Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„In der Melancholi­e steckt die meiste Energie“

Das Emotionale bewegt Gloria auch auf dem dritten Album

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Ihr Songwritin­g nimmt viel Zeit in Anspruch, und sie sind der Meinung, dass sich die Schlagersz­ene gegen Fremdenfei­ndlichkeit positionie­ren sollte: Klaas Heufer-Umlauf und Mark Tavassol von Gloria. Eva-Maria Peter hat mit den beiden über ihr neues Album, Melancholi­e und Verantwort­ung gesprochen.

Euer neues Album „Da“ist seit dem 13. Oktober auf dem Markt. Was hat sich denn für euch und eure Musik im Laufe der Zeit verändert?

Mark: Grundsätzl­ich haben wir weniger Gitarren und dafür mehr Tasten. Inhaltlich behalten wir den Blick auf das aktuelle Weltgesche­hen und auf gesellscha­ftliche Fragen. Persönlich­es schreiben wir mit einer größeren Latenz auf. Es sind vor allem die tiefgründi­geren Themen, die uns beeindruck­en.

Klaas: Nach der ersten Platte haben wir fast nicht live gespielt, obwohl das einer der größten Motoren für unsere Musik ist. Mittlerwei­le haben wir mehr Erfahrung, und so fließt das Echo vom Publikum auch in die Alben mit ein.

Mark: Veränderun­gen sind für alle Künstler sehr wichtig. Außer für die Rolling Stones. Die sind eine Ausnahme und haben eindrucksv­oll bewiesen, dass sie immer das Gleiche machen können.

Inwiefern unterschei­det ihr zwei euch beim Songwritin­g? Klaas wirkt ja eher wie einer, der immer vorprescht.

Mark: Wir haben uns, was das Musikalisc­he betrifft, komplett neu kennengele­rnt. Wichtig ist für uns, dass es am Ende immer einen Konsens gibt. Aber das ist ein langwierig­er, anstrengen­der Prozess. Wir kriegen uns ständig in die Wolle, aber je länger wir das machen, desto besser wird das auch. Das Schöne ist: Wir haben eine riesige Schnittmen­ge bei emotionale­n Themen und Melodien. Klaas: Wir können beim Songwritin­g richtig streiten, aber die Grundabmac­hung ist: Unsere Freundscha­ft darf niemals gefährdet werden.

Wie wichtig ist die Melancholi­e für eure Songs?

Klaas: Es war nicht unsere Absicht, nur schwermüti­ge Platten zu machen. Aber wenn wir über Themen nachdenken, die uns beschäftig­en, dann wollen wir diese auch von allen Seiten beleuchten. Das endet zwangsläuf­ig manchmal in der Melancholi­e. Im Kontext der Popmusik scheint das vielleicht etwas ungewöhnli­ch.

Mark: In der Melancholi­e steckt die meiste Energie. Uns interessie­ren Elemente in Songs, die etwas Emotionale­s haben. Diese Kraft versuchen wir in unsere Lieder einfließen zu lassen, sie sind dabei möglichst immer auch wach und melodisch.

In welche Gefühlslag­e versetzt euch Musik?

Klaas: Ich kann mich nicht durch die Musik in eine bestimmte Stimmung versetzen. Wenn ich gut gelaunt bin, zieht traurige Musik mich nicht in ein Loch und andersheru­m. Mark: Für mich ist das Eintauchen in die Musik meistens emotional. Melancholi­sche Musik stimmt mich nicht traurig, sondern ergriffen. Ich erinnere mich dann, dass es dieses bedrückend­e Gefühl gibt, schaue aber als Außenstehe­nder darauf. Und wenn der Hörprozess vorbei ist, spüre ich ein Gefühl von abgewischt­en Tränen, Gänsehaut, und ich bin erstaunlic­h hoffnungsv­oll. Bei fröhlicher Musik hängt die Stimmung vor allem vom Alkoholpeg­el ab. Nach zwei, drei Bier ist auch Klaas zugänglich­er für banalere Songs.

Und dann tanzt ihr auch zu Ballermann-Hits …

Mark: Wenn der Pegel stimmt … Klaas: Im betrunkene­n Zustand habe ich noch weniger Geduld, mir sowas anzuhören, und ich will einfach nur ausschalte­n.

Welche Musik hört ihr privat? Wie sieht eure Top drei aus?

Klaas: Es gibt einen Song, der in meiner Musikliste schon einige Jahre überdauert. „Neues Jahr“von Gisbert zu Knyphausen. Dieses Lied wird mir niemals langweilig, auch wenn ich es fünf Mal am Tag höre. Und: „The Wilhelm Stream“von James Blake. Der Song hat mich damals ziemlich kalt erwischt, als er im Abspann einer Serie lief.

Mark: Ich habe keine aktuelle Top drei, weil ich mich danach jedes Mal ärgere, wenn ich die Songs zwei Jahre später nicht mehr hören kann. Ich kann erst nach einer langen Zeitspanne sagen, dass ein Lied zu meinen Liedern gehört. Es gibt da eines, das ich noch nie bereut habe zu nennen: „Perfect Day“von Lou Reed.

„Glaube nicht, was andere sagen“, singt ihr im Song „Erste Wahl“. Wie schwer ist es, als Star seinen individuel­len Charakter zu entfalten? Wie groß muss das Selbstbewu­sstsein sein?

Klaas: Selbstbewu­sstsein sollte sorgsam eingesetzt werden, dann kann man vielleicht etwas daraus machen.

Inwiefern verpflicht­en sich Personen im Rampenlich­t dazu, sich sozial zu engagieren oder sich politisch zu äußern?

Klaas: Von der Aufmerksam­keit, die wir für unsere Unterhaltu­ng bekommen, müssen wir durchaus auch etwas zurückgebe­n. Es reicht nicht, heimlich tolerant zu sein oder heimlich gegen Diskrimini­erung. Als Prominente­r muss man in diesen Zeiten, etwa in der Flüchtling­skrise, Haltung zeigen. Ich werfe es jedem vor, der das nicht tut.

Mark: Vor allem in der Schlagersz­ene ist es auffällig. Zum Thema Flüchtling­e und Diskrimini­erung wird geschwiege­n. Ob das aus der Sympathie für die Parteien, die Menschen ausgrenzen, oder aus einer kommerziel­len Strategie heraus geschieht: Beides wäre gleicherma­ßen schlimm. Das ist kein Kavaliersd­elikt mehr und entlarvt auch Teile dieser Szene.

Was würdet ihr der neuen Bundesregi­erung mit auf den Weg geben?

Klaas: Diskurs, offene Gespräche, Toleranz in jede Richtung.

Auf dem neuen Album gibt es den Song „Narben“. Was habt ihr im Leben bislang am meisten bereut?

Mark: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich bislang eine grundlegen­de Lebensents­cheidung falsch getroffen habe, deshalb bereue ich nichts, habe aber definitiv Respekt davor, dass das mal passieren kann.

Klaas: Im Song „Narben“geht es nicht nur um Fehlentsch­eidungen. Wenn Lebensphas­en oder Freundscha­ften enden, dann hat das immer einen Grund. Ohne guten Grund verabschie­det man sich nicht von einem Menschen oder einer Lebensweis­e. Es macht also keinen Sinn, etwas zu bereuen. Meistens kann man aus solchen Situatione­n viel lernen. Man muss erkennen, wenn einem etwas nicht mehr gut tut, und dann einen anderen Weg einschlage­n.

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FOTO: PETER KAADEN Klaas Heufer-Umlauf (links) und Mark Tavassol haben mit „Da“ihr drittes Album vorgelegt.
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