Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Psychisch auffällig und hochgefähr­lich

Hinweise aus der Bevölkerun­g führen zur Festnahme des Supermarkt­erpressers

- Von Daniel Drescher

KONSTANZ - Der mutmaßlich­e Supermarkt­erpresser muss mit einer harten Strafe rechnen. Wenn die Ermittler dem 53-jährigen Tatverdäch­tigen eine Tötungsabs­icht nachweisen können, droht ihm lebenslang­e Haft. Das ist einer von mehreren Aspekten, denen die Polizei nach der Festnahme des Mannes nachgeht. Er hat die Vorwürfe eingeräumt und ist in Untersuchu­ngshaft.

Die Erleichter­ung war dem Friedrichs­hafener Kripo-Chef und Konstanzer Polizeiviz­epräsident­en Uwe Stürmer deutlich anzumerken, als er gemeinsam mit dem Leitenden Ravensburg­er Oberstaats­anwalt Alexander Boger am Samstag in Konstanz vor die Presse trat. Dieser Fall war anders, weil der Erpresser gezeigt hat, dass er nicht nur ddamit droht, sondern tatsächlic­h Lebensmitt­el vergiftet. „Das hat ihn so ausgesproc­hen gefährlich gemacht“, sagt Stürmer.

Die Ermittler hatten vor zwei Wochen in einem Supermarkt in Friedrichs­hafen fünf Gläser mit vergiftete­r Babynahrun­g sichergest­ellt. Dass niemand getötet wurde – ein Zufall. „Er hatte es nicht im Griff, ob ein Glas verkauft worden wäre“, sagt Stürmer. Das ließe sich anhand der Zeitstempe­l der Videoaufna­hmen der Überwachun­gskamera sagen, auf denen der Tatverdäch­tige zu sehen ist. Entspreche­nd hart könnte im Strafproze­ss das Urteil ausfallen: Die versuchte schwere räuberisch­e Erpressung, auf die der Haftbefehl lautete, sieht im Höchstfall 15 Jahre Haft vor, wie Boger erklärt. Wenn sich zweifelsfr­ei beweisen lässt, dass der 53Jährige Menschen töten wollte, könnte der Verbrecher aber auch lebenslang hinter Gitter kommen.

Die Beweislast ist erdrückend. In der Wohnung des Mannes in Ofterdinge­n bei Tübingen fand die Polizei giftiges Ethylengly­kol, das auch in die fünf sichergest­ellten Gläschen mit Babybrei in Friedrichs­hafen gemischt worden war. Die 500-Milliliter-Flasche war zur Hälfte leer. „In den Babygläsch­en waren 40 bis 50 Milliliter drin“, rechnet Uwe Stürmer vor. Das fügt sich – wie die DNASpuren – ins Mosaik der Indizien ein.

Untersucht wird derzeit noch der Laptop des Tatverdäch­tigen. Den fanden die Ermittler in einem Altkleider­container in der Nähe der Wohnung des 53-Jährigen – neben einer schwarzen Tasche und den Sportschuh­en mit der auffällige­n weißen Sohle. Mehrere Hinweise – unabhängig voneinande­r – hatten die Polizei auf die Fährte des Erpressers gebracht. Der Wohnort wurde ausfindig gemacht, die Ermittler beobachtet­en den Mann – Spezialkrä­fte griffen dann Freitagnac­hmitag zu. Der Mann sei überrascht gewesen, habe sich aber ohne Widerstand festnehmen lassen. „Da hätte er auch keine Chance gehabt“, merkt Stürmer trocken an.

Der Tatverdäch­tige, der seit 2015 in Ofterdinge­n wohnte, zuvor in Bayern gemeldet war und eine Zeit lang am Bodensee und in Österreich gelebt haben soll, habe „Brüche in der Biografie“, sagt Stürmer. Es handle sich um einen exzentrisc­hen Einzelgäng­er, der in der Vergangenh­eit bereits psychische Auffälligk­eiten gezeigt habe. Boger spricht zudem von „strafrecht­lichen Vorbelastu­ngen“, ohne ins Detail gehen zu können. Mit diesen Angaben bestätigen die Ermittler, was der Kriminolog­e Christian Pfeiffer der „Schwäbisch­en Zeitung“jüngst gesagt hatte: Er schätzte den Täter als „gescheiter­te Existenz“mit psychische­r Störung ein.

„Aufgeboten, was wir hatten“

Der Erpresser hatte in einer E-Mail am 16. Sepember von mehreren Handelsket­ten einen niedrigen zweistelli­gen Millionenb­etrag gefordert und gedroht, bundesweit 20 vergiftete Lebensmitt­el in Umlauf zu bringen. Die Fahndung war schneller erfolgreic­h als erwartet. Noch am Freitag hatte Stürmer um Geduld gebeten. Weil der Erpresser angedroht hatte, am Wochenende erneut vergiftete Lebensmitt­el in Umlauf zu bringen, war der Druck enorm. „Wir haben aufgeboten, was wir hatten“, sagt Kripo-Chef Stürmer. So waren Hubschraub­er und Hunderte Polizisten im Einsatz. Das rund um die Uhr besetze Callcenter der Polizei registrier­te 1500 Anrufe und 400 Mails. Es waren Hinweise aus der Bevölkerun­g, die zur Festnahme führten.

Komplette Entwarnung gab es trotz der Festnahme zunächst nicht, weil unsicher war, was der Tatverdäch­tige zwischen der Veröffentl­ichung der Fahndungsf­otos am Donnerstag und der Festnahme am Freitag machte. Vor dem Haftrichte­r beim Amtsgerich­t Ravensburg sagte der 53-Jährige Polizeiang­aben zufolge, dass er keine weiteren vergiftete­n Lebensmitt­el in den Handel gebracht habe. Es scheint, als könnten die Verbrauche­r wieder gelassener einkaufen als in den vergangene­n Tagen.

Eindrücke von der Pressekonf­erenz sehen Sie in einem Video unter www.schwäbisch­e.de/erpresser.

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FOTO: DANIEL DRESCHER Spürbar erleichter­t: Der Leitende Oberstaats­anwalt Alexander Boger (rechts im Bild) und Kripochef Uwe Stürmer können bei der Pressekonf­erenz am Samstag einen raschen Fahndungse­rfolg verkünden.

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