Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Untergangsstimmungskanone
Im neuen Buch von Peter Sloterdijk führt Gott durchs Programm
Da kann man nur gratulieren. Der Titel ist eine gute Wahl: „Nach Gott“. Wem, außer Peter Sloterdijk, würde man ein Buch zu diesem Thema zutrauen? Doch was zum 70. Geburtstag des Karlsruher Philosophen erschienen ist, erweist sich als Sammelband. Eine Art Stehempfang zur Feier des Tages, zu dem sich alte Bekannte eingefunden haben: Vorträge, schon da und dort gehalten, Auszüge aus früheren Bänden. Der Gott des Titels gibt den Conférencier und führt durchs Programm.
Der Text, der den Erwartungshaltungen, wie sie das Buchthema weckt, am nächsten kommt, ist die Einleitung, die Sloterdijk dann doch eigens für seinen Geburtstagsband geschrieben hat. Sie heißt „Götterdämmerung“. Aber sie zielt nicht vorrangig auf die Wagner-Gemeinde, die sich angesprochen fühlen dürfte. Vielmehr ist das Wort der Anlass für eine Betrachtung darüber, dass auch Phänomene mit Ewigkeitsanspruch an ihr Ende gelangen. Diese These findet sich auf dem Buchdeckel wieder. Sie besagt, dass nicht nur Götterwelten, sondern generell Kulturen, Hervorbringungen des menschlichen Geistes, ihre Dämmerung erleben können.
Gegen diesen Gedanken wird es, zumindest außerkonfessionell, keinen Einspruch geben. Aber bei Sloterdijk ist ja nicht nur interessant, was gesagt wird, sondern auch wie. Viele seiner Texte, gerade in dem hier vorherrschenden Vortragsformat, funktionieren wie Reiseberichte. Seine große Abendrundfahrt mit Untergangsstimmung an Bord startet mit der Erfahrung von Zeitgenossen des Ersten Weltkriegs, die miterlebten, wie in Europa die Lichter ausgehen. Mit Sieben-Meilen-Stiefeln geht es rückwärts: Sloterdijk gelangt zu den Weltbrand-Vorstellungen der antiken Stoiker, reitet weiter zur christlichen Apokalypse und der nordischen Sagenwelt. Und landet dann doch bei Wagners Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“, dessen letzter Teil für den anhaltenden Bekanntheitsgrad des Begriffs der Dämmerung sorgt.
Die Reformation im Blick
Die große Theorie ist bei Wagner nicht zu holen. Sloterdijk versteht das Ende der Oper, wenn der Weltenbau in der Feuersbrunst zusammenkracht, als ein handwerklich rustikal gezimmertes Finale. Wagner reißt die Kulisse ein. An dieser Stelle vermissen wir schmerzlich den Hinweis auf das fidele Fortleben des rumpeligen Konzepts im Film. Dort ist die Demolierung der Dekoration ein Standard geworden, an den sich noch jede 007-Folge gehalten hat: Spiel’s noch einmal, James.
Nun wird Sloterdijk weniger für seine ausgreifenden Textkonstruktionen und pfiffigen Begriffsfindungen gefeiert, als für die Verankerung der Philosophie in Gegenwartsfragen. So begründet die „Neue Zürcher Zeitung“die verstärkte Anbindung des Philosophen an ihr Feuilleton. Sloterdijks Beitrag zur Reformation bot in der „NZZ“eine reizvolle Lektüre, wenngleich in einer jedes übliche Zeitungsformat sprengenden Länge. Auch das Buch wendet sich Luther und seinen eidgenössischen Kollegen Zwingli und Calvin zu. Sloterdijk diagnostiziert bei amerikanischen Erweckungsreligionen eine „calvinistische Metastase“. Sie treibe die Menschen an, ihr seelisches Potential wie eine Ölquelle auszubeuten. Sloterdijk bringt das auf die Formel, solche Erfolgsfrömmigkeit lege „Gott als inneres Texas“an. Der Islam, der unter dem Aspekt philosophischer Gegenwartsrelevanz gleiches Augenmerk verdienen müsste, lässt Sloterdijk nicht gerade sprachlos, aber für seine Verhältnisse spürbar knapp und eigentlich auch trivial werden: „Attentate sind missratene Beweise eines Gottes, der die Welt nicht mehr versteht“. Das ist dann die „Allah-Dämmerung“.
Peter Sloterdijk: Nach Gott. Suhrkamp, 364 Seiten, 28 Euro.