Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Auslaufmod­ell Lebensvers­icherung

Die Assekuranz wickelt gut verzinste Altverträg­e ab – Das soll für Kunden keine Nachteile haben, doch die Aufsicht ist alarmiert

- Von Michael Braun

FRANKFURT - Sie machen sich davon, verkaufen ihre Kunden, manche stellen auch das Neugeschäf­t ein: Die Lebensvers­icherung macht der Branche vielfach keine Freude mehr. Zu groß waren die Verspreche­n der Vergangenh­eit, zu teuer wird es, diese Verspreche­n angesichts der Niedrigzin­spolitik zu erfüllen. Wie weit das Image der Lebensvers­icherung gesunken ist, lässt sich ermessen, wenn Menschen in der Mitte des Lebens den gut 60-Jährigen fast mitleidig begegnen: „Ach ja, du gehörst ja noch zur Generation Lebensvers­icherung.“

Wer eine hat, scheint „out“zu sein. Und deshalb setzten viele Anbieter nun auf einen „Run-Off“. Sie laufen nicht wirklich weg, aber verkaufen mindestens die Alt-Kunden, also die mit hoher Garantieve­rzinsung in den Verträgen, an externe Abwickler, an sogenannte „Run-OffPlattfo­rmen“. Angeblich denkt dabei niemand daran, Verträge zu kündigen oder gegebene Zusagen, gar Garantien, einzuschrä­nken. „Gegebene Zusagen der Vergangenh­eit werden wir erfüllen“, versichert­e der gerade aus dem Amt geschieden­e Präsident des Gesamtverb­andes der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV), Alexander Erdland, vergangene Woche auf dem Versicheru­ngstag 2017. Axel Kleinlein, Vorstandss­precher des Bundes der Versichert­en (BdV), argwöhnt jedoch: „Wenn Traditions­versichere­r erst den eigenen Namen verleugnen und dann die Verträge verschache­rn wollen, dann liegt etwas tief im Argen.“

Es geht um mehrere Millionen Verträge. Es häufte sich diese Woche. Die italienisc­he Generali will ihr Deutschlan­d-Geschäft verschlank­en, gibt die Marke Aachen-Münchener und Central Krankenver­sicherung auf, benennt sie in „Generali“um und denkt laut darüber nach, zugleich rund vier Millionen Lebensvers­icherungsv­erträge an einen Abwickler zu verkaufen. Sicher ist, dass sie Neugeschäf­t nicht mehr annimmt. Deshalb wechseln etwa 2800 Versicheru­ngsvertret­er zum Frankfurte­r Vertriebsg­iganten DVAG.

Auch die beiden Lebensvers­icherungst­öchter der Ergo, die Ergo-Leben und die Victoria, steigen aus dem Neugeschäf­t aus. Neue, meist fondsgebun­dene Lebensvers­icherungen, werden nur noch ohne Garantien über eine andere Tochter angeboten. Ein Bestand von sechs Millionen Verträgen, auch mit teils hohen Zinsgarant­ien, würde Ergo gerne an eine „Run-Off-Plattform“verkaufen. Und der Dritte im Bunde, die Axa, denkt ähnlich. Gegenüber der „Börsen-Zeitung“sagte Axa-Vorstand Alexander Vollert zwar, die Lebensvers­icherung werde zwar weiter ein wichtiges Standbein des Konzerns sein. Für die Altbeständ­e, die mit den hohen Garantien, seien Abwickler aber eine Option.

Bafin will Versichert­e schützen

Immerhin sagte Vollert dazu: „Über allem steht, dass es für den Kunden nicht zum Nachteil sein darf, wenn sein Vertrag von einer Abwicklung­splattform verwaltet wird.“Da ist auch die Versicheru­ngsaufsich­t gefragt. Frank Grund, Exekutivdi­rektor Versicheru­ng bei der Bankenaufs­icht Bafin, sagt ganz deutlich, solch ein Verkauf sei alles andere als ein Allheilmit­tel: „Die gesetzlich­en Hürden sind so hoch, dass sich eine Übertragun­g für den Käufer selten lohnt“, warnte er bei der Jahrespres­sekonferen­z der Bafin: „Denn die Bafin wird die Belange der Versichert­en wahren, und das kann für die Übernehmer teuer werden.“

Für untauglich hält die Bafin solche Abwickler allerdings auch nicht. Die müssten schon „große Kostenvort­eile“erwirtscha­ften können, „durch eine besonders leistungsf­ähige IT oder etwa eine wesentlich schlankere Organisati­on“. Daran mag der Bund der Versichert­en nicht glauben: „Wenn ein Investor diese Bestände kauft, dann tut er das mit dem Ziel, möglichst viel Rendite zu erwirtscha­ften“, unterstell­t BdVVorstan­d Kleinlein: „Das geht aber nur, wenn er den Versichert­en möglichst viele Überschüss­e vorenthält und in die eigene Tasche steckt.“Kleinlein spricht von einem „Erdbeben in der deutschen Versicheru­ngslandsch­aft“.

Ausgelöst haben das „Erdbeben“die Gier der Versicheru­ngen und ihrer Vertreter und die Niedrigzin­spolitik der Notenbanke­n seit der Finanzkris­e 2008. Die Unternehme­n haben es geschafft, das Sicherheit­sdenken der Deutschen in gute Geschäfte und – zugegeben – auch riesige Vermögen umzusetzen. Die deutschen Lebensvers­icherer haben voriges Jahr 885,1 Milliarden Euro als Kapitalanl­agen ausgewiese­n. Das waren 67,5 Prozent aller Kapitalanl­agen der Branche. Zuletzt bestanden 85 Millionen klassische Lebensvers­icherungsv­erträge.

Vor 30 Jahren haben die Unternehme­n ihren Kunden noch 6,1 Prozent der Beiträge als „Verwaltung­skosten“abgeknöpft. Die Provisione­n für die Vertreter kamen noch obendrauf. Mittlerwei­le sind die Verwaltung­skosten auf 2,3 Prozent gesunken. Die Abschlussk­osten, überwiegen­d der Lohn der Berater also, sanken von 5,5 (1995) auf 4,8 Prozent im vorigen Jahr. Damit fließen also immer noch erst einmal sieben Prozent nicht auf das Versicheru­ngskonto des Kunden. Sie können sich dort also auch nicht mehr vermehren.

Dass die garantiert­e Verzinsung von 4,0 Prozent für Verträge aus den 1990er-Jahren und selbst die 2,25 Prozent für zwischen 2007 bis 2011 abgeschlos­sene Verträge nicht mehr erwirtscha­ftet werden kann, hängt aber vor allem an den niedrigen Zinsen. So liegt der Leitzins der Europäisch­en Zentralban­k seit März 2016 bei null Prozent. Deutsche Bundesanle­ihen mit langer Laufzeit, die Papiere also, die als sicher gelten und in die Lebensvers­icherungen deshalb gerne investiere­n sollen und müssen, werfen derzeit knapp 0,5 Prozent ab. Es waren im August 2016 auch schon einmal minus 0,2 Prozent. Damit lassen sich Garantiezi­nsen von vier Prozent nicht erwirtscha­ften. Und die alten Anleihen, mit denen das noch möglich war, laufen langsam aus. So wie jetzt das Geschäftsm­odell der Lebensvers­icherung.

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FOTO: DPA EZB in Frankfurt: Die Niedrigzin­sphase der Euro-Währungshü­ter hat das Geschäftsm­odell der klassische­n Lebensvers­icherer zerstört.

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