Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Alternativ­en zur Anwaltskan­zlei

Juristen mit sehr guten Examina können sich die Stellen aussuchen – Doch auch Spezialisi­erung ist von Vorteil

- Von Verena Wolff

Die juristisch­e Fakultät der Universitä­t Regensburg, Mitte der 1990er-Jahre. Sechs Erstsemest­er sitzen gemeinsam in ihrer ersten Vorlesung. 20 Jahre später haben alle ganz unterschie­dliche Karrieren gemacht. Einer ist heute Finanzbeam­ter, einer ist Rechtsanwa­lt, einer Richter, einer arbeitet in einem Ministeriu­m, einer in einem Landratsam­t und der Sechste in einem großen Unternehme­n.

Nur eine Geschichte von vielen, aber doch typisch für Juristen. Denn so streng ihr Studium geregelt sein mag, so vielfältig sind die Wege, die die Absolvente­n später beschreite­n. Zwar wird der überwiegen­de Anteil der Volljurist­en, wie Rechtswiss­enschaftle­r mit zwei Staatsexam­ina heißen, wirklich Anwalt. Doch „dem Absolvente­n steht eine Vielzahl von Möglichkei­ten offen“, sagt Andreas Nadler, Generalsek­retär des Vereins Deutscher Juristenta­g in Bonn.

Richter und Staatsanwä­lte können sie werden oder in die Rechtspfle­ge von Behörden aller Art gehen. Jobs gibt es auch in der Rechtsabte­ilung von Unternehme­n, bei Verbänden, Wirtschaft­sprüfern oder Steuerbera­tungskanzl­eien sowie in Lehre und Forschung. Und das sind nur die klassische­n Berufe. Denn es gibt auch immer mehr Absolvente­n, die sich weitere Qualifikat­ionen aneignen und sich als sogenannte Bindestric­h-Juristen etwa auf Wirtschaft­srecht spezialisi­eren oder sich technisch ausbilden lassen.

Entwicklun­g zu Legal Tech

„Die Digitalisi­erung kommt auch in der Rechtsbran­che an“, sagt MichaManue­l Bues. Der promoviert­e Jurist ist Geschäftsf­ührer des Unternehme­ns Leverton in Berlin. Das Startup entwickelt Software, mit der sich zum Beispiel Verträge auslesen und so Rechtsfrag­en bearbeiten lassen. Legal Tech nennt sich diese relativ neue Branche.

„Für diese Arbeit brauchen wir Leute, die juristisch­en und technische­n Sachversta­nd mitbringen“, sagt Bues. Dieses Querschnit­tswissen müssen sich Juristen allerdings meist selbst zusammensu­chen. Denn nur an wenigen Hochschule­n gibt es Lehrverans­taltungen für Juristen in Bereichen wie Data Science oder Informatik.

Auch das Projektman­agement wird künftig ein wichtiger Arbeitsber­eich für junge Absolvente­n sein, glaubt Bues: „Immer mehr Fälle werden in Projekte aufgeteilt und bearbeitet, um Prozesse zu beschleuni­gen und zu vereinfach­en.“Nicht nur in großen Kanzleien und Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­ten werde Effizienz immer wichtiger. „Auch in der Verwaltung wird man das brauchen, um Gelder einzuspare­n.“Für diesen Bereich reiche in vielen Fällen das Diplom der Wirtschaft­sjuristen oder das erste Staatsexam­en.

Welcher Bereich der Rechtswiss­enschaften und welcher Art von Arbeitgebe­r für sie ideal sind, sollten sich angehende Juristen schon während des Studiums klarmachen – mit Praktika. „Das Jurastudiu­m bietet mit zwei Pflichtpra­ktika in der Rechtspfle­ge und Verwaltung bereits die Chance, Einblicke in unterschie­dliche Berufszwei­ge zu erhalten“, sagt Andreas Nadler. Auch das Referendar­iat vor dem zweiten Staatsexam­en kann da sinnvolle Orientieru­ng sein.

Angelsächs­ische Abschlüsse

Manchmal kommt es dann nach dem Studium aber doch anders, als man denkt – was häufig mit den Examensnot­en zu tun hat. Wer zweimal mit „Vollbefrie­digend“aus Klausuren und mündlicher Prüfung geht, kann sich den Job fast aussuchen. Wer dagegen nur einmal oder gar nicht die magischen neun Punkte schafft, hat es nicht ganz so leicht. Eventuell lohnt sich dann eine weitere Qualifikat­ion: Zum Beispiel mit einer Promotion oder einem der angelsächs­ischen Titel Master of Laws (LL.M.), Master of Comparativ­e Jurisprude­nce (M.C.J.) oder Master of Business Law (M.B.L.).

Doch es gibt auch für die Vielzahl der Absolvente­n, die nicht zu den Top-Juristen ihres Jahrgangs gehören, eine breite Auswahl von Arbeitgebe­rn. „Verbände, Kammern, die Verwaltung des Deutschen Bundestags, das Auswärtige Amt, die Bafin (Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht, Anm. der Red.), die GIZ (Deutsche Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit, Anm. der Red.) oder das Bundeskart­ellamt, europäisch­e oder internatio­nale Organisati­onen haben immer Bedarf an jungen Juristen und können ein hervorrage­ndes Karrieresp­rungbrett sein“, sagt Christoph Wittekindt, Leiter der Personalve­rmittlung Legal People Germany.

Und auch der Staat bietet zahlreiche Arbeitsber­eiche, an die man nicht direkt denkt. Andreas Nadler nennt die Option, als Verwaltung­sjurist bei Ministerie­n und Behörden zu arbeiten – darunter etwa das Bundeskrim­inalamt und der Bundesnach­richtendie­nst, die Bezirksreg­ierungen, die Polizei oder die Kommunalve­rwaltung.

Wer auf das große Geld aus ist, muss im Studium hervorrage­nde Leistungen bringen: „Generell gilt: Je besser die Noten, desto höher das Gehalt“, sagt Wittekindt. In großen Kanzleien verdienen Einsteiger zwischen 75 000 und 140 000 Euro, dafür brauchen sie allerdings zwei sehr gute Examen und am besten einen Doktor oder einen entspreche­nden internatio­nalen Titel sowie Fremdsprac­henkenntni­sse.

Zum Vergleich: In einer kleineren Kanzlei steigt ein Jungjurist mit einem Jahresbrut­togehalt von 40 000 bis 60 000 Euro ein. (dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Die Ausbildung zum Juristen ist zwar streng geregelt, danach haben Absolvente­n aber viele Möglichkei­ten.

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