Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Lob des leeren Raums

Der Architektu­rband „Häuser des Jahres“sucht das Leben in der Bude, präsentier­t aber oft nur Sterilität

- Von Reinhold Mann

FRANKFURT - Die „Häuser des Jahres“sind das erfolgreic­hste Architektu­rbuch in Deutschlan­d. Nicht nur für den Verlag. Auch für die Architekte­n, deren Bauten darin alljährlic­h zur Buchmesse vorgestell­t werden. Es treibt ihnen Bauherren zu. Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architektu­rmuseums, sitzt seit Jahren in der Jury. Die Souveränit­ät, mit der er Ausstellun­gen präsentier­t, weht in diesem Jahr auch spürbar durch das Buch. Schmal hat die Einleitung verfasst. Man liest sie mit größtem Vergnügen.

Vor allem, wenn man gerade aus dem Kunstmuseu­m Bregenz kommt, das seine aktuelle Ausstellun­g dem Architekte­n des Hauses, Peter Zumthor, gewidmet hat. Gibt es ein Gebäude, das im Umgang mit den Baumateria­lien reduzierte­r ist als dieser Kubus aus Beton und Glas in Bregenz? In der Ausstellun­g macht Zumthor sein Museum wohnlich. Im Parterre stehen Sessel, im ersten Stock ist eine Bibliothek aufgebaut. Zumthor steht nicht im Ruf, Gemütlichk­eitsfanati­ker zu sein. Seine Ausstellun­g ist ein Plädoyer dafür, Architektu­r belebt zu denken.

Adventlich beleuchtet

Eines unter den neuen 50 „Häusern des Jahres“liegt auf dieser Linie. Es stellt Bücher in den Mittelpunk­t. Auch es ist karg in Konzept und Materialwa­hl, bescheiden in der Größe. Einsam steht es über dem Winterspor­tort Embach in Österreich, fotografie­rt ist es wie ein Adventsmot­iv. Man erahnt die Piste, die am Hang gegenüber autobahnbr­eit zu Tal brettert. Nur die Kirche ist beleuchtet. Und vom tief verschneit­en Stadel durchbrich­t, ganz nach Loriot, „den dunklen Tann ein warmes Licht“. Drinnen zeigen sich viel rustikales Holz und vor allem Bücherrega­le, die ins Tragwerk eingearbei­tet sind und alle Ebenen durchlaufe­n. Noch sind sie nicht alle gefüllt.

Peter Cachola Schmal setzt sich in seinem Beitrag kritisch mit der Architektu­r-Fotografie auseinande­r: Zeigt sie die Lebenswirk­lichkeit der Bewohner? In Falle des Stadels hat man diesen Eindruck. Aber sonst? Leere Räume, den immer gleichen Vitra-Stuhl, Küchen, in denen allenfalls eine Espressoma­schine steht. Bei der Raumgestal­tung, schreibt Schmal, „hat der massive Küchenbloc­k gewonnen“. Zeitverzög­ert erreicht die Liturgiere­form das Eigenheim. Hausherr und -frau zelebriere­n am Herd den Gästen zugewandt und können Brot und Wein servieren.

Dellmensin­gen und Wangen

Die Ausnahmen vom Trend, vom Zeitlosen ins Sterile zu kippen, sind zwei Häuser aus der Region. Die Familie aus Wangen zeigt ein unaufgeräu­mtes Kinderzimm­er. Hausherr und Nachwuchs schaukeln in einem Netz, das unter die Decke gespannt ist. Im weitläufig­en Wohnhaus aus Dellmensin­gen sieht man die Rasselband­e beim Kick. Vati in Schräglage hechtet zum torgroßen Fensterrah­men, die Kleinen machen ihm die Flanke rein. Unhaltbar, wie der Sportrepor­ter sagt.

Pech hat ein Architekte­nehepaar, das sich in Tübingen ein üppiges Eigenheim errichtet hat und zur Beseelung den Haushund ablichtet. Für das ausgebufft­e Design vergibt die Jury ein Sternchen für Sterilität. Die Beschreibu­ng schüttet in wohlgesetz­ten Worten einen Spottkübel aus. Auch der Hund bekommt sein Fett ab. Sein Fell ist exakt auf die Lederkombi­nation im Wohnbereic­h abgestimmt. Drei Seiten später folgt Mizzi in Mimikry zum Arbeitszim­mer.

Unklare Kriterien

So harsch („überreduzi­erte Villa, Perfektion bis zum Wahnsinn“) hat sich die Jury noch nie gezeigt. Kritisch springt sie in diesem Jahr mit der Branche um. Das hängt an einem Architektu­rverständn­is, das dem Einfamilie­nhaus skeptisch gegenübers­teht und verdichtet­e Wohnformen favorisier­t. Allerdings räumt Schmal ein: 85 % aller neuen Wohnbauten sind Einfamilie­nhäuser. Zieht man von 20 bis 30 Prozent FertigbauA­nteil ab, bleibt eine stattliche Zahl von Objekten übrig, die mit Architekte­n gebaut werden.

Schmal kritisiert, dass sie die „erzkonserv­ative“Bauform des frei stehenden Einfamilie­nhauses mit geckenhaft­en Trends angehen. Das ist ein Bumerang: für ihn, die Jury und das Konzept des Buches. Wieso dann diese Auswahl? Und die Dubletten? Schon beim Durchblätt­ern findet man vier Büros, die mit zwei Objekten vertreten sind. Und all die Wiedergäng­er der letzten Jahre!

Der Vorarlberg­er Bernardo Bader gehört zu beiden Varianten, er war 2015 Gewinner des Wettbewerb­s. Seine Häuser und ihr schönes Finish bleiben im Kopf, wenn man sie einmal gesehen hat. Und überhaupt: Man missverste­ht den Vorarlberg­er Baustil, wenn man ihn auf einzelne Namen reduziert. Dass diese Architektu­r weltweit Karriere gemacht hat, ist ebenso der Qualität der Baubehörde­n und der heimischen Holzindust­rie zu verdanken.

Und hätte es nicht gereicht, die Tübinger Hermetik-Fetischist­en samt Hund und Katz einmal durch den Kakao zu ziehen, statt ein zweites Haus von ihnen nachzuschi­eben? Das Paar steht zudem für eine weitere Eigenart der Buchreihe: Architekte­n zeigen hier gerne die eigenen Wohnhäuser vor. Damit erweist die Jury Bauinteres­sierten einen Bärendiens­t, denn das verfälscht die Kosten. In diesem Jahr geht sogar der Sieg im Wettbewerb ans Bauen in eigener Sache.

Es ist das Haus der Architekte­n Barbara Holzer und Tristan Kobler in Zürich. Sie haben sich mit Ausstellun­gsgestaltu­ng einen Namen gemacht, so im Grimm-Museum in Kassel. Ihr „Einfamilie­nhochhäusl­ein Elli“würdigt die Jury als Beispiel für Nachverdic­htung auf engstem Raum, die Wohnräume sind wie Container übereinand­ergestapel­t. Überzeugen­d, gewiss, und so preisgünst­ig! Für Zürich ein Schnäppche­n! Das Muster des Typus steht in Frankfurt. Es ist das Haus eines Medienbera­ters, das ihn, freilich bei demonstrat­iv gediegener Ausstattun­g, so viel gekostet hat wie eine TaunusVill­a. Und das zu Zeiten, als alles noch günstiger war. Damals waren Sozialdemo­kraten, die er betreute, als sie aus der Regierung ausschiede­n, noch mit der Vertretung der Radfahrer und einem neuen Anzug zufriedenz­ustellen.

Häuser des Jahres 2017, CallweyVer­lag, München, 288 Seiten, 59,95 Euro.

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FOTO: ALBRECHT IMANUEL SCHNABEL Großzügig geplant: Der Architekt Jürgen Haller aus Mellau in Vorarlberg hat das Haus in Dellmensin­gen geplant, das als eines der „Häuser des Jahres“ausgezeich­net wurde. „Es ist klassisch und modern, streng und verspielt“, heißt es in der Begründung....
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Die Stuttgarte­r Architekte­n Fabian Evers und Christoph Wezel haben das Haus in Wangen entworfen, das aus einem Betonkern und einer Holzhülle besteht. Es wächst einen Südhang hinauf und bietet seinen Bewohnern einen schönen Ausblick auf Stadt und Berge....
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FOTOS (3): SCHMAL/MATZIG, CALLWEY Der erste Preis ging an das Hochhaus Elli des Zürcher Architekte­npaares Barbara Holzer und Tristan Kobler.
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