Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Die Angst vor dem Diesel-Aus

Handwerk kritisiert Debatte um drohende Fahrverbot­e und fordert verlässlic­he Ansagen

- Von Thilo Bergmann

RAVENSBURG - Eines haben Heizungsin­stallateur­e, Dachdecker und Zimmerleut­e gemeinsam. Alle fahren sie Kleinlaste­r, um Rohre, Ziegel oder Dachlatten zu ihren Kunden zu transporti­eren. Und fast alle tanken sie Diesel. Was die Nervosität wegen der drohenden Fahrverbot­e beim Handwerk in Baden-Württember­g und Bayern größer und größer werden lässt.

80 Prozent der Autos von Handwerker­n werden mit Diesel betrieben, schätzt Ulrich Wagner, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer (HWK) Schwaben. Dürfte man nun plötzlich nicht mehr damit fahren, wäre das „eine Kompletten­twertung des Fuhrparks der Handwerker“, sagt er. Mit Sorge blickt Wagner deshalb unter anderem auf Stuttgart, wo die Diskussion um die Fahrverbot­e für die Luftreinhe­it stellvertr­etend für das grundlegen­de Problem steht. Zuletzt hatte sich die baden-württember­gische Landesregi­erung entschloss­en, ein vom Gericht angeordnet­es Fahrverbot höchstrich­terlich überprüfen zu lassen. Aber auch in anderen Städten im Süden könnte Dieselfahr­zeugen das Aus drohen.

Oft nur Diesel verfügbar

Viele Handwerker haben sich vor neue Fahrzeuge angeschaff­t, als ab 2008 Umweltzone­n in Deutschlan­ds größeren Städten eingeführt wurden. „Das beeinfluss­t uns schon stark, vor allem weil wir im Bereich der mittleren und größeren Nutzfahrze­uge keine Benziner haben“, erklärt Harald Herrmann, Präsident der Handwerksk­ammer Reutlingen. Auf eine Nutzungsda­uer von sechs bis acht Jahren seien die Fahrzeuge ausgelegt, die auch oft nur wenige Kilometer auf dem Tacho haben. „Es ist wichtig auf unsere Investitio­nszyklen zu achten“, sagt er.

„So etwas muss planbar sein“, erklärt auch Gotthard Reiner, Präsident der HWK Konstanz, mit Blick auf Fahrverbot­e. Alles andere käme einer „Enteignung“gleich, sagt er und fordert eine Übergangsz­eit. Ein weiteres Problem sei, dass Kosten für neue Fahrzeuge auf die Kunden umgelegt werden müssten. „Die Leute müssen sich aber auch weiterhin einen Handwerker leisten können“, erläutert Joachim Krimmer, Präsident der HWK Ulm.

Planungssi­cherheit, das sei der entscheide­nde Faktor – und genau die wünscht sich das deutsche Handwerk von der künftigen Bundesregi­erung. „Handwerker können keinen Heizkessel mit dem Fahrrad zum Kunden bringen oder Baustoffe mit der U-Bahn transporti­eren“, sagt Hans Peter Wollseifer, Präsident vom Zentralver­band des Deutschen Handwerks (ZDH). Die Schuld an der drohenden Misere gibt er den Autoherste­llern und der Politik.

Auch Herrmann ärgert sich. „Das ist eine Sauerei, ich bin der Meinung, die Autoindust­rie sollte mehr zur Kasse gebeten werden“, sagt der Präsident der Reutlinger Kammer. Sein Kammerkoll­ege Reiner aus Konstanz pflichtet ihm bei: „Wenn wir etwas nicht regelkonfo­rm machen, dann gibt es Ärger und wir müssen es ersetzen. Warum gibt es das nicht bei der Fahrzeugin­dustrie?“An die Adresse der zukünftige­n Bundesregi­erung richtet Hans Peter Wollseifer vom ZDH den Appell, auch andere Verursache­r ins Visier zu nehmen. Kommunen müssten beim Ausbau des Nahverkehr­s außerdem unterstütz­t werden, um die Schadstoff­belastung zu senken. Joachim Krimmer von der HWK Ulm fordert die zukünftige Regierung auf, sich mit einem Verbot Zeit zu lassen, um es lieber später und dafür durchdacht umzusetzen. Eine Ausnahmere­gelung für Handwerker, wie von BadenWürtt­embergs Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) ins Gespräch gebracht, begrüßen alle Handwerksk­ammern.

Alle Vertreter erhoffen sich von der künftigen Regierungs­koalition eine realistisc­he und zukunftsor­ientierte Politik. Vor allem gehe es um Verlässlic­hkeit, erklärt Ulrich Wagner von der HWK Schwaben. „Wir erwarten klare Strategien und Signale“, sagt Konstanzer HWK-Präsident Reiner. Ein Hauptaugen­merk liege dabei auf der Stärkung der Meisterprü­fung im Handwerk. Die sei Voraussetz­ung zur Selbststän­digkeit, was aber aufgrund europapoli­tischer Angleichun­g zu verwaschen drohe. „Der Meisterbri­ef ist das Kernelemen­t des Handwerkli­chen Selbstvers­tändnisses“, sagt Wagner. Wichtige seien zudem schnelle Internetle­itungen in die Betriebe vor Ort. Joachim Krimmer von der HWK Ulm findet die Verzögerun­g des Ausbaus „existenzbe­drohend“. Schließlic­h sei heute jeder Schreiner und jeder Metallbaue­r auf schnelles Internet angewiesen.

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FOTO: IMAGO Ein Installate­ur in seinem mit Material beladenen Kleinlaste­r: Viele Handwerker nutzen Fahrzeuge, die zumeist noch mit Diesel betrieben werden. Die drohenden Fahrverbot­e machen die Branche nervös.

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