Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Ich habe ein komplett deutsches Leben“

Sibel Kekilli über ihre TV-Serie zum brisanten Thema Salafismus, ihre Probleme als türkischst­ämmige Schauspiel­erin und ihren Erfolg mit „Game of Thrones“

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Sie hat es aus einfachen Verhältnis­sen ganz nach oben geschafft: Sibel Kekilli, die türkischst­ämmige Tochter eines Arbeiters und einer Putzfrau, ist mittlerwei­le eine internatio­nal gefragte Schauspiel­erin. Ihr neues Projekt greift ein brisantes Thema auf: die Radikalisi­erung junger Muslime in Deutschlan­d. In der vierteilig­en Dramaserie „Bruder – Schwarze Macht“(ab 29.10., 21.45 Uhr, ZDFneo) spielt die 37-Jährige die deutschtür­kische Polizistin Sibel, deren Bruder in radikale Kreise gerät und in Hamburg ein islamistis­ches Attentat verüben will. Cornelia Wystrichow­ski hat sich mit der Schauspiel­erin über Karriere, Kindheit und Kultur unterhalte­n.

Frau Kekilli, in Ihrer neuen Serie spielen Sie die Schwester eines jungen Deutschtür­ken, der zum gewaltbere­iten Islamisten wird. Es ist Ihr erstes Projekt seit Ihrem Abschied vom Kieler „Tatort“…

Ja, es ist für mich das erste Projekt nach dem „Tatort“, und als ich die Drehbücher gelesen habe, hat mich das sehr berührt. Es ist ein mutiges Projekt. Es geht darum, wie ein junger Mann aus gesellscha­ftlicher Ablehnung, aus Frust und Trotz einen Hass entwickelt und in eine Radikalisi­erung reinrutsch­t.

Was macht den Salafismus, eine ultrakonse­rvative Strömung des Islam, für junge Migranten in Deutschlan­d so attraktiv?

Ich nehme an, anfällig sind vor allem Menschen mit wenig Selbstbewu­sstsein, die selber Rassismus erleben. Die nicht integriert werden und sich irgendwann als Reaktion darauf gar nicht mehr integriere­n wollen. Ich lehne das natürlich entschiede­n ab – aber ich glaube zu verstehen, wie die Mechanisme­n sind: Wenn diese Leute etwa nicht in eine deutsche Diskothek dürfen, gehen sie eben in einen türkischen Club, wo sie sich nicht gedemütigt fühlen, wo sie sich nicht dafür entschuldi­gen müssen, wie sie aussehen.

Neulich gab es eine Statistik, der zufolge man mit arabisch klingenden Namen schwerer eine Wohnung kriegt. Solche Dinge geben den Leuten das Gefühl, dass sie hier nicht gewollt sind. Man braucht ein starkes Selbstbewu­sstsein, um damit klarzukomm­en.

Wie kann eine gelungene Integratio­n aussehen?

Ich glaube, dass wir alle viel zu lange geschlafen haben. Vor allem Deutschtür­ken wurden immer als Gastarbeit­er oder Kinder der Gastarbeit­er gesehen, sie wurden nicht integriert, aber auch der Wille sich zu integriere­n hat gefehlt. Vieles wurde durchgewin­kt. Wenn zum Beispiel ein Mädchen in der Schule nicht am Schwimmunt­erricht teilnehmen wollte, dann hieß es: Ja, das gehört halt zum Kulturkrei­s. So etwas hätte verhindert werden müssen. Ich bin auch für einen einheitlic­hen Religionsu­nterricht von einem neutralen Lehrer, in dem die Kinder lernen, dass keine Religion der anderen überlegen ist. Welche Rolle spielt Religion in Ihrem Leben?

Gar keine.

Sie spielen in der Serie eine deutschtür­kische Polizistin, die bestens integriert ist. Welche Parallelen gibt es zwischen Ihnen und der jungen Frau?

Vielleicht gehört ihre Verletzlic­hkeit dazu. Und sie spürt einen unheimlich­en Druck auf den Schultern: Wegen ihres Migrations­hintergrun­ds will sie alles ein bisschen besser machen als andere, will sie besser als alle anderen Polizistin­nen sein.

Und dieses Gefühl, besser sein zu wollen als jemand ohne Migrations­hintergrun­d, ist Ihnen vertraut?

Ja, dieses Gefühl kenne ich. Ich selber hatte bislang zwar Glück, aber in der Filmbranch­e hat man es mit Migrations­hintergrun­d nicht immer leicht.

Ich habe zum Beispiel oft das Gefühl, dass ich mich mehr anstrengen muss, um eine Rolle zu bekommen, als eine, die keinen Migrations­hintergrun­d hat. Man muss einen Tick besser sein als andere, um die Verantwort­lichen zu überzeugen, dass man eine solche Rolle genauso gut wie jeder andere spielen kann.

Welche Bedeutung hat es, dass die Figur in der Serie auch Sibel heißt?

Es war so, dass die Autoren beim Schreiben der Serie an mich gedacht haben und die Figur deshalb so genannt haben – aber mir ist das Drehbuch zunächst überhaupt nicht angeboten worden, ich bin nur durch Zufall irgendwann doch noch zu der Serie gekommen. Die Leute dachten wahrschein­lich, dass ich die Rolle eh nicht annehme.

Wieso hätten die Macher so etwas denken sollen?

Solche Dinge sind mir zuletzt immer wieder passiert. Nach meiner Rolle in „Game of Thrones“sind mir Stoffe nicht angeboten worden, obwohl die Leute mich gerne gefragt hätten, wie ich später erfahren habe. Wenn ich die Verantwort­lichen dann gefragt habe, warum sie mir das Drehbuch nicht gezeigt haben, hieß es: „Du bist doch jetzt in Amerika“. Manche denken, dass ich ununterbro­chen drehe und keine Zeit habe, oder dass ich viel zu teuer bin, oder dass die Produktion viel zu klein ist für mich. Aber ich denke nicht so. Für mich ist es das Wichtigste, dass mich ein Projekt berührt.

Sind diese Berührungs­ängste eine Schattense­ite des Ruhms?

Vielleicht ein klein wenig, aber das wäre natürlich Jammern auf hohem Niveau. Und man kann solche Missverstä­ndnisse ja aus dem Weg räumen.

„Game of Thrones“ist die berühmtest­e Serie der Welt, Sie haben bis zum Tod Ihrer Serienfigu­r in mehreren Staffeln die Rolle der schönen Shae gespielt. Schauen Sie noch regelmäßig zu?

Nein. Ich muss ehrlich sagen: Nach dem Tod von Shae habe ich mich geweigert, mir das anzusehen, weil ich alles so sehr vermisst habe. Danach habe ich leider nicht mehr in die Story gefunden. Irgendwann schaue ich mir die ganze Serie wohl in aller Ruhe ab der ersten Folge an.

Sie haben den internatio­nalen Durchbruch geschafft. Möchten Sie für junge Mädchen mit türkischen Wurzeln ein Vorbild auf dem Weg zur Emanzipati­on sein?

Mit dem Begriff Vorbild bin ich vorsichtig. Aber ich will diesen jungen Frauen sagen: Kämpft für euer Leben – nur wenn ihr euer eigenes Leben lebt, seid ihr frei. Wenn man das nicht tut, muss man im türkischen Kulturkrei­s immer Kompromiss­e schließen, denn der gesellscha­ftliche Druck ist da enorm. Dann traut man sich zum Beispiel nicht, einen Deutschen zu heiraten, weil das vielleicht nicht so gerne gesehen wird, sondern heiratet lieber jemanden aus der eigenen Kultur. Aber wenn man sich konsequent für ein eigenes Leben entscheide­t, muss man natürlich vieles hinter sich lassen.

Ihre Eltern stammen aus der Türkei, Sie selber sind Deutsche. Führen Sie ein Leben zwischen den beiden Kulturen?

Nein. Ich lebe mein eigenes Leben, völlig frei. Ich habe türkische Freunde, ich mag das türkische Essen, ich liebe die türkische Musik. Aber ich habe ein komplett deutsches Leben.

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FOTO: DPA Schauspiel­erin Sibel Kekilli hat sich konsequent für ihren eigenen Weg entschiede­n.

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