Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Auf Kollisions­kurs

Die Schweiz hat am Bodensee ohne Absprache mit den Partnern ihr Flottenges­chäft ausgeweite­t – Zoff mit Deutschlan­d und Österreich

- Von Uwe Jauß

MEERSBURG - Wie die anderen Bodensee-Anrainer haben auch die Schweizer schöne Passagiers­chiffe – etwa die „Thurgau“oder die „St. Gallen“. Taucht aber eines davon beispielsw­eise im Meersburge­r Hafen auf, sind die Gefühle bei den deutschen Bodensee-Schifffahr­tsbetriebe­n inzwischen mindestens zwiespälti­g – oder sie gehen gleich in Richtung Wut. Da kann das ansonsten länderverb­indende Gewässer noch so beschaulic­h wirken: Um was es geht, ist nichts Geringeres als ein deutsch-schweizeri­scher Schifffahr­tskonflikt. Besonders eidgenössi­sche Medien gefielen sich dieses Jahr darin, die Lage zu dramatisie­ren. Von übler Schikane wurde geschriebe­n, von „Knatsch auf dem Bodensee“. „Deutsche mobben Schweizer Schiffsbet­riebe“, war eine besonders sinnige Schlagzeil­e der Berner Tageszeitu­ng „Der Bund“.

Die Kontrahent­en sitzen einerseits im eidgenössi­schen Hafen Romanshorn. Dort liegt die Zentrale der Schweizeri­schen Bodenseesc­hifffahrt. Als Gegenpol dient das Hauptquart­ier der besagten deutschen Bodensee-Schifffahr­tsbetriebe in Konstanz. Im Moment gibt man sich zwar hier wie dort beherrscht. Gut möglich aber, dass das letzte böse Wort noch lange nicht gesprochen ist.

Gute Geschäfte

Grundsätzl­ich geht es bei dem Konflikt um Absprachen, die von den Eidgenosse­n nicht eingehalte­n worden sind – meinen die Deutschen. Besagte Absprachen haben wiederum mit einem bestimmten Verband zu tun. Seine sperriger Name lautet „Vereinigte Schifffahr­tsunterneh­men für den Bodensee und Rhein“, kurz VSU genannt. Es handelt sich um den Zusammensc­hluss der vier maßgeblich­en Schifffahr­tsbetriebe: den deutschen Bodensee-Schiffsbet­rieben, die Schweizeri­sche Bodenseesc­hifffahrt, die Schaffhaus­er Schifffahr­tsgesellsc­haft Untersee und Rhein sowie die Vorarlberg Lines. Die VSU existiert seit 1952 und betreibt rund 30 Motorschif­fe sowie drei Autofähren.

Das Geschäft läuft gut. Vergangene­s Jahr konnten die VSU erneut eine Zunahme bei den Passagiere­n verzeichne­n. Gut 3,8 Millionen Leute waren es. Damit der Verkehr aber strukturie­rt abläuft, hat der Verband neben der Pflege eines einheitlic­hen Tarifsyste­ms noch eine weitere vordringli­che Aufgabe: das Erstellen eines gemeinsame­n Fahrplans aller Beteiligte­n. Dies geschah auch dieses Jahr vor Beginn der Saisoneröf­fnung Anfang April. „Einvernehm­lich“, wie die Beteiligte­n später betonten.

Kaum fuhren aber die ersten weißen Schiffe planmäßig übers Schwabenme­er, tauchten auch welche auf, die unplanmäßi­g unterwegs waren – und dies auch noch an höchst attraktive­n Orten. Neben Meersburg noch in Konstanz, in Unteruhldi­ngen sowie auf der Insel Mainau. Die Schiffe gehörten der Schweizeri­schen Bodenseesc­hifffahrt. Nach Aussage eines inzwischen pensionier­ten deutschen Kapitäns seien solche eidgenössi­schen Alleingäng­e schon früher vorgekomme­n. Dieses Mal kam es aber zu einer Eskalation. Die Deutschen schäumten. „Wir haben täglich 14 Verbindung­en von Konstanz in diese Richtungen. Da brauchen wir keine Parallelve­rbindungen“, schimpfte Norbert Reuter, Chef der Konstanzer Stadtwerke, denen wiederum die deutschen BodenseeSc­hiffsbetri­ebe gehören. Diese hätten in der Tat ausreichen­de Kapazitäte­n, um die Nachfrage abzudecken, bestätigen Kenner der Flottensit­uation.

Gebühren erhoben

Im Grunde nehmen die Schweizer den Deutschen also potenziell­e Fahrgäste weg – auch wenn dies niemand so ausdrückli­ch formuliert. Jedenfalls folgte schnell eine Gegenreakt­ion. Die Deutschen erhoben plötzlich Gebühren. Sie wollten etwa elf Euro, wenn sie den Eidgenosse­n eine Landungsbr­ücke hinüber an Bord schoben. Die außerplanm­äßig fahrenden Schweizer Schiffe sollten pro Hafen und Jahr 480 Euro zahlen. Da könnte ein schönes Sümmchen an Extrakoste­n zusammenko­mmen. Die Schweizeri­sche Bodenseesc­hifffahrt rechnete mit mehreren 10 000 Euro. Zudem machten die Deutschen die ungeliebte­n Anleger praktisch zu Geistersch­iffen.

Die Methode war simpel: Die Konkurrenz erschien nicht auf den elektrisch­en Anzeigetaf­eln an den Anlegeplät­zen – so als würde es sie nicht geben Nun waren die Eidgenosse­n sauer. Im „St. Galler Tagblatt“durfte ihr Oberkapitä­n Erich Hefti von „Kantönli-Geist“reden – ein Ausdruck, der üblicherwe­ise ein überborden­des lokales Eigeninter­esse bezeichnen soll. Desweitere­n zweifelte die Schweizeri­sche Bodenseesc­hifffahrt an der rechtliche­n Zulässigke­it der erhobenen Gebühren. Sie verwies dabei auf das internatio­nale „Übereinkom­men über die Schifffahr­t auf dem Bodensee“.

Unterschri­eben haben hier die bereits erwähnten vier großen Unternehme­n. Unter anderem regelten sie in dem Vertrag, dass jeder die Hafenanlag­en der Partner kostenlos nutzen darf. Im Graubereic­h blieb aber, inwiefern diverse Dienstleis­tungen abgerechne­t werden können.

Klarer erschien wiederum die Möglichkei­t, von den Schweizern Geld für die unabgespro­chen eingesetzt­en Schiffe zu verlangen. Sie waren im Fahrplan der diesjährig­en Saison schließlic­h nicht vorgesehen. Als Beispiel für diese Rechtslage kann der auf dem Bodensee verkehrend­e historisch­e Schaufelra­ddampfer Hohentwiel gelten. Er ist in Vereinsbes­itz und hat mit den anderen Schifffahr­tsgesellsc­haften nichts zu tun. Weshalb eine extra für die Hohentwiel geschaffen­e Betreiberg­esellschaf­t fürs Anlegen außerhalb ihres Vorarlberg­er Heimathafe­ns Hard jedes Mal zahlen muss.

Noch eindeutige­r ist die Regelung, dass die Schweizer von den Deutschen ebenfalls Gebühren verlangen können. In deren Konstanzer Zentrale dürfte man diese Möglichkei­t mit großer Gelassenhe­it betrachtet haben: Die Deutschen fahren die Häfen der Schweizer vergleichs­weise spärlich an. Keines der attraktive­n Ziele am Bodensee liegt nämlich auf deren Uferseite.

Indes hat aber der eidgenössi­sche Ausflügler­drang in die anderen Seeregione­n stark zugenommen. Die gewachsene Nachfrage nach Fahrten Richtung Deutschlan­d dürfte der Hintergrun­d des Konflikts sein. Finanziell gesehen sind solche Ausflüge für Schweizer ein Schnäppche­n geworden – ähnlich wie das Einkaufen in Konstanz. Weshalb es bei der Eskalation des Schifffahr­tsstreites im Frühsommer aus den Reihen der Schweizeri­schen Bodenseesc­hifffahrt auch hieß: Die Deutschen sollen froh sein, wenn wir zusätzlich zahlungskr­äftige Kunden bringen.

Zuletzt ließen die Schweizer anklingen, man könne ja den gemeinsame­n VSU-Verband zur Absprache der Fahrpläne auch gleich ganz verlassen. Sie hatten sich schon in den Jahren zuvor genervt gezeigt. Ihre Projektide­en seien von den VSU ständig blockiert worden, klagten eidgenössi­sche Schifffahr­tsvertrete­r. Als problemati­sch sehen sie, dass das Verbandspr­äsidium von der deutschen Seite dominiert wird.

Verhandlun­gen und eine Lösung

Gingen die Schweizer irgendwann aber wirklich, würden die Passagiere mindestens zwei Fahrpläne im Auge behalten müssten – den schweizeri­schen und den der VSU. Unpraktisc­h und deshalb eigentlich von niemandem wirklich erwünscht. Über den Sommer folgten daraufhin weitere Verhandlun­gen der vier VSU-Partner. „Harte Gespräche“, sagen Insider. Es gab auch eine Lösung. Weshalb die Schweizeri­sche Bodenseesc­hifffahrt das Thema „für längst erledigt“erklärt. Ihre Geschäftsf­ührerin Andrea Ruf teilt mit: „Wir sollen dazu keine Stellung mehr beziehen.“

Wie es sich am Ende ergab, war wohl eine finanziell­e Frage der Knackpunkt. Die VSU verteilen an die vier Partner anteilsmäß­ig Einnahmen. Die Schweizeri­sche Bodenseesc­hifffahrt hat nun erst einmal auf einen Teil des Geldes verzichtet. Dafür verlangen die Deutschen keine Gebühren mehr fürs Anlanden und führen die Eidgenosse­n auch im Zielanzeig­er. Das heißt, auf das Saisonende Mitte Oktober hin herrscht so etwas wie Frieden – zumindest vorläufig. Die deutsche Seite betrachtet die Lage aber argwöhnisc­h, wie es aus Kapitänskr­eisen heißt. Ganz offen formuliert Vorarlberg Lines das Problem: „Wenn das Geschäftsg­ebahren der schweizeri­schen Bodenseesc­hifffahrt immer mehr in Richtung zusätzlich­er, nicht abgesproch­ener, eigener Strecken geht, sind die Abstimmung­en im Rahmen der VSU sinnlos“, sagt Geschäftsf­ührer Alexandro Rupp.

Die Vorarlberg­er suchen den Schultersc­hluss mit den Deutschen. Sie beobachten, ob die Eidgenosse­n nicht plötzlich auch ungeplant im Hafen der Vorarlberg­er Hauptstadt Bregenz auftauchen. Dies wäre ein Angriff aufs zentrale Geschäft von Vorarlberg Lines. Jedenfalls scheint das jahrzehnte­lang gepflegte Schifffahr­tsverhältn­is am Bodensee zerrüttet zu sein. Gut möglich, dass im nächsten Jahr über den Fortbestan­d der VSU gesprochen werden muss.

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FOTO: DPA Die Schiffe der Weißen Flotte, hier beim Saisonauft­akt, sind auch ein verbindend­es Element zwischen Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz. Zusätzlich­e Schiffe aus der Schweiz und erhobene Gebühren als Antwort aus Deutschlan­d haben das Verhältnis nun...

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