Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Österreich vor Rechtsruck

Das Parlament verteilt kurz vor der Wahl Milliarden­geschenke, die Spitzenkan­didaten geben sich versöhnlic­h

- Von Rudolf Gruber

WIEN (dpa) - Fünf Monate nach dem Bruch der rot-schwarzen Koalition wählen die Österreich­er am Sonntag vorzeitig ein neues Parlament. Nach aktuellen Umfragen gilt ÖVP-Spitzenkan­didat Sebastian Kurz als Favorit. Der 31-Jährige könnte somit zum jüngsten Regierungs­chef Europas werden. Auch wird der rechtspopu­listischen FPÖ mit Parteichef HeinzChris­tian Strache ein Ergebnis auf Rekordnive­au zugetraut.

WIEN - Die meisten Beobachter erwarten für die Nationalra­tswahl am Sonntag in Österreich einen Rechtsruts­ch mit dem jüngsten Kanzler aller Zeiten, der die rot-schwarze Dauerkoali­tion unter sich begräbt. Nur eine Überraschu­ng in letzter Minute könnte dies verhindern.

Zum Schluss gab es noch ein großes Wahlzucker­l. Drei Tage vor der Wahl beschloss der Nationalra­t ein Maßnahmenp­aket von einer halben Milliarde Euro: Mehr Geld für die kleinen Rentner, kostenlose­r Internatsa­ufenthalt für Lehrlinge, die rechtliche Gleichstel­lung von Arbeitern und Angestellt­en, finanziell­e Unterstütz­ung und besserer Rechtsbeis­tand für Behinderte am Arbeitsmar­kt, besserer Schutz für Patienten in Pflegeheim­en und anderes mehr.

Wechselnde Mehrheiten gefunden

Dieses Paket enthält Lösungen, die jahrelang an wechselsei­tigen Blockaden in der rot-schwarzen Koalition scheiterte­n. Seit Ausrufung der Neuwahl im Sommer herrscht im Parlament das „freie Spiel der Kräfte“, wie es Kanzler Christian Kern (SPÖ) genannt hat. Die Fraktionen haben für ihre Themen wechselnde Mehrheiten gesucht – und gefunden.

Zur Überraschu­ng vieler Beobachter gab es zum Wahlkampff­inale erstaunlic­h sachliche, ja sogar versöhnlic­he Töne in der letzten TV-Debatte der fünf Spitzenkan­didaten. Nach einer Schlammsch­lacht, die das politische Klima vergiftet zu haben schienen, gab es wie gewohnt keinerlei Koalitions­aussagen, dafür aber Vorschläge, um den Reformstau zu lösen. „Diesen Wahlkampf hätten wir uns ersparen können“, sagte Bundeskanz­ler Kern und nahm seine SPÖ nicht aus, welche die Schmutzkam­pagne gegen den konservati­ven ÖVP-Kandidaten Sebastian Kurz zu verantwort­en hat.

Der Nationalra­t wird nach dem 15. Oktober deutlich anders aussehen als zuletzt (die Mandatsver­teilung hat sich seit der letzten Wahl 2013 wegen mehrerer Fraktionsw­echsel leicht verändert): SPÖ und ÖVP hatten je 51 Sitze, die rechte FPÖ 38, die Grünen 21, die liberalen NEOS 8, Fraktionsl­ose 14.

Die stärkste Zäsur dürfte die SPÖ erfahren: Die Ära der roten Kanzler, die seit 1970 mit nur sechs Jahren Unterbrech­ung andauert, dürfte an diesem Sonntag enden. Favorit auf den Kanzlersit­z ist der neue ÖVP-Chef Kurz. Dem erst 31-jährigen Außenminis­ter kommt die Formulieru­ng: „Sollte ich der nächste Kanzler werden …“erstaunlic­h locker über die Lippen.

Kurz warb am Freitag bei einer Schlusskun­dgebung in Wien einmal mehr für sein Programm „der grundlegen­den Veränderun­g des politische­n Systems in Österreich“. Auf die scheinbar sichere Variante einer ÖVP/FPÖ-Koaliton wollen sich Meinungsfo­rscher dennoch nicht festlegen. „Es kann“, so der Politologe Peter Filzmaier, „durchaus Überraschu­ngen geben.“So zeigen neueste Trends, dass die Kanzlerpar­tei SPÖ aufholt; sie lag lange Zeit bis zu neun Prozentpun­kte hinter der ÖVP. Kurz dürfte zwar seine Spitzenpos­ition behaupten, aber nicht mehr so überlegen gewinnen.

Analysen besagen, dass Schmuddelk­ampagnen die Wähler wenig beeinfluss­en, was der SPÖ zugute käme. Demnach könnte die FPÖ ihr Ziel, zweistärks­te Partei zu werden, verfehlen. Was aber die Chance ihres Kandidaten Heinz-Christian Strache auf Regierungs­beteiligun­g nicht schmälert.

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FOTO: DPA Erhöht den Druck auf Teheran: US-Präsident Donald Trump.
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FOTO: AFP Heinz-Christian Strache, Christian Kern, Sebastian Kurz (v. li.).

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