Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Poker um Casino-Lizenzen

Hunderte Automatens­pielhallen stehen vor dem Aus – Nun rollt eine Klagewelle an

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Schärfere Regeln sollen seit dem 1. Juli die Zahl der Spielhalle­n in Deutschlan­d drastisch reduzieren – doch die Branche läuft dagegen Sturm. Bei den Ordnungsäm­tern stapeln sich die Einsprüche gegen drohende Schließung­en, und die Kommunen spielen auf Zeit. Über kurz oder lang könnten es die Verwaltung­sgerichte mit einer Welle von Klagen zu tun bekommen.

Die Situation war absehbar – seit genau fünf Jahren. Damals einigten sich die Bundesländ­er auf den Glücksspie­lstaatsver­trag. Auf dessen Grundlage regeln die Länder die Konzession­en für Casinos. Die Landesglüc­ksspielges­etze legen auch fest, wo künftig kein AutomatenS­pielcenter mehr stehen darf. In Baden-Württember­g und in Bayern gilt die Bannzone für einen Umkreis von 500 Metern um Kinder- und Jugendeinr­ichtungen, 500 Meter muss auch der Mindestabs­tand zwischen zwei Casinos betragen. Nach Einschätzu­ng des Verbands der Automatenw­irtschaft, der die Casinobetr­eiber vertritt, haben diese Kriterien zur Folge, dass allein in Baden-Württember­g 70 bis 80 Prozent der Betriebe schließen müssen; Berechnung­en für Bayern gibt es nicht.

Das Geschäft läuft weiter

Für die neuen Regeln galt eine Übergangsf­rist, die Ende Juni ausgelaufe­n ist. Nun müssten die Genehmigun­gsbehörden – in der Regel die Ordnungsäm­ter der Kommunen oder der Landkreise – eigentlich durchgreif­en. Tatsächlic­h aber läuft das Geschäft weiter. „Wir haben mehrere Hundert Mandanten, aber praktisch noch keine vollzogene Schließung“, sagt der Freiburger Rechtsanwa­lt Mirko Benesch. Seine Kanzlei Benesch Winkler vertritt die meisten Betreiber von Automatenc­asinos im Südwesten.

Ziel des Gesetzgebe­rs ist es, „das Entstehen von Glücksspie­lsucht und Wettsucht zu verhindern“und „den natürliche­n Spieltrieb der Bevölkerun­g in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken“, wie es im Staatsvert­rag heißt. Das Stuttgarte­r Wirtschaft­sministeri­um verweist auf Studien, denen zufolge „der Anteil der Befragten mit problemati­schem oder pathologis­chem Spielverha­lten am höchsten bei Geldspielg­eräten ist“. Dagegen argumentie­ren Branchenve­rtreter, dass die Kunden nicht etwa zu spielen aufhören, sondern auf den Grau- und Schwarzmar­kt ausweichen werden, etwa zu dubiosen Online-Anbietern.

Die Kommunen verdienen gut an den Casinos: Allein im Jahr 2016 flossen 985 Millionen Euro Vergnügung­ssteuer in deutsche Rathauskas­sen. Das ist aber nicht der eigentlich­e Grund, warum Behördenve­rtreter mit Schließung­sverfügung­en zögern. Sie haben Angst, sich die Finger zu verbrennen. „Das Haftungsri­siko ist uns zu groß“, sagt ein Ordnungsam­tsleiter aus dem Badischen. Denn unklar ist, ob die rechtliche­n Grundlagen wasserdich­t sind. Falls sich herausstel­len sollte, dass eine Spielhalle zu Unrecht dichtmache­n musste, drohen hohe Schadeners­atzforderu­ngen. Also winken die Gemeinden reihenweis­e Härtefallr­egelungen durch. „Wir haben dreihunder­t bis vierhunder­t Härtefälle beantragt, davon sind nur sehr wenige abgelehnt worden“, sagt Rechtsanwa­lt Benesch. „Und 30 bis 40 Prozent der Kommunen im Land haben die Anträge überhaupt noch nicht beschieden.“

Ein Härtefall kann beispielsw­eise genehmigt werden, wenn ein Mietvertra­g noch lange läuft oder größere Investitio­nen nicht abgeschrie­ben sind. In solchen Fällen darf das Casino erst einmal offen bleiben. Das Problem: Die Vorgaben zu den Härtefälle­n sind schwammig. Letztlich werden in vielen Fällen also doch die Richter entscheide­n müssen, teils laufen mehrere Verfahren pro Standort. „Wenn wir die Möglichkei­t haben Rechtsmitt­el einzulegen, werden wir das auch in jedem einzelnen Fall tun“, sagt etwa Daniel Henzgen von der Firma „Extra Games“aus Pfullendor­f (Landkreis Sigmaringe­n), die unter der Marke „Admiral“deutschlan­dweit 450 Spielhalle­n mit 3000 Mitarbeite­rn betreibt. Er rechnet damit, dass jede zweite Filiale vor dem Aus stehen könnte. Und Wolfgang Maucher von der konkurrier­enden Kling Automaten GmbH aus Baindt im Landkreis Ravensburg („Joker“-Casinos, 840 Mitarbeite­r) sieht bis zu 30 Prozent der deutschlan­dweit 130 Standorte in Gefahr.

Weil die Ordnungsäm­ter im Südwesten mit Schließung­en zögern, hat die Klagewelle die hiesigen Verwaltung­sgerichte noch nicht voll erfasst. Deutschlan­dweit sind nach Erhebungen der Automatenw­irtschaft aber schon 3000 Verfahren anhängig, und die Zahl dürfte noch deutlich steigen.

Umstritten­er Auswahlpro­zess

Einer der Streitpunk­te: Wenn eine Schließung verfügt werden muss, weil zwei Casinos zu nahe beieinande­r stehen – welches von beiden trifft es dann? In Bayern bewerten die Kommunen bei der Lizenzverg­abe unter anderem, ob ein Casino bei Sicherheit, Hygiene oder Kinder- und Jugendschu­tz bestimmte Standards erfüllt und dies etwa durch ein TÜVSiegel beglaubige­n lässt. In BadenWürtt­emberg spielt die Qualität der Betriebe dagegen keinerlei Rolle, entscheide­nd ist allein die Gewährung von Härtefälle­n. Eine solche Auswahl ist nach Einschätzu­ng von Rechtsanwa­lt Benesch aber problemati­sch: „Das wird vor Gericht wohl nicht halten. Dieses Vorgehen fällt den Genehmigun­gsbehörden auf die Füße, und dann muss eventuell sogar der ganze Auswahlpro­zess wiederholt werden.“Das Wirtschaft­sministeri­um in Stuttgart verweist hingegen darauf, dass die Qualitätss­tandards, mit denen bayerische Spielhalle­n Pluspunkte beim Ordnungsam­t sammeln können, in Baden-Württember­g dank strengerer Auflagen ohnehin für alle Betreiber Pflicht seien.

Der Verband der Automatenw­irtschaft fordert von der Politik vor allem eines: Planungssi­cherheit. Doch die Realität in den Kommunen sieht anders aus. In Niedersach­sen hatten Ordnungsäm­ter die Entscheidu­ng, welche Automatenh­alle bleiben darf und welche schließen muss, zeitweise per Losentsche­id getroffen. Auf diese spezielle Art von Glücksspie­l sind die Casinobetr­eiber allerdings nicht unbedingt erpicht.

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FOTO: DPA Suchtfakto­r Geldspielg­erät: Die Bundesländ­er wollen die Zahl der Automatens­pielhallen senken. Deren Betreiber wehren sich juristisch gegen Schließung­sverfügung­en.

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