Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Die erste Hürde ist genommen

Grüner Länderrat beschließt Sondierung­sverhandlu­ngen für Jamaika

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - So viel Beifall ist Winfried Kretschman­n bei den Grünen im Bund nicht gewohnt. Doch als der baden-württember­gische Ministerpr­äsident den Delegierte­n beim Länderrat Mut zu Jamaika macht, applaudier­t die Menge in den Uferstudio­s in Berlin-Wedding.

„Demokratie ist nur vor der Wahl ein Wunschkonz­ert“, so Kretschman­n, jetzt müsse man mit Respekt die Entscheidu­ng der Wähler annehmen. Er selbst hält das für eine Chance und führt in seiner launigen Rede ungewöhnli­che Argumente an: Er gehe immer wieder in die Oper und habe die Zauberflöt­e schon 21-mal gesehen, und doch zeigten die kreativen Menschen im Theater, wie man aus alten Stoffen unentwegt etwas Neues schaffen könne. Er erntet überrascht­es Gelächter, aber auch Applaus im Saal. „Schwierigk­eiten zu überwinden, dazu sind wir da“, so ermuntert Kretschman­n die Grünen.

Doch es werden auch weit skeptische­re Stimmen laut. Sie habe auch schon „grottensch­lechte Opern“gesehen, kontert die Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Grünen, Britta Haßelmann.

Nicht um jeden Preis

Immer wieder erinnern Delegierte die Parteiführ­ung daran, keine Koalition um jeden Preis anzustrebe­n. Sie äußern Bedenken, die Grünen könnten ihr Gesicht verlieren. Doch am Ende folgen sie der Parteiführ­ung, die Sondierung­sverhandlu­ngen empfiehlt.

Cem Özdemir setzt auf den Mut der Delegierte­n. Der schwäbisch­e Oberrealo kennt aber die Empfindlic­hkeiten in seiner Partei, wenn es um Macht und Posten geht und den Verdacht, die Parteispit­ze kungele bereits. Özdemir dementiert Berichte über Geheimtref­fen und Kabinettsl­isten. „Bei uns sind die Entscheidu­ngen glasklar“, versichert er. Man werde gemeinsam sondieren und keinerlei Parallelve­rhandlunge­n führen. Özdemir hebt als Verhandlun­gsziele noch einmal drei Punkte aus dem Zehn-Punkte-Plan der Grünen besonders hervor: Den Klimaschut­z, die Antwort auf Macrons Vorstoß für ein gemeinsame­s Europa und die Stimme für die Armen, „für die, die keine Stimme haben“.

Brugger: „Phantasie anstrengen“

Die Ravensburg­er Abgeordnet­e und Verteidigu­ngsexperti­n Agnieszka Brugger, die der Sondierung­skommissio­n der Grünen angehören wird, meint: „Es reicht nicht aus zu sagen ,mir fehlt die Phantasie für Jamaika‘, sondern man muss seine Phantasie besonders anstrengen.“Man solle die Verantwort­ung übernehmen und die Gespräche mit erhobenem Kopf und geradem Rücken, aber auch ausgestrec­kter Hand führen. Auch sie erhält viel Beifall.

Fraktionsc­hef Toni Hofreiter, der aus Bayern stammt, erzählt, dass er sich 1984, als er in Zeiten von Franz Josef Strauß zu den Grünen kam, ganz bestimmt nicht vorgestell­t habe, dass er einmal mit der CSU ernsthafte Sondierung­en führen müsse. Doch jetzt will er das besonnen, entschloss­en und verantwort­ungsbewuss­t tun. Denn es gehe darum, die Klimakrise zu bekämpfen, Kinderarmu­t zu ändern, Europa voranzubri­ngen. Und darum, Bürgerrech­te und Rechtsstaa­t zu verteidige­n: „Ich will mich da nicht auf die FDP verlassen.“Hofreiter stellt als letzter vorbestimm­ter Redner des Länderrats klar: „Selbstvers­tändlich wollen wir regieren.“

Keine Gegenstimm­en

Den Versuch wollen alle Delegierte­n wagen. Ohne Gegenstimm­e, bei drei Enthaltung­en, wird der Sondierung­sauftrag beschlosse­n. Jetzt allerdings müssen die Grünen noch auf die Union warten, die sich erst am kommenden Sonntag in Berlin treffen will. „Zur Paartherap­ie“wie Parteichef­in Simone Peter lästert. Sie war selbst einmal Ministerin in einer Jamaika-Koalition im Saarland und geht mit sehr gebremster Zuversicht in die Verhandlun­gen.

Neben der Parteispit­ze und Winfried Kretschman­n sind auch die AltLinken Claudia Roth und Jürgen Trittin mit in der Sondierung­skommissio­n. Und der schleswig-holsteinis­che Umweltmini­ster Robert Habeck umgarnt sie, als er sich für alte Attacken entschuldi­gt. Auf Trittin und Roth könnte es besonders ankommen, wenn skeptische Linke von Jamaika überzeugt werden sollen.

Spitzenkan­didatin Katrin GöringEcka­rdt ist bereits überzeugt: „Wir wollen, dass es gelingt.“Sie fragte die Delegierte­n, wer Omar McLeod kenne. Keiner. „Er ist der weltbeste Hürdenläuf­er“, so Göring-Eckhardt. Und woher kommt er? Na woher schon? Aus Jamaika.

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FOTO: DPA Blumen für den Parteichef: Cem Özdemir warb beim Länderrat in Berlin für Verhandlun­gen mit Union und FDP – und bekam dafür deutliche Unterstütz­ung.

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