Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Leichter Hoffnung und Vertrauen in mich gewinnen“
28. Psychiatrische Ethiktagung in Zwiefalten – Thema: Rollenfindung in der aufsuchenden Psychiatrie
ZWIEFALTEN (sz) - Ambulante und aufsuchende Hilfen als Alternative zur stationären Behandlung erfahren immer mehr Resonanz. Damit einhergehend entstehen neue Rollen für alle Beteiligten. Wie sich die Rollenfindung gestalten lässt und welche Chancen und Herausforderungen sie birgt, darüber diskutierten die Teilnehmenden der 28. Psychiatrischen Ethiktagung des ZfP Südwürttemberg in Zwiefalten.
Neben Experten waren auch viele Angehörige psychisch Kranker sowie Betroffene zur Tagung „Der helfende Gast – Rollenfindung in der aufsuchenden Psychiatrie“des ZfP Südwürttemberg und der PP.rt Reutlingen gekommen. Prof. Gerhard Längle, Leitender Ärztlicher Direktor des ZfP, betonte, dass mit der Stationsäquivalenten Behandlung (StäB) eine neue Dimension für die Akutbehandlung entstehe. Denn diese werde sich in die Räume der Patienten verlagern. „Das kann das Selbstverständnis und die eigene Rolle aller Beteiligten in Frage stellen.“So widme sich die Tagung den Auswirkungen der Veränderungen auf die Beziehung der Beteiligten, therapeutischen Begegnungen und der Rollenfindung.
Welche Bedeutung aufsuchende Hilfe für Patienten hat, verdeutlichten die vorgetragenen Erfahrungen einer anonymen Betroffenen mit Wochenbettpsychose. Mitarbeitende eines Sonderpflegedienstes betreuen sie zu Hause und helfen ihr, wieder kleine Aufgaben im Alltag zu bewältigen. „Im Gegensatz zum stationären Aufenthalt kann ich hier leichter Hoffnung und das Vertrauen in mich selber zurückgewinnen.“
Als Chance, eine Strategie zu entwickeln, die für Betroffene und Angehörige gleichermaßen hilfreich ist, sieht Helmut Hecht von der Informations-, Beratungs-, und Beschwerdestelle (IBB) Reutlingen aufsuchende Psychiatrie. Der Vater eines psychisch kranken Sohnes wünschte sich jedoch auch, dass Privatsphäre und Ängste der Angehörigen berücksichtigt werden.
Andrea Krainhöfer, Leiterin der Sozialpsychiatrischen Hilfen Reutlingen-Zollernalb, berichtete von ihrer Arbeit aus der Gemeindepsychiatrie. Das vertraute Umfeld ermögliche den Helfenden, über unverbindliche Themen schnell mit Klienten in Kontakt zu treten und Vertrauen aufzubauen. „Der Aufbau von Beziehung und Vertrauen sind Sicherheit gebende Faktoren“, betonte sie.
Anhand von Fallbeispielen stellte Dr. Anja Stempfle vom ZfP Südwürttemberg, anschaulich die Herausforderungen und Erfolge des StäB-Modellprojektes aus Weissenau vor. So sehen sich Behandelnde beispielsweise vor der Herausforderung, genügend Zeit und Raum für Diagnostik und Therapie zu schaffen und dem frustrierenden Gefühl, Hilfe nicht leisten zu können, wenn der Patient die Haustüre nicht öffne. Hingegen bieten die Wohnung und das Lebensumfeld des Patienten oftmals wichtige therapierelevante Informationen und damit schnelle Therapieerfolge.
Dr. Günter Meyer, Geschäftsführer einer Pflegestation in Berlin, stellte den Teilnehmenden in seinem Vortrag das Gezeitenmodell vor. Dieses sehe unter anderem aktives Zuhören und ehrliche Neugier vor. „Über die Dialogführung helfen wir dem Patienten seine Ressourcen zu erkennen, darüber gelingt Vertrauensaufbau und Transparenz.“Auch ethische Kompetenzen, betonte Dr. Meyer, sollten in der psychiatrischen Pflege berücksichtigt werde, um ethische Konfliktthemen erkennen und benennen zu können.
Von Behandelnden und Patienten werde die aufsuchende Hilfe dankbar angenommen, so Dr. Andreas Horn, Direktor der Klinik Alexianer in Krefeld. Er stellte unter anderem Therapieprogramm und Voraussetzungen der dortigen integrativen psychiatrischen Behandlung vor und verdeutlichte: „Das Erleben der TherapeutPatient Beziehung hat wesentliche Bedeutung für den Therapieerfolg.“Entscheidend sei außerdem, Angehörige einzubeziehen und ihre Nöte aufzugreifen.
Viele Anwesende nutzten die Podiumsdiskussion, um den Referenten Fragen zu stellen, aber auch, um Sorgen und Ängste zu äußern. Fragen wie „Was sind die Voraussetzungen für eine Behandlung in StäB? Wer wird behandelt? Und wie wird sich der gesamtgesellschaftliche Blick auf die Psychiatrie entwickeln?“wurden in der Diskussion thematisiert.