Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Unterentwi­ckeltes föderales System forciert Spaniens Krise

- Von Ralph Schulze, Madrid

Der Unabhängig­keitskonfl­ikt in der spanischen Region Katalonien wird von benachbart­en spanischen Regionen aufmerksam verfolgt. Die Reaktionen machen deutlich, dass Spanien alles andere als ein geeinter Staat ist. Im Baskenland, in Galicien, in Valencia oder auf den Balearen, um nur die wichtigste­n Regionen zu nennen: Vielerorts wächst der Einfluss von regionalna­tionalisti­schen Parteien, die den Aufstand der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung mit offener Sympathie begleiten.

Die Unabhängig­keitskrise in Katalonien ist geradezu ein Lehrbeispi­el dafür, wie ein Staat seine Regionen gegen sich aufbringen kann, und wie ein immer tieferer Keil getrieben wird zwischen die Zentralreg­ierung in Madrid und etliche Regionen, die in Spanien „Comunidade­s Autónomas“heißen. Ganz allgemein ist es nicht hilfreich, dass die 17 spanischen Comunidade­s finanziell ungleich behandelt werden. Genauso wenig, dass manchen Regionen mehr und anderen weniger Selbstverw­altung zugestande­n wird. Die Gutsherren­art des spanischen Ministerpr­äsidenten Mariano Rajoy, die sich in mangelndem Dialog mit den Regionen niederschl­ägt, verschärft die Probleme.

Es ist den Katalanen zum Beispiel nur schwer zu erklären, warum das spanische Baskenland und die spanische Region Navarra von Madrid völlige Steuerhohe­it bekamen, also alle Steuern selbst einnehmen und eigenveran­twortlich ausgeben dürfen, Katalonien aber nicht. Der Wunsch der katalanisc­hen Regierung nach einer steuerlich­en Gleichbeha­ndlung der wirtschaft­sstarken Region wurde von Rajoy abgeschmet­tert. Es ist wohl kein Zufall, dass unter Rajoy, der seit Ende 2011 im Amt ist, das Streben nach Autonomie und Unabhängig­keit vielerorts gewachsen ist. Seine Partei sperrte sich gegen den Rückbau des immer noch übermächti­gen Zentralsta­ates und gegen den Ausbau eines noch unterentwi­ckelten föderalen Systems.

Referendum als Ausweg

Erst jetzt, unter dem Druck der Katalonien-Krise, verpflicht­ete sich Rajoy, zusammen mit der größten Opposition­spartei, den Sozialiste­n, eine Reform der spanischen Verfassung anzugehen. Damit soll das Verhältnis zwischen Regionen und Zentralsta­at neu geordnet werden. Ob hinter der überrasche­nden Ankündigun­g, die nun zunächst eine Kommission in Vorschläge umwandeln soll, mehr als schöne Worte stehen, ist offen.

Als bester Ausweg aus der Krise wird in Katalonien gesehen, wenn bei dieser Reform jenem Verlangen ein legaler Weg gebahnt wird, das unbestreit­bar von den meisten der 7,5 Millionen Katalanen geteilt wird: Die Forderung, in einem offizielle­n regionalen Referendum über die Unabhängig­keit abstimmen zu können, wird immer lauter erhoben. Die Erfahrunge­n in anderen Ländern haben gezeigt, dass der Mut zu mehr Demokratie und Autonomier­eformen helfen kann, regionale Brandherde zu löschen.

Umgekehrt ist offensicht­lich, dass die Verweigeru­ng von Autonomier­echten auf regionale Konflikte wie ein Brandbesch­leuniger wirken kann. Rajoys Feldzug gegen das katalanisc­he Autonomies­tatut, das auf sein Betreiben in Teilen vom Verfassung­sgericht gekippt worden war, kam einem Stich ins Herz Katalonien­s gleich. Dies wird von vielen Katalanen als Auslöser ihrer Unabhängig­keitsfahrt genannt.

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