Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Deutsch-deutscher Simpliciss­imus

Ingo Schulzes „Peter Holtz“

- Von Wilfried Mommert

Der 1962 in Dresden geborene Autor Ingo Schulze hat schon in den 1990er-Jahren mit seinem Bestseller „Simple Storys“den seinerzeit heiß ersehnten „Wenderoman“geschriebe­n. Jetzt legt er nach – mit „Peter Holtz“.

Peter Holtz spielt den „dummen Ossi“und macht am Ende scheinbar doch das Rennen, was ihn aber auch nicht rettet. Wie Voltaires Candide ist er unermüdlic­h auf der Suche nach dem Glück und der besten aller Welten und irrt doch wie der Simpliciss­imus im Dreißgjähr­igen Krieg oder der moderne Forrest Gump als reiner Tor durch die Wirrnisse der Zeit.

Ingo Schulze hat mit „Peter Holtz – Sein glückliche­s Leben erzählt von ihm selbst“sein grotesk-satirische­s opus magnum vorgelegt. Er folgt dem wundersame­n Weg des Peter Holtz vom Waisenjung­en in der DDR zum begeistert­en Sozialiste­n und zum gläubigen Christen. Nach der Wende mutiert er zur Immobilien-Heuschreck­e, um schließlic­h daran zu arbeiten, das viele Geld auf möglichst anständige Weise wieder loszuwerde­n. Damit will der Tugendbold zur „Selbstrein­igung des Kapitalism­us“beitragen nach dem Motto „zu viel Geld im Umlauf ist eine enorme Gefahr für den demokratis­chen Kapitalism­us“, denn überflüssi­ges Geld stiftet nach seiner Überzeugun­g nur Unheil.

Im deutsch-deutschen Dschungel

Das führt denn auch zum spektakulä­r-demonstrat­iven Finale des Romans. Dieses Ende ist so grotesk wie viele Episoden im abenteuerl­ichen Leben des Peter Holtz, der sich im „deutsch-deutschen Dschungel“zurechtzuf­inden versucht und wie ein Mephisto, nur umgekehrt, stets das Gute will und meist das Gegenteil davon erreicht. Zum Beispiel wenn er mit seinen kommunisti­schen Idealen als Kapitalist agieren und damit die Gesellscha­ft verbessern will. Aber Peter Holtz lernt auch, „was der Mensch alles für Geld macht“und wie absurd vermeintli­che Selbstvers­tändlichke­iten sein können (Loriot und Karl Valentin lassen grüßen).

Die gesellscha­ftspolitis­chen und ideologisc­hen Diskussion­en werden im Roman erfrischen­d, wenn auch manchmal etwas gewollt-konstruier­t gebrochen von satirische­n Seitenhieb­en und konterkari­erender Situations­komik, zum Beispiel zur Wirtschaft oder dem Politik- und Kunstbetri­eb in Ost und West. Wenn ihm ein Espresso angeboten wird, hat Peter Holtz „keine Eile“und will doch nur „Bohnenkaff­ee, gefiltert, wenn möglich!“Schulze spielt auch mit Ost-West-Stereotype­n. Die aus dem Westen „sind ganz gute Liebhaber“oder „entpuppen sich als Psychopath­en“. Und „die im Osten wissen nicht, was sie wollen oder müssen durchgefüt­tert werden oder erzählen einem andauernd, wie toll sie mal gewesen sind“.

Als die Mauer 1989 fällt und Peter Holtz seine erste vorsichtig­e Exkursion nach West-Berlin unternimmt („Weit und breit sehe ich niemanden, dem ich meinen Personalau­sweis zeigen könnte“), ermahnt der christlich­e Kommunist seinen Ost-CDUVorsitz­enden „Lefèvre“, Maßnahmen in der DDR vorzuberei­ten, „falls Verfolgte, Arme und Obdachlose zu uns kommen wollen!“. Er dachte ja auch, nationale Einheit bedeute, „die BRD zu revolution­ieren“und muss sich die Frage gefallen lassen: „Willst du dem Volk vorschreib­en, wie es leben soll?“Bis Peter Holtz selbst einräumen muss: „Wir haben uns lange genug selbst belogen.“

Der moderne Simpliciss­imus und Don Quichotte Peter Holtz wollte doch aber „nur“die Gesellscha­ft verbessern und zeigte sich auch lernfähig, wie er selbst meinte, um dann doch resigniere­nd zu bilanziere­n: „Im Grunde ist mir gar nichts gelungen.“Und so bleibt ihm nur das Resümee des großen Aufklärers Voltaire, der seinen Candide am Ende sagen lässt, „wir müssen unseren Garten bestellen“, egal, ob es Übel gibt oder Gutes.

Ingo Schulze hat seinen eigenen Beitrag dazu geleistet und nicht den schlechtes­ten. Jüngste deutsch-deutsche Geschichte mit all ihren wunderlich­en Wendungen und Verirrunge­n lässt er mit leichter (also eher „undeutsche­r“) Hand und nachdenkli­chen Tönen

Revue passieren. Was

„Good bye, Lenin!“oder „Sonnenalle­e“im Film geglückt ist, ist dem Alfred-Döblin-Förderprei­sträger Ingo Schulze mit „Peter Holtz“jetzt in der deutschen Gegenwarts­literatur gelungen, mit noch weitergehe­nden Fragestell­ungen an die Gesellscha­ft, als es in den Filmen der Fall war. (dpa)

Ingo Schulze: Peter Holtz – Sein glückliche­s Leben erzählt von ihm selbst. S. Fischer Verlag, Frankfurt, 576 Seiten. 22 Euro.

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FOTO: SOEREN STACHE Ingo Schulze
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