Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Piloten bieten Touren auf neuen Mitflugzen­tralen an

Über verschiede­ne Plattforme­n können Passagiere sich einen Sitz in einer Privatmasc­hine buchen

- Von Doreen Fiedler

MAINZ (dpa) - Alles Mögliche teilen die Menschen heute schon: Autos, Betten, Filme und Bohrmaschi­nen. Diese neue Konsumkult­ur funktionie­rt sogar in der Luft. Mitflugzen­tralen bringen Piloten und Fluggäste zusammen.

Es ist ein sonniger Herbstaben­d auf dem Flugplatz Mainz-Finthen, es könnte aber auch auf so ziemlich jeder anderen kleinen Piste in Deutschlan­d sein. Vor dem Tower streckt ein Hobbypilot seinen Arm zum Gruß einem Mann entgegen, den er im Internet kennengele­rnt hat. Dann geht alles ganz schnell: Die beiden klettern in ein einmotorig­es Flugzeug, ziehen sich Kopfhörer auf, schließen die verglaste Kabine und heben ab.

Pilot Michael Marny braucht Flugstunde­n. Zwölf muss er pro Jahr absolviere­n, damit er im Training bleibt und seinen Schein behalten kann. Das ist teuer – also teilt er sich die Kosten gerne mit Mitflieger­n. Fluggast Udo Frey wollte sich einmal Rheinhesse­n von oben anschauen und kam gerne mit. Die Vermittlun­g erfolgte über die Onlineplat­tform Wingly, eine von mehreren jüngst gegründete­n Mitflugzen­tralen. Wie eine Mitfahrzen­trale, nur eben in der Luft.

Wer will, kann von Mainz aus auch einen Flug nach Prag buchen. Oder eine Spritztour in einen interessan­ten Ort und zurück. „In IdarOberst­ein gibt es super Steaks, die man schon aus der Luft ordern kann“, erzählt Pilot Marny. In Koblenz gebe es einen „100-Dollar-Burger“, der so heiße, weil Flugzeug chartern, landen und Burger im Restaurant essen so viel koste. Von Frankfurt aus gibt es zum Beispiel Flüge an Nord- und Ostsee. In Bonn nimmt ein Pilot Gäste mit an die belgische Rennstreck­e Spa.

5000 Flüge in anderthalb Jahren

Die deutsch-französisc­he Plattform Wingly hat in anderthalb Jahren mehr als 5000 Flüge in Deutschlan­d vermittelt. Konkurrent Flyt Club aus Leipzig kommt in einem ähnlichen Zeitraum auf 1700 Buchungen. Dabei schreiben die Plattforme­n vor, dass die Piloten nicht kommerziel­l fliegen dürfen – sie teilen sich die Kosten also mit den Passagiere­n. An die Vermittler fließen zehn bis 15 Prozent.

Die Piloten starten in Deutschlan­d von Dutzenden Orten – vom bayerische­n Fliegerhor­st Landsberg am Lech bis zum Flugplatz auf Rügen. „Im Umkreis von 30 Kilometern haben wir immer einen Flugplatz“, sagt Wingly-Mitgründer Lars Klein. Dabei sehen die Vermittlun­gsplattfor­men noch viel Potenzial nach oben. Laut Marcus Loffhagen, Mitgründer von Flyt Club, gibt es in Deutschlan­d jedes Jahr schätzungs­weise 1,3 Millionen Starts von Privatpilo­ten.

Doch so zuverlässi­g wie ein Mitfahren im Auto oder eine Reise mit der Bahn ist das Fliegen nicht. Die meisten Kleinflugz­euge werden auf Sicht geflogen – das geht bei schlechtem Wetter nicht. „Wingly ist sehr freizeitor­ientiert. Das ist kein TaxiServic­e“, sagt Klein. Die mit Abstand meisten Buchungen seien Rundflüge. Loffhagen fügt hinzu, dass es zwar regelmäßig­e Streckenfl­üge gebe, diese aber im Vergleich etwa zur Bahn teuer seien. „Bei uns geht es eher nicht wie auf der Straße darum, dass jemand von A nach B will und fragt: Wer möchte mit? Sondern es geht um das Erlebnis.“

Nur eine Notlandung

Die Piloten seien zuverlässi­g, auch wenn sie oft nur eine geringe Zahl an Flugstunde­n vorweisen könnten, versichert Klein. „Nur einmal musste bei uns bislang ein Pilot notlanden – und zwar, weil es dem Passagier schlecht wurde.“Wer Menschen mitnehme, achte ganz besonders auf die Sicherheit­svorschrif­ten. Viele Piloten flögen wahnsinnig gerne und wollten ihre Leidenscha­ft weitergebe­n. Das trifft auf Marny aus Mainz auf jeden Fall zu. „Ich kann das Fliegen auch alleine genießen. Aber es ist ein umso größeres Glücksgefü­hl, weil ich dem Mitflieger in die Augen schaue und dort etwas ganz Besonderes sehe.“

Die Piloten erzählen, dass viele Buchungen Geburtstag­sgeschenke seien. Und dass zahlreiche Mitflieger gerne ihr Haus von oben sehen wollten. „Wenn da noch jemand steht und winkt, dann haben die das schönste Grinsen im Gesicht“, erzählt der Mainzer Stefan Weiss, der selbst einen Tragschrau­ber besitzt, eine Mischung aus Hubschraub­er und Flugzeug.

Fluggast Udo Frey hat den Flug von seinem Sohn Lukas geschenkt bekommen. Dieser steht nach der Landung der Katana mit der Kennung D-ECLU gespannt auf dem Rollfeld, während das kleine Flugzeug heranrollt. Darin sitzt ein strahlende­r Vater. „Von oben wirkt alles viel ästhetisch­er“, erzählt Frey mit glänzenden Augen seinem Sohn. „Die Landschaft ist wie modelliert – unglaublic­h, wie die Weinberge sich die Hänge heruntersc­hmiegen!“Sogar Autobahnkr­euze sähen gut aus, wenn man so mit bis zu 200 Stundenkil­ometern über sie hinwegflie­ge.

Sein Sohn sieht den Steuerknüp­pel zwischen den Beinen seines Vaters und fragt, ob dieser über dem Haus der Familie auch mal das Ruder übernommen habe. „Ich hätte es gemacht“, behauptet der Junior. Der Vater erwidert: „Ich nicht. Aber ich schenke dir den nächsten Flug.“

 ?? FOTO: DPA ?? Pilot Michael Marny (re.) begrüßt auf dem Flugplatz in Mainz-Finthen seinen Fluggast Udo Frey vor einem einmotorig­en Leichtflug­zeug vom Typ Katana. Marny ist einer von rund 3500 Piloten, die über die Onlineplat­tform Wingly Mitflüge anbieten.
FOTO: DPA Pilot Michael Marny (re.) begrüßt auf dem Flugplatz in Mainz-Finthen seinen Fluggast Udo Frey vor einem einmotorig­en Leichtflug­zeug vom Typ Katana. Marny ist einer von rund 3500 Piloten, die über die Onlineplat­tform Wingly Mitflüge anbieten.

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