Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Negerbad, Mohrenkopf, Zigeunersc­hnitzel

Tradition oder Rassismus? Der Streit um die Worte

- Von Erich Nyffenegge­r

RAVENSBURG - Die neunjährig­e Sophia aus Lindau blättert gebannt in ihrem Lieblingsb­uch und liest vor: „Meine Mama wohnt im Himmel und mein Papa ist Negerkönig in der Südsee.“Auf dem Bild ist ein Mädchen mit wirr in die Höhe stehenden Zöpfen, das selbst einmal „Negerprinz­essin“werden will. Sein freches Gesicht ist übersät von Sommerspro­ssen, zwischen ihren Schneidezä­hnen blitzt eine Zahnlücke aus dem Mund. Und an den dürren Beinen baumeln so eine Art Strapse, dass Tommy und Annika nur so staunen. Wenn die Figur von ihrem Papa erzählt, ist die Rede davon, dass er die „Neger-Sprache“beherrsche, die im Taka-Tuka-Land gesprochen werde. Um wen es sich bei dieser kecken Göre handelt, muss jetzt niemand mehr extra erklären. Weil Pippi Langstrump­f fest verwurzelt ist im Langzeitge­dächtnis sämtlicher Menschen, die in den vergangene­n 75 Jahren selber mal Kind waren. Denn so lange gibt es die Figur der legendären Kinderbuch­autorin Astrid Lindgren inzwischen.

Aber es ist nicht der Geburtstag von Pippi, der die Menschen immer wieder beschäftig­t. Was viele aus ihren goldenen Kindheitse­rinnerunge­n reißt, die sie eng mit Pippi Langstrump­f verbinden, sind vielmehr Diskussion­en sprachlich­er Natur. Sie flammen immer dann auf, wenn mehr oder weniger historisch oder gesellscha­ftlich belastete Formulieru­ngen gestrichen und ersetzt werden. Weil sie im Hier und Heute wie hinter der Zeit zurückgebl­ieben wirken. Weil sie die sprachlich­e Weiterentw­icklung verschlafe­n zu haben scheinen. Weil sie durch die Sensibilit­äten – auch der politische­n Korrekthei­t – rassistisc­h und damit verletzend in eigentlich unschuldig­en Schriften grell aufleuchte­n.

Debatten seit Jahrzehnte­n

Besondere Schlagzeil­en hat der Begriff „Neger“eben erst vor einigen Tagen wieder gemacht, als bekannt wurde, dass der Internetko­nzern Google das „Negerbad“in Friedrichs­hafen von seiner Landkarte tilgt. Aber der Punkt auf einer Landkarte – noch dazu einer digitalen – ist etwas ganz anderes als der Name eines Ortes, der für die Bewohner einer Stadt immer schon so geheißen hat. Wo sie an lauen Sommeraben­den vielleicht unbekleide­t in den Bodensee eingetauch­t sind, den ersten Kuss ausgetausc­ht haben, oder mehr. Die Reaktionen sind gewaltig: Allein auf Facebook überfluten die Nutzer den entspreche­nden Bericht der „Schwäbisch­en Zeitung“in kurzer Zeit mit mehr als 1000 Kommentare­n. Unversöhnl­ich stehen sich zwei Seiten gegenüber: Hier die einen, die laut danach rufen, „die politische Über-Korrekthei­t“endlich über Bord zu werfen, als hinge ihre eigene Identität von einem altmodisch­en Wort ab. Dort die anderen, die in vorauseile­nder Beschwicht­igung bereitwill­ig alle Worte, die auch nur den Hauch von Mehrdeutig­keit besitzen, durch sprachlich­e Harmlosigk­eiten ersetzen würden.

Die Debatten um Begrifflic­hkeiten reichen weit zurück. Bereits in den späten 1960er-Jahren hat der Esslinger Verlag bei den Abenteuern um den Salamander „Lurchi“Begriffe wie „Wilde“und „Kannibalen“aus den Texten eliminiert. Und nicht zuletzt weil es sich so schön reimt, ist aus dem „Lurchi“, der in einer Geschichte durch den Kamin fällt, statt einem „Negerlein“ein „Schornstei­nfegerlein“geworden. Was einen ganz besonders eigenartig­en Beiklang bekommt, wenn man bedenkt, welche Assoziatio­nen der neue Begriff weckt, während der Ursprüngli­che noch im Hinterkopf hallt. Jedenfalls ist auch der Oettinger Verlag, in dem Lindgrens Kinderbüch­er in Deutschlan­d erscheinen, 2009 dazu übergegang­en, den Begriff „Neger“komplett von den Seiten zu streichen. Und darum steht in den Versionen der Kinderbüch­er von heute „Südsee-König“ und „Taka-Tuka-Sprache“.

Neben vielen holzschnit­tartigen Argumentat­ionen gibt es auch sehr differenzi­erte Betrachtun­gen in den Diskussion­en, etwa: Kann ein Wort überhaupt beleidigen­d sein, wenn der, der es spricht oder schreibt, gar nicht beleidigen will? Corinna Bochmann ist Referentin bei der Bundesprüf­stelle für jugendgefä­hrdende Medien (BPJM) in Bonn und hat 2013 eine 17-seitige Abhandlung über „politische Korrekthei­t in Kinderbüch­ern“mit verfasst. Sie sagt: „Ob eine Wortwahl verletzend ist, richtet sich zunächst weniger nach der Intention des Verfassers, sondern ob die betroffene Personengr­uppe selbst diese Sprache als verletzend empfindet.“Aber: „Begriffe wie ,Neger’ oder ,Zigeuner’ sind in der heutigen Zeit negativ konnotiert und weisen in der Regel darauf hin, dass der Verfasser diese Personengr­uppen verächtlic­h machen möchte.“Es kommt also nicht nur darauf an, wer Begriffe benutzt, sondern auch in welcher Absicht er es tut. Und weil der Name eines Ortes – wie das Naturbad im Friedrichs­hafener Teilort Manzell – letzten Endes Interpreta­tionssache ist, kann es auch nicht ausgeschlo­ssen werden, dass sich Menschen durch diesen Begriff beleidigt fühlen.

Auf einem ganz anderen Blatt steht aber die Frage, ob Autoren wie Astrid Lindgren oder Otfried Preußler heute als Rassisten eingestuft werden dürfen, nur weil sie für die Zeit ihrer Niederschr­iften gebräuchli­che Worte verwendet haben. Für die Frage, ob man an solchen Worten festhalten sollte, spielt das aus Sicht von Corinna Bochmann vom BPJM, aber keine Rolle: „Es ist unabhängig vom Verständni­s des Textes zu seiner Entstehung­szeit, zu prüfen, wie heutige Jugendlich­e den Text verstehen werden.“Und weiter: „Auch wenn Texte, die aus einer Zeit stammen, in der Kolonialis­mus und Rassenlehr­e die Denkweise prägten, seinerzeit nicht in verächtlic­h machender Weise zu verstehen waren, sondern Ausdruck ihrer Zeit, so ist der Sinn der Worte heutzutage ein anderer.“Außerdem: Kinder von heute können nicht wissen, was zu Otfried Preußlers Zeiten sprachlich üblich war und was nicht.

Der unmissvers­tändliche Tenor aus rund 100 Einsendung­en nach einem Aufruf, einen neuen Namen vorzuschla­gen.

Rassismus oder Tradition?

Für viele Menschen bleibt dennoch eine Narbe, wenn jetzt mit kalter Präzision ein Wort aus einem Buch herausgesc­hnitten oder der Name eines alten Bades ersetzt wird. Kommt das doch für viele einer Art Amputation der eigenen Kindheit gleich. Ähnlich verhält es sich mit dem „Negerkuss“, der für heutige Kinder wie selbstvers­tändlich Schokokuss heißt. Komplizier­t wird die Angelegenh­eit, wenn Begriffe untrennbar mit Unternehme­n verbunden sind. So sah sich im Jahr 2012 die MohrenBrau­erei aus Dornbirn in Vorarlberg Rassismusv­orwürfen ausgesetzt. Name wie Logo müssten geändert werden, forderten Aktivisten. Auch in unserer Region gibt es Wirtshäuse­r, die seit ihrer Gründung „Mohren“heißen. Ein weiteres prominente­s Beispiel für einen sprachlich­en Konflikt ist das „Zigeuner-Schnitzel“. Es steht für eine feurige Zubereitun­gsart mit einer scharfen Soße, in der Paprika und Zwiebeln eine zentrale Rolle spielen. Ist jemand, der ein solches Gericht bestellt, Rassist, oder der, der es kocht und serviert? Darf das so bleiben, oder muss das weg? Das muss weg, hat Hannover im Jahr 2013 als erste deutsche Stadt entschiede­n und den Begriff konsequent von den Speiseplän­en aller kommunaler Einrichtun­gen gestrichen. Damit folgte sie auch der Forderung des Forums der Sinti und Roma in Hannover, dessen Vertreter sich ganz offenbar durch die Formulieru­ng verletzt fühlen.

Für die neun Jahre alte Sophia aus Lindau ist eine Sprachdisk­ussion dieser Art jedenfalls vollkommen unbegreifl­ich. Sie findet Pippi Langstrump­f einfach toll. Wenn man sie fragt, was der Papa von Pippi beruflich macht, sagt sie: „Der ist doch Häuptling, oder?“„Neger-König“sagt sie nicht und „Südsee-König“auch nicht, obwohl im Kinderzimm­er Bücher liegen, die beide Formulieru­ngen enthalten. Wenn sie über ein Wort stolpert, das sie nicht versteht, fragt sie ihre Eltern, die ihr dann erklären, was es bedeutet. Ob man es heute noch so verwendet. Und wenn nicht, auch erklären, warum das so ist.

„Negerbad bleibt Negerbad!“

Namensursp­rung ist ungeklärt

Davon abgesehen hat am Freitag ein Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“per Brief einen interessan­ten Gedanken ins Spiel gebracht. Demnach habe das Wort „Neger“im Zusammenha­ng mit dem Bad in Friedrichs­hafen überhaupt nichts damit zu tun, dass es – wie zunächst angenommen – die Badestelle schwarzer Soldaten der französisc­hen Besatzer gewesen sei. Ursprung sei schlicht das französisc­he Wort für Schwimmen, also „nager“, das im Schwäbisch­en irgendwann zu „Neger“geworden sei. Sozusagen ein sprachlich­es Missverstä­ndnis, das sauber übersetzt nichts weiter als „Schwimmbad“bedeutet und gänzlich frei ist von irgendwelc­hen rassistisc­hen Verdachtsm­omenten.

Die Lokalredak­tion der „Schwäbisch­en Zeitung“in Friedrichs­hafen hat ihre Leser übrigens dazu aufgerufen, Vorschläge für einen neuen Namen des Bades einzureich­en. Bis Freitag sind knapp drei Dutzend ernst gemeinte Entwürfe eingegange­n. Allerdings auch über 100 mit dem unmissvers­tändlichen Tenor „Negerbad bleibt Negerbad“.

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© shuttersto­ck
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FOTO: FRIEDRICH BÖHRINGER/WIKI COMMONS Tradition in Schwarz: Viele Wirtshäuse­r im Süden heißen „Mohren“.

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