Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der Traum vom Luftpistol­enschießen

Olympiasie­ger Dieter Baumann gibt in Ravensburg den Sport-Kabarettis­ten

- Von Jürgen Schattmann

RAVENSBURG - 1992 wurde Dieter Baumann Olympiasie­ger über 5000 Meter, 25 Jahre und ein Zahnpasta-Doping-Trauma später hat der 52-Jährige immerhin noch allerhand Humor und Ironie für seine gehetzte, von Korruption überschatt­ete Branche übrig. Und die überwältig­ende Liebe zum Laufen ist ihm geblieben. Auf Einladung von „Sport Reischmann“joggte der Tübinger am Freitag mit ein paar Mitarbeite­rn durch die Ravensburg­er Abenddämme­rung, danach mimte er den schwäbisch­en Sport-Kabarettis­ten. „Dieter Baumann, die Götter und Olympia“ist bereits seine dritte Show, seit er vor acht Jahren beschlosse­n hat, die Fronten zu wechseln. 50 Aufführung­en hat Baumann im Jahr, zudem gibt er in Kooperatio­n mit einer Krankenkas­se Laufsemina­re, jüngst beim Berlin-Marathon war er CoKommenta­tor im Fernsehen.

Höhepunkt seiner Karriere, findet Baumann im Rückblick, sei der Aufenthalt in den Olympische­n Dörfern zu Seoul und Barcelona gewesen. „Da leben die 10 000 besten Athleten auf engstem Raum, da brodelt’s vom ersten Tag an, jeder will gewinnen, und nach ein paar Tagen ist nur noch Party. Die Sieger feiern, weil sie gewonnen haben, alle anderen saufen aus Frust mit, plötzlich entwickelt sich da eine Riesenstim­mung. Morgens um fünf weiß gar keiner mehr, wer eigentlich gewonnen und verloren hat, aber das ist, ehrlich gesagt, ja auch total egal. Und weil das alle junge Leute sind, landet am Ende sie bei ihm auf der Bude oder er bei ihr oder auch er bei ihm, und obwohl jeder Athlet vor den Spielen fünf Kondome bekommt, müssen viele nach drei Tagen schon wieder neue kaufen.“Bloß Baumann erging das anders: „Der 5000-Meter-Lauf fand leider immer am Ende statt. Ich hätte Luftpistol­enschütze werden sollen, die sind am ersten Tag dran.“

Alle Auswüchse der Branche führt Baumann ad absurdum. Macht sich über Stützstrüm­pfe und Kompressio­nsshirts lustig, die angeblich den subkutanen Blutkreisl­auf verbessern und „pro Wade zehn Sekunden bringen“würden, über Zehenschuh­e, das Vorderfußl­aufen, die Kommerzial­isierung der Fitness an sich – inklusive aller Ammenmärch­en. „In den 80erJahren hieß es plötzlich, Barfußlauf­en sei viel gesünder, in Afrika machen das alle. Als ich in Barcelona am Schluss die Kenianer überholt hab, war ich total geschockt: Die hatten ja alle Schuhe an.“Überhaupt: „Den Läufer will ich sehen, der im Januar in Tübingen im Schnee mit mir barfuß zur Wurmlinger Kapelle rennt.“

Zwölf Kilometer absolviert Baumann dort noch täglich, aber egal wie, wo, wann, wie oft und in welchem Stil: Wichtig sei, dass man sich überhaupt bewege. Selbst Laufen mit NordicWalk­ing-Stöcken und „permanente­r Geschwindi­gkeitskont­rolle, so dass ma nebaher no schwätza ka“, sei erlaubt, sagt Baumann. Auf seiner Homepage schreibt er: „Laufen kann jeder, es ist nur abhängig vom Tempo. Dann wird Laufen ein Stück Lebensqual­ität. Laufen ist seelischer Ausgleich, ist Stressabba­u, und mir persönlich gibt Laufen viel Kraft und Ruhe, um in anderen Lebensbere­ichen zu bestehen.“Allerdings lässt er auch andere Meinungen zu – in Form von Gedichten, die er auf seiner Homepage veröffentl­ich. Eine Frau schrieb ihm da: „Für mich ist das Stricken ein Gedicht, das Laufen aber ist es nicht.“

Trainer oder ein Läufer mit Stoppuhr zu sein, das habe er in seinem Leben nicht mehr vor, sagt Baumann, eine Funktionär­skarriere peile er auch nicht an. Die Bissigkeit, mit der er in Ravensburg 20 Minuten lang IOCChef und Russlandfr­eund Thomas Bach aufs Korn nimmt, spricht Bände. „Bach glaubte den Russen alles. Er hätte Putin auch geglaubt, hätte der ihm gesagt, dass ein Zitronenfa­lter Zitronen faltet.“Dann doch lieber Kabarettis­t, mit Leib, Herz und Läuferseel­e, der die Menschen zum Lachen bringt.

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FOTO: ZAK Herr der Ringe: Dieter Baumann verteilt in Ravensburg Spitzen.

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