Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Wir brauchen passgenaue Förderung“
BERLIN - Die Heidelberger Bildungswissenschaftlerin Anne Sliwka (Foto: oh) fordert im Gespräch mit Kara Ballarin mehr Qualitätskontrolle an baden-württembergischen Schulen. Als Teil des neuen wissenschaftlichen Beirats begleitet sie den Aufbau und anschließend den Betrieb der beiden Landesinstitute, die ab 2019 diese Aufgabe übernehmen sollen.
Überraschen Sie die Ergebnisse für Baden-Württembergs Grundschulen?
Nein. Baden-Württemberg ist ins Mittelfeld abgerutscht, dieser Trend ist schon länger erkennbar und kann auch nicht einfach einer Regierung zugeschrieben werden. Es fällt auf, dass so unterschiedliche Bundesländer wie Bayern und Schleswig-Holstein deutlich über dem Bundestrend liegen. Diese beiden Bundesländer setzen schon seit einigen Jahren konsequent auf Unterrichtsentwicklung, Diagnostik und Förderung und eine verstärkte professionelle Kooperation in den Lehrerkollegien. Das zahlt sich jetzt aus. Auch fachfremder Unterricht ist ein Problem in Baden-Württemberg. Schon an der Grundschule kann das dazu führen, dass Lehrkräfte Lernschwierigkeiten nicht gut diagnostizieren können und keine passenden fachlichen Förderstrategien kennen.
Sind bereits Schritte eingeleitet, um die Qualität an den baden-württembergischen Schulen zu steigern?
Ja, die Regierung hat die Qualitätsverbesserung der Schulen zu einer Priorität erklärt. Es wird ein Bündel an aufeinander abgestimmten Maßnahmen geben. Im wissenschaftlichen Beirat gibt es Konsens über die Notwendigkeit, in der Grundschule mehr systematische Diagnostik durchzuführen. Wir plädieren zum Beispiel für eine individuelle Lernstandserhebung in Deutsch und Mathematik in Klasse zwei, verbunden mit formativer Rückmeldung und einer gezielten und passgenauen Förderung in beiden Fächern.
Wo muss Ihrer Meinung nach nachgebessert werden?
Baden-Württemberg ist das Flächenland mit dem höchsten Anteil an Kindern mit Zuwanderungsbiografie, mit 45 Prozent liegt der Anteil hier deutlich über Bayern und sogar über Nordrhein-Westfalen, was mich überrascht hat. Das Schulsystem hat sich noch nicht auf diese Realität eingestellt. Wir brauchen sprachsensiblen Unterricht in allen Fächern, auch in der Mathematik. Dazu müssen alle Lehrkräfte fortgebildet werden. Außerdem kommt es auf die enge Kooperation zwischen Schule und Eltern an. Sie müssen an einem Strang ziehen. Die meisten Eltern – das wissen wir aus der Forschung – sind für Hinweise von Lehrkräften offen. Bei alledem müssen wir das Rad nicht neu erfinden: Gerade die klassischen Einwanderungsländer wie Kanada und Australien haben in ihren Schulsystemen viele wirksame Ansätze entwickelt, von denen wir lernen können.