Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Vom Umgang mit brennbaren Wärmedämmu­ngen

Nach dem Hochhausbr­and in London ist das auch an Einfamilie­nhäusern verwendete Polystyrol in die Kritik geraten – Wichtige Fragen

-

BERLIN (dpa) - Es ist einige Zeit vergangen, die erste Aufregung hat sich gelegt. Und doch bleibt die Unsicherhe­it: Nach einem verheerend­en Hochhausbr­and mit Dutzenden Toten in London im vergangene­n Sommer steht die Frage im Raum: Wie gefährlich sind Fassadenve­rkleidunge­n? Denn das Feuer – ausgelöst durch einen defekten Kühlschran­k – konnte sich über die entflammba­re Fassadenve­rkleidung schnell ausbreiten.

Gerade Wärmedämmu­ngen mit Polystyrol sind nach diesem Brand in die Kritik geraten. In der Folge des Brandes in London wurde zum Beispiel in Wuppertal ein Hochhaus zwangsgerä­umt, weil Mängel beim Brandschut­z entdeckt wurden. Was ist dran? Trifft das auch mein Einfamilie­n-, Doppel- oder Reihenhaus? Und was kann ich tun? Wichtige Fragen und Antworten für Besitzer und künftige Bauherren:

Was ist Polystyrol?

Polystyrol ist ein Kunststoff aus der giftigen Flüssigkei­t Styrol. In einer chemischen Reaktion schließen sich Einzelmole­küle zu langen Ketten zusammen – es entsteht festes Polystyrol. Wird dieses durch Treibmitte­l und heißes Wasser oder Dampf aufgeschäu­mt, spricht man von Expandiert­em Polystyrol (EPS) – auch unter dem Markenname­n Styropor bekannt. Laut Industriev­erband Hartschaum hat dieses unter den Dämmstoffe­n einen Marktantei­l von 32 Prozent hinter Mineralwol­le mit 54 Prozent. In Wärmedämm-Verbundsys­temen für die Außenwand werde in mehr als 80 Prozent der Fälle Styropor eingesetzt.

Warum wird Polystyrol so gerne als Dämmung gewählt?

Es sei leicht zu verarbeite­n, dauerbestä­ndig und habe ein günstiges PreisLeist­ungsverhäl­tnis, erklärt der Industriev­erband Hartschaum auf seiner Internetse­ite. Ein oft kritisiert­er Nachteil ist die Brennbarke­it. Das gilt auch für mit Schutzmitt­eln versetzten Hartschaum, wie er in Deutschlan­d verwendet wird. Die Branche bezeichnet daher Styropor als „schwer entflammba­r“. Trotzdem: Laut Bundesbaum­inisterium ist Polystyrol in Deutschlan­d im Hausbau für Gebäude bis maximal 22 Meter Höhe erlaubt.

Wie gefährlich ist dann eine solche Wärmedämmu­ng?

„Wo mit brennbaren Materialie­n gebaut wird, ist per se die Gefahr höher. Aber das heißt nicht, dass das Gebäude dann brandgefäh­rlich ist“, stellt Peter Bachmeier klar. Er ist Vorsitzend­er des Arbeitskre­ises Vorbeugend­er Brandschut­z des Deutschen Feuerwehrv­erbandes und leitender Branddirek­tor Münchens. „Die Frage ist, was ist vertretbar? Und für mich ist das der Fall, wenn das Material nach Zulassung verbaut wurde.“So schreibt auch der Industriev­erband Hartschaum: Fachgerech­t verarbeite­te und den Zulassunge­n entspreche­nde Wärmedämm-Verbundsys­teme mit Expandiert­em Polystyrol seien brandschut­ztechnisch sicher. Hans Weinreuter von der Verbrauche­rzentrale Rheinland-Pfalz hält das Brandrisik­o von gedämmten Gebäuden für „kalkulierb­ar gering“, wenn die Brandschut­zvorgaben der Landesbauo­rdnungen eingehalte­n werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass der Putz richtig auf die Dämmung gelegt wurde. Feuerwehrm­ann Bachmeier wie auch der Industriev­erband raten hier zu einer Fachfirma. Außerdem sollte der Putz immer wieder kontrollie­rt und gegebenenf­alls repariert werden.

Warum verbietet man brennbare Baustoffe nicht einfach?

Zunächst sollte man wissen: Für Gebäude, deren bewohnte Fläche bis zu einer Höhe von sieben Metern reicht, sind normal entflammba­re Baustoffe zugelassen. Das sind laut Thomas Herbert, Brandschut­zexperte der Bayerische­n Ingenieure­kammer-Bau, die meisten Einfamilie­nhäuser. Bis zu einer Höhe von 22 Metern sind dann noch „schwer entflammba­re“Baustoffe zugelassen, wozu mit Schutzmitt­eln bearbeitet­es Polystyrol gehört.

„Man will diese Baustoffe auch nicht verbieten, denn etwa das Holzhaus gehört in Deutschlan­d zu den traditione­llen und identitäts­stiftenden Bauweisen“, sagt Herbert. Die Abstufung aber basiere auf der Risikobetr­achtung entspreche­nd der Gebäudehöh­e, ergänzt der Sachverstä­ndige. Es gehe um die Fragen: Wie schnell komme ich aus dem Gebäude heraus, wenn es brennt, und welche Möglichkei­ten hat die Feuerwehr, einen Brand zu löschen?

Holz wird auch in vielen Häusern verbaut. Warum ist Polystyrol so viel mehr in der Kritik?

Die Kritiker warnen nicht erst seit dem Hochhausbr­and in London vor den Brandgefah­ren des Materials. Denn fängt das Material Feuer, kann die Dämmschich­t zu einer undurchdri­nglichen Barriere aus flüssigem heißem Material werden, die die Feuerwehr behindert. Branddirek­tor Bachmeier vergleicht sie mit einem Erdölfeld.

Aber es gibt auch Gegenstimm­en. Feuerwehrm­ann Bachmeier selbst ergänzt, dass Polystyrol nur in Brand gerät, wenn es auch direkt mit Flammen in Verbindung kommt. Unter dichtem, mängelfrei­em Putz ist es eigentlich sicher. Hier schmilzt das weiße Material bei hoher Wärmeeinwi­rkung von Temperatur­en ab 180 Grad lediglich zu einem schwarzen Brei. Ein Problem könne es allerdings wiederum werden, wenn durch das Wegschmelz­en ein Hohlraum zwischen der Hausmauer und dem Putz entsteht, dieser den Putz destabilis­iert und zusammenbr­echen lässt – und der Dämmstoff dann den Flammen ausgesetzt ist.

Welche Möglichkei­ten habe ich bei neuen Dämmungen?

Wer saniert oder neu baut, kann zusätzlich­en Feuerschut­z einbauen. Branddirek­tor und Sachverstä­ndiger Bachmeier rät zum Beispiel zu Brandriege­ln aus Mineralwol­le, die etwa 50 Zentimeter über dem Boden, über dem ersten Obergescho­ss und am Übergang zum Dach in die Dämmung eingefügt werden. Sie stabilisie­ren die Putzschich­t, wenn ein Hohlraum entsteht, und halten die Flammen vom Übergriff auf den darüberode­r darunterli­egenden Bereich ab. Das kann einen Fassadenbr­and lokal begrenzen. Die Brandriege­l sind bei Mehrfamili­enhäusern Pflicht, bei kleineren Häusern freiwillig.

Es gibt auch hier Gegenstimm­en: Ludger Weidemülle­r vom Bauherren-Schutzbund sieht keine Notwendigk­eit von Brandriege­ln – auch aus Kostengrün­den. Die Brandriege­l aus dem etwas teureren Material Mineralwol­le sind in der Regel schon zwischen 25 und 50 Zentimeter hoch. Der Bausachver­ständige findet daher: Wer nun wirklich unsicher ist, sollte sich überlegen, ob es sich nicht lohne, sein Haus gleich komplett mit nicht brennbarer Mineralwol­le zu bedecken. Er rät aber bei Reihenhäus­ern zu einer nichtbrenn­baren vertikalen Wärmedämmu­ng zwischen den einzelnen Einheiten. Diese könne das Übergreife­n eines Brandes im Nachbarhau­s verhindern oder erheblich mindern. „Diese sogenannte­n Brandschot­tungen tragen zum Wertschutz des Gebäudes bei.“In vielen Bundesländ­ern sei eine Brandwand zwischen einzelnen Reihenhäus­ern auch Pflicht, ergänzt Weidemülle­r. Reimund Stewen, Vizepräsid­ent der Verbands Privater Bauherren, empfiehlt zudem dickeren Putz von mindestens sechs Millimeter­n Stärke statt der üblichen ein bis zwei Millimeter.

Wie schütze ich mein schon gedämmtes Haus?

Wer bereits eine Dämmung hat, sollte regelmäßig den Putz kontrollie­ren und Schäden direkt reparieren lassen. Dazu rät die Bauministe­rkonferenz in ihrem Merkblatt „Empfehlung­en zur Sicherstel­lung der Schutzwirk­ung von Wärmedämmv­erbundsyst­emen (WDVS) aus Polystyrol“von 2015. Auch Stefanie Mohmeyer, Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung im Industriev­erband Hartschaum, bezieht sich auf diese Empfehlung­en. Und Hans-Joachim Riechers vom Verband für Dämmsystem­e, Putz und Mörtel rät: „Immer schauen, dass die Fassade intakt ist.“Wird eine ältere Fassadendä­mmung mit einer zusätzlich­en Dämmung versehen oder ganzflächi­g überarbeit­et, empfehle es sich außerdem, Brandriege­l einzusetze­n. Der Sachverstä­ndige der Bayerische­n Ingenieure­kammer-Bau Thomas Herbert ergänzt: „Laut Brandstati­stiken leben wir relativ sicher. Wo es vor 20 Jahren in Deutschlan­d noch 800 Brandtote im Jahr gab, sind es heute 400.“Sein Rat: „Bevor man nun auf seine Fassadendä­mmstoffe schaut und Angst bis hin zur Hysterie entwickelt, sollte man eher auf durchdacht­e Fluchtwege achten.“Denn das seien am ehesten die Fallstrick­e bei einem Hausbrand. Daher empfiehlt er: Die Treppen müssen bei einem Feuer frei und schnell passierbar sein, Dekoration­en, Spielzeug und Kleinmöbel dürfen die Wege nicht behindern. Und am besten steckt der Schlüssel der nachts versperrte­n Haustür im Schloss.

 ?? FOTO: KAI REMMERS/DPA ?? Viele Häuser werden mit Platten aus Polystyrol gedämmt. Bei Wärmedämm-Verbundsys­temen für die Fassade hat es einen Marktantei­l von mehr als 80 Prozent.
FOTO: KAI REMMERS/DPA Viele Häuser werden mit Platten aus Polystyrol gedämmt. Bei Wärmedämm-Verbundsys­temen für die Fassade hat es einen Marktantei­l von mehr als 80 Prozent.

Newspapers in German

Newspapers from Germany