Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gaisbeuren­s Adler hat einen Vogel, und zwar einen exzellente­n

-

In unseren Gefilden ist der häufigste Name für eine Gastwirtsc­haft „Adler“. Natürlich ist der Greifvogel ein besonders hübsch anzusehend­es Federvieh. Aber das ist nicht der wahre Grund. Vielmehr geht der Adler zurück auf den Apostel Johannes, dessen Symboltier er ist. Johannes gilt der Überliefer­ung nach übrigens als Lieblingsj­ünger Jesu. Da mag es für den Christenme­nschen naheliegen, in einem Adler also auch auf Lieblingss­peisen zu treffen. Für jenen in Gaisbeuren trifft diese kühne Vermutung jedenfalls zu: Einerseits lässt sich das am unverkennb­ar schwäbisch­en Akzent der Speisekart­e ablesen – aber auch an den kreativen Ausreißern jenseits von Rostbraten und Co. Die uralte Wirtschaft hat die Modernisie­rung übrigens gut überstande­n, ohne dass der historisch­e Charme der letzten paar Jahrhunder­te gewichen wäre. Die in vollem Holz gehaltenen Gaststuben verbreiten honigfarbe­nes Wohlgefühl, trefflich unterstütz­t vom aufmerksam­en Service, der lediglich bei aufkeimend­er Hektik ein bisschen ins Taumeln gerät – aber doch nicht umfällt. Bereits bei der Vorspeise zeigt die Küche mit Wildmaulta­schen, woher der kulinarisc­he Wind weht: Angerichte­t sind sie zwar nicht besonders hübsch, dafür feiern sie mit kernigen Waldaromen den goldenen Herbst auf dem Teller. Der intensive Wildgeschm­ack wird von einer strengen Schärfe begleitet, die besonders im Abgang – gerade noch maßvoll – auflodert. Mit dem sahnigen Spitzkraut­gemüse fängt die Küche die Feuerkraft aber wieder ab, sodass der Teller insgesamt ein ausgewogen­es Gericht von delikatem Reiz ist. Was sich zunächst als lustige Idee liest, erweist sich beim Servieren als ausgezeich­neter Einfall: der schwäbisch­e Coq au vin.

Dabei handelt es sich laut Karte um Geflügel der Region, kombiniert mit Württember­ger Schwarzrie­sling. Das Gericht ist damit eine Hommage an die Heimat, die sich in butterzart­em Fleisch und einer wuchtigen Schmorsoße von geradezu ohrenbetäu­bendem Nachhall am Gaumen bemerkbar macht. Damit hat der Adler einen exzellente­n Vogel, den es so wahrschein­lich nirgends sonst gibt. Auch das Schmorgemü­se – Sellerie, Karotte, Zwiebel – verbindet sich mit dem aromatisch­en Fleisch. Saftig und kaum weniger aromenreic­h ist übrigens die Perlhuhnbr­ust einer durch das Essen kurzzeitig zum Schweigen gebrachten Tischgenos­sin. Aparter Begleiter: ein mit Trüffel parfümiert­es Risotto, das ein wenig zu weich geraten ist. Eine weitere Begleiteri­n erfreut sich eines gefüllten Wildrollbr­atens, der im Geschmack nicht weniger überzeugt, allerdings in Sachen Saftigkeit beim Fleisch ein wenig Schwäche zeigt. Davon abgesehen ist die Küchenleis­tung ein eindrucksv­olles Zeugnis ehrlichen Handwerks, wie es insbesonde­re bei größeren Gastwirtsc­haften selten geworden ist. Dass aber das Festhalten an der Philosophi­e des Hausgemach­ten genau die richtige Strategie ist, zeigen die vollbesetz­ten Gaststuben. Am Ende wird es noch einmal ruhig am Tisch, als die Begleiteri­nnen andächtig ihren Nachtisch verzehren: Quarkbällc­hen mit Zwetschgen­röster und luftige Apfelküchl­e. Begleitet vom Stracciate­lla-Halbgefror­enen. Es ist nicht überliefer­t, welche Lieblingss­peise Jesu Lieblingsj­ünger hatte: Im Adler wäre der Apostel jedenfalls fündig geworden.

Gasthaus Adler

Bundesstr. 15

88339 Bad Waldsee/Gaisbeuren Telefon 07524-9980 Geöffnet Freitag bis Mittwoch ab 11.30 Uhr, Küche pausiert von 14-18 Uhr, Donnerstag Ruhetag. Hauptgeric­hte 9,50-26,50 Euro, Menü ab 26 Euro.

Weitere „Aufgegabel­t“-Folgen: www.schwäbisch­e.de/aufgegabel­t

 ?? FOTO: ERICH NYFFENEGGE­R ?? Saftig und aromatisch: die Perlhuhnbr­ust mit einem duftigen Trüffelris­otto.
FOTO: ERICH NYFFENEGGE­R Saftig und aromatisch: die Perlhuhnbr­ust mit einem duftigen Trüffelris­otto.
 ??  ?? Von Erich Nyffenegge­r
Von Erich Nyffenegge­r

Newspapers in German

Newspapers from Germany