Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Fels, Gigant, Reizfigur

Betont gelassen tritt Wolfgang Schäuble beim IWF-Treffen von der großen Bühne ab

- Von André Stahl und Michael Donhauser

WASHINGTON (dpa) - Der Abschied von der internatio­nalen Finanzwelt hätte für Wolfgang Schäuble in Washington nicht besser beginnen können. Das Jahrestref­fen von Internatio­nalem Währungsfo­nds (IWF) und Weltbank in der US-Hauptstadt hatte noch gar nicht richtig angefangen, und das Abendessen der G20-Finanzmini­ster stand am Donnerstag auch noch aus. Aber für den scheidende­n deutschen Kassenwart gab es schon ein Lob der Superlativ­e: Schäuble sei „ein Fels“gewesen, „ein Gigant – unglaublic­h solide“, ließ IWF-Chefin Christine Lagarde die Presse überschwän­glich wissen. Sie sei traurig, dass „Freund Wolfgang“gehe.

Einen kleinen Seitenhieb ließ sich die polyglotte frühere Finanzmini­sterin Frankreich­s nicht nehmen – jedoch nicht auf Schäuble, sondern auf den Berliner Politikbet­rieb und so manchen Missklang zwischen dem Finanzmini­ster und Kanzlerin Angela Merkel. Wie immer diplomatis­ch fein verpackt, fügte Lagarde hinzu: „Ich freue mich, dass er es geschafft hat, so lange zu bleiben, weil ich bei einigen Gelegenhei­ten dachte, dass er so viel auf sich nimmt.“Von diesen „Gelegenhei­ten“gab es einige. In der Euro- und in der Flüchtling­skrise lagen Schäuble und Merkel mehrfach über Kreuz. Im Griechenla­nd-Streit war er 2015 schon bereit, alles hinzuschme­ißen.

Was Wasser auf die Mühlen derer ist, die den Wechsel Schäubles aus dem Finanzmini­sterium an die Spitze des Bundestags­präsidiums nun als erzwungene­n Abschied sehen. Dass er am 24. Oktober als Chef des Parlaments und damit für das zweithöchs­te Amt im Staat kandidiert, wird auch als letzter Dienst des stets loyalen Schäuble für die CDU-Vorsitzend­e Merkel gewertet. Damit für die ohnehin schwierige­n Verhandlun­gen über ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen ein Stolperste­in aus dem Weg geräumt ist – weil die Liberalen dann das mächtige Finanzress­ort übernehmen dürften.

Ihm selbst passt die Lesart vom angeblich erzwungene­n oder erbetenen Abschied natürlich nicht. Wer Schäuble auf seiner Abschiedst­our erlebt, kann einen Politiker beobachten, der vermitteln möchte, mit sich im Reinen zu sein. Jemanden, der darauf Wert legt, dass dieser Abschied allein seine Entscheidu­ng gewesen sei.

Glaubt man dem Umfeld Schäubles, hat der 75-Jährige schon vor der Bundestags­wahl am 24. September entschiede­n, sich aus dem Kabinett zurückzuzi­ehen – nach Absprache mit der Familie. „Acht Jahre als Finanzmini­ster sind genug“, lässt Schäuble auch Finanzmana­ger auf einer Veranstalt­ung am Rande der IWFTagung in Washington wissen. Was einiges Gemurmel unter den Zuhörern auslöste. Schäuble, so wird gestreut, habe sich das nicht vier weitere Jahre antun wollen. Nicht überall auf der Welt war er beliebt. In Griechenla­nd, wo viele ihn als extreme Reizfigur und Urheber schmerzhaf­ter Sparmaßnah­men sehen, heißt es, man sei froh, dass er nun Geschichte sei.

Die Frage, ob sich Schäuble „das antun muss“, begleitet ihn nicht erst im Alter. Eigentlich steht sie schon seit dem Attentat von 1990 im Raum, das ihn für das restliche Leben an den Rollstuhl band. Seine Antwort hat er in den vergangene­n 27 Jahren gegeben: Der Jurist Schäuble war Fraktionsu­nd Parteichef sowie Innen- und Finanzmini­ster. Politik ist sein Leben – trotz einiger Enttäuschu­ngen für den einstigen Beinahe-Kanzler und Fast-Bundespräs­identen.

In Washington ist Schäuble in diesen Oktobertag­en abermals nicht nur als der erfahrene Politprofi und dienstälte­ste Finanzmini­ster der Top-Wirtschaft­smächte gefragt. Er ist auch ein beliebter Redner: gewitzt, geistreich – und auch sehr direkt und wenig verschwurb­elt. Er konnte in der Vergangenh­eit bei öffentlich­en Auftritten aber auch gemein sein – mit reichlich Spitzen gegen die eigenen Leute.

Nach acht Jahren an der Spitze des Finanzress­orts ist Schäuble lockerer und entspannte­r. Er kokettiert nun noch häufiger mit seinem Alter und dem badisch beeinfluss­ten Englisch. Seine Schlussrun­de in Washington nimmt Schäuble gelassen. Für ihn scheint sie fast ein wenig nervig und anstrengen­d. Denn er weiß, wie viel nette und überschäum­ende Worte bei solchen Abschiedst­reffen fallen.

Im kleinen Kreis frotzelt er, dass sein Weggang ja durchaus auch ein Beitrag zum geforderte­n Abbau der hohen Handelsbil­anz-Überschüss­e sei. Schäuble hatte sich all die Jahre gegen Kritik gewehrt und staatliche Eingriffe gegen das Handelsplu­s abgelehnt. Lagarde räumt wohl auch mit Blick auf dieses Thema bei allem Lob ein, man sei ja nicht immer einer Meinung gewesen.

Mit dem Rückflug ist Schäubles Karriere als Finanzmini­ster und Regierungs­politiker praktisch beendet. Schäuble weiß das – und zitiert selbst noch mal seinen berühmten badischeng­lischen Spruch aus der Griechenla­nd-Krise: Dann „isch over“.

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FOTO: IMAGO Wolfgang Schäuble beim IWF: Isch wirklich over.

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