Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Lebensversicherungen als Ramschware
Versicherungskonzerne verkaufen Altverträge – Die „Schwäbische Zeitung“erklärt, was das für Kunden bedeutet
BERLIN - Große Versicherungen erwägen den Verkauf laufender Policen an Abwicklungsgesellschaften. Was das für die Kunden bedeutet, erklärt die „Schwäbische Zeitung“in den wichtigsten Fragen und Antworten.
Warum gibt es derzeit Sorgen um die Lebensversicherung?
Neu ist, dass große Versicherungsunternehmen auf Neuabschlüsse verzichten und den Verkauf ihrer Vertragsbestände an andere Unternehmen prüfen. In Deutschland laufen derzeit mehr als 80 Millionen Policen für eine Kapitallebensversicherung oder eine private Rentenversicherung. Einige Millionen dieser Verträge könnten bald den Besitzer wechseln. Die Kunden hätten es dann mit ganz anderen Anbietern zu tun als bei Vertragsabschluss.
Gibt es dafür schon Beispiele?
Bisher waren es eher kleine Bestände, die den Besitzer wechselten. Zuletzt übernahm die Abwicklungsgesellschaft „Frankfurter Leben“100 000 Verträge der Basler Leben. Hinter den Frankfurtern stehen die BHF-Bank sowie sowie der chinesische Mischkonzern Fuson. Mit dem Versicherungskonzernen Generali und Ergo prüfen derzeit zwei Branchenriesen, ob sie sich von Altverträgen trennen. Bei Ergo geht es um die Marken Hamburg-Mannheimer und Victoria. Auch Axa hält sich diese Option offen.
Was geschieht beim Verkauf von Altverträgen aus Kundensicht?
Aus Sicht des Kunden wechselt zunächst einmal nur sein Ansprechpartner. Alle Garantien aus dem bestehenden Vertrag gelten weiter. Auch die gesetzlichen Regelungen zur Beteiligung an den Überschüssen müssen vom Käufer des Vertragsbestands eingehalten werden. Rein formal ändert sich außer dem Vertragspartner nichts.
Wie erwirtschaften die Versicherungen in dieser langen Niedrigzinsphase die versprochene Verzinsung?
Die niedrigen Zinsen stellen die Unternehmen vor große Herausforderungen. Bei Alt-Verträgen müssen sie ihren Kunden bis zu vier Prozent Rendite garantieren, mehr, als bei risikofreien Neuanlagen derzeit drin sind. Trotzdem gelingt ihnen das, wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft
(GDV) betont. „In den Beständen sind noch hochverzinste Anlagen“, sagt Peter Schwark, Mitglied der GDV-Geschäftsführung. Zudem habe die Branche mittlerweile gut 40 Milliarden Euro als zusätzlichen Puffer für künftige Leistungsverpflichtungen in der Zinszusatzreserve zurückgelegt. Eine wichtige Rolle für die Finanzierung der Garantiezusagen spielen Schwark zufolge auch die Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere.
Droht einzelnen Unternehmen die Pleite?
Die Insolvenz eines Lebensversicherungsunternehmens ist nach Auffassung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (Bafin) nicht zu befrüchten. Die Behörde wacht über die Branche. Darauf verlässt sich auch Theo Pischke, Versicherungsexperte der Stiftung Warentest. „Risiken könnte es auf lange Sicht geben“, betont er aber. Private Rentenversicherungen liefen zum Beispiel über mehrere Jahrzehnte. Es sei nicht klar, wie die Auszahlung der letzten Kunden finanziert wird.
Darf meine Versicherungspolice einfach an einen Hedgefonds oder einen anderen Finanzinvestor weiterverkauft werden?
Die Kundenverträge dürfen von den Versicherungen nicht nach Belieben
veräußert werden. Die Käufer müssen laut GDV eine in Deutschland ansässige Versicherungsgesellschaft sein. Es gibt zwei Varianten des Verkaufs. Entweder wird die gesamte Versicherung an einen anderen Eigentümer übertragen oder nur der Bestand an Altverträgen an eine andere Versicherung. Bei Letzterem ist eine Genehmigung der Bafin Voraussetzung. Die Aufsichtsbehörde prüft in beiden Fällen die Fähigkeit der Käufer, den eingegangenen Verpflichtungen langfristig nachzukommen.
Ist eine Police auch bei einem Weiterverkauf durch den Sicherungsfonds Protektor geschützt?
Protektor ist die Sicherungseinrichtung der Lebensversicherungsunternehmen in Deutschland. Folglich muss auch eine Abwicklungsgesellschaft alter Verträge Protektor beitreten.
Womit verdienen die Käufer eigentlich ihr Geld?
Ganz genau lässt sich dies nicht sagen. Am häufigsten nennen Experten Einsparungen bei den Verwaltungskosten. Bei den Kapitalanlagen rechnet Warentest-Fachmann Pischke nicht mit einem besseren Abschneiden der neuen Besitzer. „Ich weiß nicht, was die Abwicklungsgesellschaften anders machen können“,
sagt er. Verbraucherschützer Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten befürchtet, dass sich die Käufer von Altverträgen weitere Ertragsquellen erschließen wollen. „Man braucht den Willen, den Kunden bösartig Geld vorzuenthalten, damit sich das Geschäft lohnt“, glaubt er. Die Unternehmen könnten Druck auf ihre Kunden ausüben, damit sie aus den laufenden Verträgen aussteigen. Wenn der Rückkaufswert geringer sei als die Rücklagen für den Vertrag, entstünden attraktive Stornogewinne.
Müssen sich Kunden auf Versuche der neuen Besitzer einstellen, sie über den Tisch zu ziehen?
Verbraucherschützer befürchten dies zumindest. „Die neuen Besitzer könnten mit auf den ersten Blick guten Angeboten versuchen, den Kunden ungünstige Produkte zu verkaufen“, sagt Hermann-Josef Tenhagen vom Verbraucherportal Finanztip.de. BdV-Chef Kleinlein sieht auch die Gefahr, dass die Kunden bei der Überschussbeteiligung abgezockt werden könnten. Denn die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen kontrolliere lediglich, ob die Überschussbeteiligung für alle Versicherten zusammen korrekt ist, nicht jedoch die invididuelle. „Da haben die Unternehmen Spielräume für einen legalen Betrug“, sagt er.
Was geschieht bei einem Besitzerwechsel mit ruhenden Verträgen?
Vertrag ist Vertrag. Auch wenn eine Police beitragsfrei gestellt worden ist, resultieren daraus Verpflichtungen für den Anbieter, die bis zum Ende der Laufzeit gelten.
Ist eine Vertragskündigung sinnvoll, wenn mir der neue Vertragspartner unseriös erscheint?
Die Fachleute sind sich einig, dass eine Kündigung von den Kunden, womöglich auch mit Hilfe eines spezialisierten Beraters, genau geprüft werden sollte. Als Entscheidungshilfe dient ein Rechner, den der Bund der Versicherten (BdV) ins Internet gestellt hat (siehe Textende). „Man kommt nicht umhin, jeden Vertrag einzeln zu prüfen“, warnt BdV-Chef Axel Kleinlein vor vorschnellen Entscheidungen. So können auch der Versicherungsschutz einer Police ein Argument für die Fortsetzung eines Vertrages sein, etwa, wenn man denselben Schutz anderswo gar nicht mehr oder nur viel teurer bekommt. Individuelle Beratungen bieten zum Beispiel die Verbraucherzentralen an.
Warum geben die Versicherungen den Geschäftszweig auf ?
Manche Unternehmen stellen fest, dass sich der Abschluss neuer Lebensversicherungsverträge beim derzeitigen Garantiezins nicht mehr lohnt. In diesen Fällen beenden sie dieses Neugeschäft und verwalten nur noch den Bestand an Verträgen, die ja weiter gelten und erfüllt werden müssen. Wenn vergleichsweise wenige Altverträge betreut werden, seien die Verwaltungskosten recht hoch, sagt Schwark. „Es muss einen Vorstand geben, einen Aktuar und eine Datenverarbeitung“, erläutert der GDV-Experte. Günstiger sei es daher unter Umständen, den Bestand an eine Abwicklungsgesellschaft zu übertragen, die Verträge aus mehreren Versicherungen verwaltet und so Kosten sparen kann. Ein anderer Grund kann laut GDV darin bestehen, dass eine Versicherung somit weniger Eigenkapital benötigt und auf diese Weise finanziell besser dasteht.