Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Am Anfang war das Chaos
Die Ulmer Basketballer haben beim 68:72 gegen Berlin noch Abstimmungsprobleme
NEU-ULM - Sechs neue Spieler zu integrieren ist in einer Sportart wie Basketball, in der Laufwege und Positionstreue die Grundwurzel alles Guten sind, eine Herkulesaufgabe, die nicht von heute auf morgen geleistet werden kann. In der Ratiopharm-Arena wurde das am Samstagabend deutlich. Beide Mannschaften waren ja von der Fluktuation betroffen, die Ulmer, die nach dem Exodus ihrer Besten auf Routiniers setzen, und die Berliner, die im Sommer vom drittältesten zum zweitjüngsten Team der Bundesliga mutiert sind. Wie das dann aussieht, so ein Neuanfang, war klar zu sehen: holprig, mit Stolperfallen versehen, konfus zuweilen. Mal flog ein Pass bei der einen Mannschaft zwei Meter ins Aus, weil der Spielmacher offenbar davon ausging, dass da immer noch der Mann aus dem Vorjahr stehen könnte, nicht sein Nachfolger, der irgendwie eine andere Idee hatte und schon zwei Schritte nach vorne gehuscht war. Mal landete ein Zuspiel zwanzig Zentimeter über dem Mitspieler, weil der über den Sommer geschrumpft ist. Am Anfang war das Chaos.
Als die Ulmer den Bundesliga-Auftakt schließlich nach viel Kampf und Krampf 68:72 verloren hatten, hätte man vieles in Frage stellen können – ihre Moral immerhin stimmte. Nach dem 9:18-Fehlstart kämpften sie sich im zweiten Viertel zurück und führten gar mit 42:40. Ein 0:11-Lauf danach kostete sie letztlich zwar den Sieg, allerdings versuchten sie am Ende nochmal alles und kamen mit der Unterstützung der Fans zumindest nochmal auf 65:68 heran.
Tim Ohlbrecht muss warten
Arbeit aber gibt es noch massenweise, das musste Trainer Thorsten Leibenath danach einräumen: „Auf beiden Seiten war das heute nicht immer schön, aber das ist normal für ein erstes Spiel, wenn viele Neue auf dem Feld sind. Der Sieg geht absolut verdient nach Berlin. Wir haben in der Defensive in vielen Situationen nicht diszipliniert genug gespielt, in der Offensive waren wir manchmal kopflos und wild und haben uns am Ende in Einzelaktionen verrannt. Phasenweise hat man immerhin gesehen, wieviel aus der Mannschaft rauszuholen ist.“Zumal Center Tim Ohlbrecht, defensiv aufgrund seiner Größe wohl der wichtigste Ulmer Spieler, nach seinem diagnostischen Eingriff im Knie vor zehn Tagen verletzt fehlte. Am Samstag in Bonn soll er wieder spielen.
Ohne den 29-jährigen 2,10-MeterRiesen hatten es die Ulmer unter dem Korb schwer, mit 26:42 Punkten verloren sie die betreffende Statistik. „Gerade gegen eine so große Mannschaft wie Berlin hat uns das Fehlen eines unserer ganz Großen weh getan“, räumte Leibenath ein. Ein paar Dinge machten dem 42-Jährigen aber auch Mut. Die Leistung des 22-jährigen Jung-Nationalspielers Ismet Akpinar etwa, der trotz fehlender Vorbereitung wegen der EM gegen seinen Ex-Club elf Punkte beisteuerte. Oder der Auftritt von U20-Auswahlspieler David Krämer, der zwei Dreier verwandelte und mit dem die Ulmer in seinen acht Minuten Spielzeit sieben Punkte wettmachten. Per Günther, Trey Lewis (mit 15 Punkten bester Scorer) und Ryan Thompson dagegen zeigten Licht und Schatten, Da’Sean Butler ist nach seinem Daumenbruch noch längst nicht der Alte. Bester Ulmer war Ex-NBA-Spieler Luke Harangody mit elf Zählern und elf Rebounds.
Berlins spanischer Startrainer Aito Garcia Reneses, der im zarten Alter von 70 Jahren gerade seinen ersten Auslandseinsatz bestreitet, war dagegen zufrieden. Reneses war begeistert von der Ratiopharm-Arena („eine große Bühne für den Basketball“), und er konnte auch begeistert von Marius Grigonis sein. Der 23-jährige Litauer, den der Coach aus Spanien mitbrachte, war mit 20 Punkten und einer fast hundertprozentigen Trefferquote der überragende Mann. Weil den Berlinern zudem noch zwei Asse fehlten, darf man davon ausgehen, dass die alte deutsche Basketball-Hauptstadt wieder im Aufschwung ist. Oder, wie Leibenath sagte: „Gegen Berlin kann man auch mit einer eingespielten Mannschaft verlieren.“