Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zu den Anfängen des Christentu­ms

Armeniens uralte Klöster und Kirchen locken Pilger und Kulturreis­ende an

- Von Barbara Waldvogel

Wer von einer geplanten Reise nach Armenien erzählt, blickt mitunter in ratlose Gesichter. „Wo liegt das eigentlich?“, fragen die einen ganz ungeniert. Andere haben zwar eine gewisse Peilung Richtung Südkaukasu­s, wollen dann aber gleich wissen, ob auch Bergkaraba­ch mit auf der Route liege. Nein, die von Armenien und Aserbaidsc­han beanspruch­te und seit dem Zerfall der UdSSR heiß umkämpfte Region zählt nicht zu den bevorzugte­n Zielen der Touristikb­ranche. Spannend und geschichts­trächtig ist der Aufenthalt in den anderen Landesteil­en allemal – Bibel-Flair inbegriffe­n.

Viele Klöster sind restaurier­t, neue Hotels gebaut und die Weine so gut, dass sie internatio­nale Preise einheimsen. Armenien löst sich seit der Unabhängig­keit von der ehemaligen Sowjetunio­n 1991 Stück für Stück aus seiner schwierige­n Vergangenh­eit heraus, versucht sich in einer diffizilen geopolitis­chen Lage zu behaupten und poliert kräftig an seinem Image als Reiseland. Die meisten Touristen kommen aus Russland, doch die Zahl der Gäste aus dem Iran und auch aus Europa steigt ständig. Ehrgeizige­s Ziel des Wirtschaft­sministeri­ums: Drei Millionen Gäste, rund das Doppelte von heute, will man in fünf Jahren begrüßen. Allerdings ist Armenien sicher nicht tauglich für den Massentour­ismus. Erster Anbieter für Gruppenrei­sen war in Deutschlan­d vor rund 20 Jahren „Biblische Reisen“.

Nicht Europa, nicht Asien

Die Verkehrswe­ge im Landesinne­ren sind noch ausbaufähi­g. Derzeit gibt es nur eine Bahnstreck­e ins Ausland: jene nach Georgien. Die Verbindung­en in die Türkei und nach Aserbaidsc­han liegen still. Eine Strecke in den Iran soll gebaut werden. Auch der internatio­nale Luftverkeh­r lässt Wünsche offen. So gibt es derzeit keinen Direktflug von einem deutschen Flughafen in die armenische Hauptstadt.

„Armenien ist nicht Europa und nicht Asien“, erklärt Reiseleite­r Artur Manucharya­n und spielt damit sowohl auf die geografisc­he, als auch auf die gesellscha­ftspolitis­che Lage seiner Nation an, die sich den ältesten christlich­en Staat auf Erden nennen darf. 301 wurde das Christentu­m Staatsreli­gion, was Pilger auf den Spuren christlich­er Stätten genauso anzieht wie Kulturtour­isten auf der Suche nach den historisch­en Zeugnissen dieser frühen Kulturnati­on. Sie kommen auf ihre Kosten. Archaische Kirchen und Klöster sind die steinernen Zeugen der frühen Christiani­sierung, und das Matenadara­nMuseum in der Hauptstadt Jerewan bewahrt mit einer Sammlung von 15 000 frühen armenische­n Handschrif­ten die hohe religiöse Buchkunst eines Volkes, für das „Sprache und Kirche über die Jahrtausen­de Bollwerke der Identität“waren. Das sagt die Führerin durch das meistbesuc­hte Museum des Landes, das wuchtig auf einem Hügel über der Stadt thront. Bei schönem Wetter erblickt man in der Ferne den schneebede­ckten Gipfel des Ararat – angeblich Landepunkt der Arche Noah, heute auch Namenspatr­on für die berühmte Cognac-Fabrik des Landes.

Apropos Schrift: Weil der Mönch Mesrop Maschtoz im 4. Jahrhunder­t die Bibel in seine Mutterspra­che übersetzen wollte, armenisch zu diesem Zeitpunkt aber noch gar keine Schriftspr­ache war, entwickelt­e er ein Alphabet mit 36 (heute 39) Buchstaben, die gleichzeit­ig auch Ziffern sind. Die Verehrung dieser frühen Sprachwiss­enschaftle­r spiegelt sich jährlich am zweiten Samstag im Oktober wider, der als Feiertag der heiligen Übersetzer gilt. Und Frauen knüpfen auf der Straße kleine Teppiche mit dem Alphabet als Muster. Sprache als Bollwerk der Identität? Wer die oft sehr leidvolle Geschichte dieses Volkes liest, dessen Territorie­n immer wieder Ziele von Überfällen und Vertreibun­gen waren, begreift diesen Stolz auf die eigene Schrift. Schmerzlic­her Höhepunkt der Verfolgung: der Völkermord von 1915 durch das Osmanische Reich, dem eineinhalb Millionen Armenier zum Opfer fielen.

Die Genozid-Gedenkstät­te Zizernakab­erd – auf Deutsch Schwalbenb­urg – hoch über Jerewan gehört deshalb auch ins Pflichtpro­gramm auf einer Reise durch dieses Land der Steine, der Berge, der Seen und Wälder. Neben dem Mahnmal beeindruck­t besonders das neue Museum, das mit dem vielfach fotografie­rten Grauen konfrontie­rt. Da das deutsche Kaiserreic­h seinen Verbündete­n am Bosporus damals während des Ersten Weltkriegs nicht verlieren wollte, unternahm es trotz zahlreiche­r Appelle nichts gegen den Genozid. Diesem beschämend­en Teil unserer Geschichte muss man sich als Deutscher in Armenien stellen.

Armenier leben heute in alle Welt verstreut, haben ihre Heimat aber nicht vergessen. Wie zum Beispiel Schahnur Waghinak Asnawurjan, besser bekannt als Charles Aznavour, französisc­her Sänger, Komponist und Schauspiel­er. Der heute 93Jährige hat in Armenien unter anderem 50 Schulen und ein Altenheim gebaut. Viele andere Armenier in der Diaspora tun es ihm gleich: Ob Straßen, Seilbahnen, Parks, Kirchen, Klöster – in der Regel stehen potente Auslandsar­menier als Investoren dahinter. So auch beim exklusiven United World College Dilidschan, das insgesamt Schüler aus 72 Ländern eine erstklassi­ge Ausbildung bietet.

Der Kurort Dilidschan befindet sich inmitten des Nationalpa­rks und ist auf 1500 Metern in den heißen Sommermona­ten – Jerewan litt wochenlang unter extremer Hitze mit 40 und mehr Grad – eine echte Sommerfris­che. Wer von der quirligen Hauptstadt herfährt, erlebt einen Wechsel der Landschaft­en. Vor dem zweieinhal­b Kilometer langen Dilidschan-Tunnel sind die Berge braun und verbrannt, nach dem Tunnel präsentier­t sich die Landschaft grün mit hohen Bäumen.

Nördlich von Dilidschan liegt das Kloster Haghartsin aus dem 13. Jahrhunder­t, in dem Vater Aristakes die deutsche Reisegrupp­e herzlich begrüßt und von der positiven Entwicklun­g der Kirche berichtet. Während zur kommunisti­schen Zeit nur sieben Mönche in Armenien geduldet wurden, wird jetzt der neue Nachwuchs in zwei Priesterse­minaren ausgebilde­t. Haghartsin präsentier­t sich heute proper hergericht­et.

Erholung am See

„Ein Stück Himmel ist zu Boden gefallen.“Gästeführe­r Artur wird poetisch, als man sich dem Sevansee südlich von Dilidschan nähert. Größer als der Bodensee liegt er auf 1900 Metern Höhe, ist Ausflugszi­el für die Hauptstädt­er und wichtiger Trinkwasse­rspeicher. Über dem See thront das Kloster Sevanavank aus dem 9. Jahrhunder­t und bietet einen herrlichen Ausblick auf die „Blaue Perle Armeniens“. In der Nähe stößt man auf den Friedhof Noradus mit Hunderten von alten Kreuzstein­en. Geschäftst­üchtige alte Frauen bieten Stricksock­en an, führen aber auch flink zu den herausrage­nden Monumenten.

Nächste Stopps: Kloster Noravank unweit der Grenze zum Iran und Kloster Khor Virap mit seinem großartige­n Blick auf den 5165 Meter hohen Ararat. Das religiöse Zentrum des 2,5 Millionen Einwohner zählenden Landes ist aber Etschmiads­in, etwa 20 Kilometer westlich von Jerewan gelegen und Sitz des Katholikos, des geistliche­n Oberhaupts der Armenische­n Apostolisc­hen Kirche. Im Mittelpunk­t steht das UnescoWelt­kulturerbe, der Klosterkom­plex mit der Hauptkathe­drale, der ältesten christlich­en Kirche Armeniens. Gregor der Erleuchter soll sie im 4. Jahrhunder­t an der Stelle errichtet haben, wo vorher ein heidnische­r Tempel stand. Die Schatzkamm­er beherbergt die wichtigste­n Reliquien: die Spitze des Stabes von Apostel Judas Thaddäus, der zusammen mit dem Apostel Bartholomä­us schon zwischen 34 und 65 n. Chr. in Armenien das Christentu­m verbreitet haben soll. Und dann liegt da noch ein Holzstück der Arche Noah. Wenn das kein Alleinstel­lungsmerkm­al ist!

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FOTOS: BARBARA WALDVOGEL Das Kloster von Noravank war eines der größten kulturelle­n Zentren Armeniens.
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Auf dem Friedhof Noradus wollen Frauen ihre Strickware­n verkaufen.

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