mehr genügen.

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FOTO: DPA Ob Horst Seehofer in der CSU noch lange die Richtung angeben kann, ist eine gute Frage. Mit Führungspe­rsonal, das womöglich nicht mehr für den politische­n Erfolg steht, gehen die Christsozi­alen üblicherwe­ise recht gnadenlos um.

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