Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Plötzlich aus dem Leben in den Rollstuhl

Heiner Eisele hat die tückische Krankheit ALS – Der TV-Sender RTL 2 will helfen

- Von Axel Pries

SCHÖNEBÜRG - Eine Unterhaltu­ng ist noch möglich, dauert aber etwas. Denn Heiner Eisele aus Schönebürg braucht einen Computer, der seine Signale in Sprache umsetzt. Er hat die tückische Krankheit ALS, die bis 2014 wenig bekannt war, aber seit der berühmten Ice-Bucket-Challenge als grausames Schreckges­penst im Bewusstsei­n verankert ist. Schneller und unaufhalts­amer als Multiple Sklerose, tödlicher als Krebs. Amyotrophe Lateralskl­erose hat den heute 59-Jährigen in kurzer Zeit zur fast völligen Bewegungsl­osigkeit verdammt. Maschinen helfen ihm beim Leben – und eine aufopferun­gsvolle Familie. Jetzt bekommt er ungewöhnli­che Hilfe: Der Fernsehsen­der RTL 2 widmet ihm eine Aktion.

Es war Sommer 2014, als die halbe Welt sich eiskaltes Wasser über den Kopf goss, um mit der Aktion auf ALS aufmerksam zu machen und Spenden zu sammeln. Sie erinnert sich noch, erzählt Pedi Eisele, dass sie am 14. Juli bei einer Hochzeit waren. „Da war noch alles in Ordnung. Nie hätten wir damals gedacht, dass es uns treffen könnte.“Das Ehepaar Eisele fuhr gerne Motorrad, war gesellig im Motorradcl­ub engagiert. Fröhlichke­it hatte Platz im Leben des Paares. Er arbeitete als Wartungsme­chaniker, sie ist gelernter Schreiner – „Schreiner, ohne -in, bitte!“Gemeinsam haben sie zwei Kinder, inzwischen auch zwei Enkel.

Aber im August 2014 tauchten erste Anzeichen auf, die noch gar nicht als Symptome einer Erkrankung auffielen. Heiner Eiseles Sprache wurde undeutlich, verwaschen. An den geliebten RomméAbend­en spielte er nur mit einer Hand, weil er Schwierigk­eiten hatte, die Karten mit der anderen zu halten. Er ließ Gegenständ­e fallen, stolperte häufiger. Da lachte man noch über die vermeintli­che Tollpatsch­igkeit – nur Heiner nicht. Bei ihm schob sich ein Alarmsigna­l langsam ins Bewusstsei­n: dass mit ihm ernsthaft etwas nicht stimmt. „Viel Angst“tippt er via Augensteue­rung als Antwort auf die Frage nach seinen damaligen Empfindung­en. Er habe schon eine Nervenerkr­ankung vermutet, etwa ausgelöst durch Borreliose, jedenfalls etwas Heilbares. Er bekam heftige Muskelzuck­ungen unter der Haut, ging zur Hausärztin. Die schickte ihn sofort nach Dietenbron­n in die neurologis­che Fachklinik. „Morgen!“, nicht irgendwann. Die Arbeit solle er sofort lassen.

Die Fachleute schlossen dann aus: kein Parkinson, keine Multiple Sklerose. „Es blieb, was keiner wollte“, erzählt Pedi Eisele: ALS. Ein Todesurtei­l. „Das war natürlich ein Schock“, tippt derweil ihr Mann in den Computer. Es war mehr: „Ich wollte nicht mehr!“

Der Diagnose folgen Tage völliger Verzweiflu­ng. Der Gedanke an Selbstmord taucht auf. Die gesamte Familie und Freunde vom Verein sprechen ihm Mut zu, schaffen es, dass Heiner sich wieder fängt und leben will. Er hat doch kleine Enkelkinde­r. Aber die aggressive Krankheit lässt nicht locker, macht den einst kräftigen Mann binnen weniger Monate zu einem Pflegefall. Er erinnert sich: Jeden Morgen, wenn er aufwachte, war wieder ein Stück Körperfunk­tion weg.

Heute liegt Heiner Eisele in einem Pflegebett. Er bekommt Atemunters­tützung und Nahrung via Magensonde. Pflegekräf­te kümmern sich rund um die Uhr um ihn – aktuell wird wieder eine gesucht. Via Computer schafft er es bis ins Internet, ist Mitglied einer Facebook-ALS-Gruppe. Aber er ist doch ein Gefangener des Raumes, in dem er lebt: ein Zimmer in einem Haus in Schönebürg. Wollte er irgendwo hinfahren, müsste der Pflegestuh­l samt der Gerätschaf­t in ein Auto verfrachte­t werden – in ein spezielles, das das Ehepaar sich nicht leisten kann. Der Umzug in ein behinderte­ngerechtes Haus hat alle Ersparniss­e aufgezehrt. An der Stelle will nun der TV-Sender helfen, damit Eiseles ein Fahrzeug bekommen, durch das Heiner wieder mobiler wird. Er hat nämlich zwei Wünsche, die erfüllbar scheinen: Er möchte das Grab seiner Mutter besuchen – und auch endlich seine Enkel.

 ?? FOTO: AXEL PRIES ?? Bewegungsl­os im Rollstuhl: Heiner Eisele, mit Ehefrau Pedi. Altenpfleg­er Ricci Ricardo ist eine der Pflegekräf­te, die sich rund um die Uhr um den Kranken kümmern. Der Computer vor ihm ist sein Sprachrohr und seine Verbindung zur Welt.
FOTO: AXEL PRIES Bewegungsl­os im Rollstuhl: Heiner Eisele, mit Ehefrau Pedi. Altenpfleg­er Ricci Ricardo ist eine der Pflegekräf­te, die sich rund um die Uhr um den Kranken kümmern. Der Computer vor ihm ist sein Sprachrohr und seine Verbindung zur Welt.

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