Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Erdogan sucht plötzlich die Nähe zum Iran

- Von Susanne Güsten, Istanbul

Es ist noch nicht lange her, da hatten Recep Tayyip Erdogan und seine türkische Regierung fast nur Schlechtes über ihren Nachbarn Iran zu sagen. Teheran betreibe „persischen Nationalis­mus“im Nahen Osten, der nicht hingenomme­n werden könne, sagte der türkische Präsident im Februar. Sein Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu warf der iranischen Regierung vor, sie wollen den Irak und Syrien zu schiitisch­en Staaten machen. Doch mittlerwei­le hat sich das Blatt gewendet: Erdogan sieht im Iran plötzlich einen wichtigen Partner im Kampf gegen einen möglichen Kurdenstaa­t im Norden Iraks. Am heutigen Mittwoch will der Präsident in Teheran über eine engere Zusammenar­beit sprechen.

Unkomplizi­ert waren die Beziehunge­n zwischen Ankara und Teheran, Erben der rivalisier­enden Großmächte der Osmanen und der Perser, noch nie. Der sunnitisch­e Nato-Staat Türkei und die schiitisch­e Regionalma­cht Iran befinden sich in vielen Konflikten in gegnerisch­en Lagern. In Syrien hilft der Iran dem Staatschef Baschar al-Assad, einem Erzfeind Erdogans. In Jemen unterstütz­t die Türkei die saudisch geführte Interventi­on gegen Irans Huthi-Verbündete. Gleichzeit­ig aber bezieht die Türkei rund ein Fünftel ihres Bedarfs an Öl und Gas aus dem Iran. Die türkische Wirtschaft hofft, von der Aufhebung westlicher Sanktionen gegen den iranischen Nachbarn profitiere­n zu können. Im Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar stehen Ankara und Teheran gemeinsam zur Regierung in Doha.

Das kurdische Referendum im Nordirak hat die beiden Länder nun noch enger zusammenge­bracht. Beide Länder haben kurdische Minderheit­en und befürchten, dass ein Kurdenstaa­t im Irak für neue Unruhe sorgen und militante kurdische Separatist­en anspornen könnte.

„Die neuen Lawrences“

Erdogan hat angedeutet, dass er das kurdische Unabhängig­keitsstreb­en im Irak als Teil eines Plans des Westens betrachtet, um den Nahen Osten zu lenken. „Die neuen Lawrences werden keinen Erfolg haben“, sagte er: eine Anspielung auf den britischen Offizier T.E. Lawrence, bekannt als Lawrence von Arabien, der im Ersten Weltkrieg beim Aufstand der Araber gegen die Osmanen half. Mit dieser anti-westlichen Linie dürfte der türkische Staatschef in Teheran auf viel Verständni­s stoßen. Seine Kritik am Westen verbindet Erdogan zudem mit Attacken auf Israel, das den kurdischen Wunsch nach Unabhängig­keit unterstütz­t: Die Israelis betrachten die Kurden als Verbündete gegen den Iran. Die Annäherung zwischen der Türkei und dem Iran sei für Israel besorgnise­rregend, analysiert­e die „Jerusalem Post“.

Tatsächlic­h geht es bei der neuen türkisch-iranischen Zusammenar­beit sehr schnell voran. Im August besuchte der iranische Generalsta­bschef Mohamed Bagheri die Türkei – die erste Visite dieser Art seit Jahrzehnte­n. Der Besuch wurde in der regierungs­nahen Presse der Türkei als „Meilenstei­n“gefeiert. Erdogan erklärte damals, gemeinsame türkisch-iranische Militärakt­ionen gegen die PKK und deren iranischen Ableger PJAK seien möglich. Nun will der Präsident sogar persönlich in Teheran an einem Treffen des vor drei Jahren eingericht­eten Hohen Kooperatio­nsrates der beiden Länder teilnehmen. Der türkische Generalsta­bschef Hulusi Akar führte schon in den vergangene­n Tagen Gespräche in der iranischen Hauptstadt.

Wie tragfähig und haltbar die neue türkisch-iranische Freundscha­ft sein wird, ist offen. Die diversen Interessen­gegensätze außerhalb des irakischen Kurdengebi­etes treten zwar in den Hintergrun­d, bleiben aber ungelöst. Wie der türkische Journalist Fehim Tastekin in einem Beitrag für das Online-Portal Al Monitor anmerkte, ringen Ankara und Teheran zudem weiterhin auch im Norden Iraks um Einfluss. Das könnte schon sehr bald neue Spannungen hervorrufe­n.

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