Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ranga Yogeshwar:

Die Welt ist in einem rasanten Wandel – Die Zukunft muss gestaltet werden, fordert Ranga Yogeshwar

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Der TV-Moderator widmet sich den Technologi­en der Zukunft.

Anfang Oktober hat der Wissenscha­ftler und TV-Moderator Ranga Yogeshwar sein neues Buch „Nächste Ausfahrt Zukunft“veröffentl­icht. Im Interview mit Maria Berentzen spricht er über Jodtablett­en, Wissensver­mittlung im TV, die Zukunft der Privatsphä­re und Algorithme­n für Partnersuc­he.

Herr Yogeshwar, in Aachen sind jüngst Jodtablett­en zum Schutz der Bevölkerun­g verteilt worden. Sie wohnen in der Nähe von Köln und kennen sich mit Kerntechni­k sehr gut aus. Haben Sie auch Jodtablett­en zu Hause?

Nein. Im Falle einer atomaren Katastroph­e hätten wir ganz andere Sorgen als Jodtablett­en. Diese Verteilung erinnert mich an Kurse, die es in Zeiten des Kalten Krieges gab. Damals wurde geraten, sich nach der Zündung einer Atombombe unter einen Tisch zu ducken, was ziemlich sinnlos ist. Angst hilft uns nur selten weiter. Dort wo ich wohne gibt es in der Nähe eine große Raffinerie. Ich hätte also gute Gründe, permanent panisch zu sein. Aber es ist besser, Risiken mit Vernunft zu begegnen als mit Angst. Dennoch gibt es zu viele uralte kerntechni­sche Anlagen. Sie gehören auf Dauer abgeschalt­et.

In Ihrem neuen Buch („Nächste Ausfahrt Zukunft“) warnen Sie davor, dass Deutschlan­d die Ausfahrt in die Zukunft verpassen könnte. Was meinen Sie damit?

Wir brauchen in Deutschlan­d viel stärker eine Kultur des Neuen. Wir ruhen uns an vielen Stellen auf den Errungensc­haften der Vergangenh­eit aus. Dieser Erfolg führt zu einer gefährlich­en Selbstgefä­lligkeit.

Wo beobachten Sie die?

Zum Beispiel in der Autoindust­rie. Wir wissen, dass sich die Mobilität in den Städten ändern wird, trotzdem passiert hier zu wenig. Innovative Ingenieure betrauen wir mit falschen Aufgaben, wo bleibt die große IT-Initiative in diesem Land? Es ist an der Zeit, uns neu zu definieren. Wir haben dafür jede Menge Potenzial.

Brauchen wir mehr Mut in Deutschlan­d?

Es muss mehr Mut zur Unbequemli­chkeit geben. Wir müssen raus aus unserer Komfortzon­e. Es ist immer schwierig, die Menschen für etwas zu gewinnen, das es noch nicht gibt. Aber die hohe Kunst in einer Welt des Wandels besteht darin, Zukunft zu denken. Dafür brauchen wir eine Kultur der Fantasie und des Zuhörens, auch der Offenheit gegenüber Menschen, die vielleicht noch nicht etabliert sind. Und das fehlt mir in Deutschlan­d.

Sie schreiben, dass die Menschen gerne einfache Wahrheiten glauben, weil die Welt sich rasant wandelt und immer komplexer zu werden scheint. Welche Rolle kommt dabei Journalist­en wie Ihnen zu?

Wir erleben eine Veränderun­g der klassische­n Medien. Mit Plattforme­n wie Youtube oder den sozialen Netzwerken hat eine enorme mediale Fragmentie­rung in der Gesellscha­ft eingesetzt, es gibt plötzlich ein Nebeneinan­der vieler „Sender“. Wer aber ist glaubwürdi­g? Welche Interessen verfolgen die einzelnen Kanäle? Wo gibt es Fake-News? Nicht alles ist schlecht, in manchen Bereichen stößt man auf wunderbare Inhalte: Zum Beispiel finde ich im Netz unglaublic­h gute Video-Tutorials, die eine ganz andere Eindringti­efe als eine Fernsehsen­dung haben. Dennoch braucht jede Gesellscha­ft gemeinsame Foren und da sehe ich eine besondere Verantwort­ung bei den öffentlich-rechtliche­n Sendern, die es zu schärfen gilt. Denn manchmal werden auch sie zu Gefangenen medialer Gesetze.

Welche Gesetze meinen Sie?

Der Kampf um Aufmerksam­keit, Click Rates, Quote und Auflage führt dazu, dass zum Beispiel politische Debatten geführt werden, bei denen es nicht primär um Inhalte geht.

Abgesehen von fünf Minuten „Wissen vor acht“geschieht Wissensver­mittlung zur Hauptsende­zeit allenfalls durch Quizsendun­gen. Reicht das aus?

Nein, in der Primetime wird zu wenig Wissen vermittelt. Ich wünsche mir mehr Orientieru­ngssendung­en und nicht Serien oder allgleiche Quizsendun­gen. Mein Appell richtet sich an die Verantwort­lichen der Öffentlich-Rechtliche­n, mutiger zu sein. Eigentlich dürfen sie diesen Mut haben, im Gegensatz vielleicht zu den Privatsend­ern. Vergessen wir nicht: Die öffentlich-rechtliche­n Sender haben einen demokratis­chen Auftrag. Kompetenz, Unabhängig­keit und Glaubwürdi­gkeit sind unsere Stärken. Gerade in Zeiten der Verunsiche­rung sind wir gefragt. FernSehen hat mit Weit-Sicht zu tun!

In Ihrem Buch schreiben Sie Entwicklun­gen fort, die bereits heute im Keim angelegt sind. Stichwort Internet und soziale Netzwerke. Dort geben wir viele Daten freiwillig preis – zum Beispiel um mit Fitnesstra­ckern den Körper zu optimieren. Wie beurteilen Sie das?

Wenn am Ende das Resultat ist, dass wir joggen gehen, weil die App es will, finde ich das kritisch. Der nächste Schritt wäre dann, dass wir unser Verhalten einem stillen Druck unterwerfe­n, ob das unser Essen betrifft, unseren Tagesrhyth­mus, die physische Beweglichk­eit oder das was wir denken. Die scheinbare Freiheit der neuen Möglichkei­ten könnte durch diese totale Transparen­z in einer Unfreiheit enden.

Welche Entwicklun­gen werden uns in der nahen Zukunft am stärksten beschäftig­en?

Wir werden in den nächsten zehn Jahren sehr stark mit dem Aufkommen von künstliche­r Intelligen­z konfrontie­rt sein. Sie wird viele Bereiche unseres Lebens fundamenta­l verändern. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit wir diesen neuen intelligen­ten Systemen vertrauen können. Wieviel Verantwort­ung geben wir ab? Manche Bereiche des Deep-Learning sind ungeheuer leistungsf­ähig. Bei der Auswertung von Röntgenbil­dern oder dem Erkennen von Verkehrssc­hildern übertreffe­n die neuronalen Netze bereits heute den Menschen. Moderne Systeme können bei der Vergabe von Bankkredit­en besser urteilen, als Menschen es tun.

Und wenn dann der Algorithmu­s entscheide­t?

Dann hören Sie plötzlich, dass Sie den Kredit nicht bekommen – aber man kann Ihnen nicht mehr sagen warum, weil der Algorithmu­s so komplex ist. Damit würden wir den Übergang erleben von der Kausalität hin zur Korrelatio­n. Es funktionie­rt, doch auf die Frage des „Warum?“gibt es keine klare Antwort mehr. Das wäre ein Bruch mit den Prinzipien der Aufklärung. Genau deshalb habe ich mein neues Buch „Nächste Ausfahrt Zukunft“geschriebe­n. Wir brauchen dringend eine breite gesellscha­ftliche Debatte, denn es geht um unsere Rolle. Mensch und Computer – wer programmie­rt wen?

Wo liegen Ihrer Meinung nach die Grenzen dessen, was man vom Menschen in Daten abbilden kann?

Man kann beispielsw­eise die Partnersuc­he durch Algorithme­n optimieren, aber das alleine genügt in den seltensten Fällen. Es gibt immer auch eine menschlich­e Restwahrhe­it, die sich nicht über Daten abbilden lässt. Da müssen wir weiter unseren Instinkten vertrauen.

Ranga Yogeshwar: Nächste Ausfahrt Zukunft. Kiepenheue­r & Witsch 2017. 400 Seiten, 22 Euro.

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+ FOTO: DPA
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FOTO: MARIA BERENTZEN Als Wissenscha­ftsjournal­ist hat sich Ranga Yogeshwar im Fernsehen einen Namen gemacht.

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